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Michail Chodorkowski im Niemandsland von Krasnokamensk

Cornelia Rabitz11. August 2006

6.000 Kilometer von Moskau entfernt verbüßt der Öl-Milliardär Michail Chodorkowski seine Haftstrafe. Unter Bedingungen, die mittlerweile auch von höchsten deutschen Stellen kritisiert werden.

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Michail Chodorkowski in dem sibirischen StraflagerBild: AP

Wenn die Mutter von Michail Chodorkowski ihren Sohn in Arbeitslager von Krasnokamensk besuchen will, muss sie nicht nur die Strapazen einer weiten Reise auf sich nehmen - sie muss auch Proviant einpacken. Drei Tage wird Marina Chodorkowskaja in einem Wohnheim verbringen und sich selbst versorgen müssen. Vor allem nimmt sie die Lebensmittel aber für ihren Sohn mit, wie Marina Chodorkowskaja erklärt: "Damit er drei Tage Obst und Gemüse essen kann. Das hat er sonst überhaupt nicht. Und er darf nach dem Wiedersehen mit uns nichts mit sich zurück nehmen. Absolut nichts. Kein Gramm."

Marina Chodorkowskaja Mutter von Michael Michael Chodorkowski
Marina ChodorkowskajaBild: AP

Anfang September wird die Mutter des prominentesten russischen Häftlings sich auf die beschwerliche Reise nach Ostsibierien machen - für die 71-Jährige eine große physische und psychische Belastung. Mit dem Flugzeug und der Bahn kann die Reise von Moskau mehrere Tage dauern. Allein der Zeitunterschied beträgt sechs Stunden. Es ist eine menschenfeindliche, abgelegene Region, in die Frau Chodorkowskaja fahren muss.

Straflager Nummer "Ja G 14/10"

Krasnokamensk liegt im Dreiländereck Russland-Mongolei-China, in Ostsibirien, dort, wo es im Sommer glühend heiß und wo es im Winter eisig kalt ist, wohin schon die Zaren ihre Feinde verbannt haben und wohin heute gewöhnliche Kriminelle zur Verbüßung ihrer Haftstrafe geschickt werden.

Am Rande von Krasnokamensk befindet sich das Straflager mit der Nummer "Ja G 14/10". Hier sitzt Michail Chodorkowski ein, einst reichster Mann Russlands, Ölmilliardär, Mäzen, gefeierter Star auf internationalen Wirtschaftspodien, ein Mann mit mehr als nur wirtschaftlichen Ambitionen. Viele Beobachter glauben, dass seine Ankündigung, er wolle sich auch politisch betätigen ihn letztlich die Freiheit gekostet hat.

Kreml im Verdacht

Nach einem fragwürdigen Gerichtsverfahren und zwei Jahren Untersuchungshaft in einem finsteren Moskauer Gefängnis hat man ihn in den hintersten Winkel Sibiriens geschickt: acht Jahre Straflager wegen Betrugs und Steuerhinterziehung. Sein Konzern "Yukos" ist mittlerweile zerschlagen. Bei alldem soll der Kreml, soll insbesondere Präsident Wladimir Putin die Fäden gezogen haben - der solche Verdächtigungen energisch zurückweist.

Im Falle "Yukos" sei es um Recht und Gesetz gegangen. Und Chodorkowski habe mit fragwürdigen geschäftlichen Manipulationen gegen Gesetze verstoßen. Bei Putin hört sich das so an: "Das Wichtigste ist: Stehlen ist verboten. Alle müssen die Gesetze beachten, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung, von ihren Millionen oder Milliarden - vor dem Gesetz sind alle gleich."

Chodorkowski kämpft

Michail Chodorkowski ist nun einer von rund tausend Häftlingen und muss sein Leben mit gewöhnlichen Kriminellen teilen. Zu tun gibt es wenig im Straflager, Arbeit und Beschäftigung ist knapp und begehrt, um die Zeit tot zu schlagen. Der frühere Oligarch arbeitet in der Näherei. Er liest, er schreibt und immer wieder gelingt es, Texte von ihm zu gesellschaftlichen und politischen Themen nach draußen zu bringen. Das macht deutlich: Der prominente Häftling will sich nicht unterkriegen lassen.

Die Besuchszeiten sind streng reglementiert: eine Handvoll kurze, ein paar mehrtägige Besuche durch die Angehörigen, seine Frau Inna vor allem oder eben seine Mutter. Bemühungen um Verlegung in eine andere, näher an Moskau gelegene Haftanstalt waren bislang vergeblich. Die Chancen auf eine vorzeitige Entlassung bei "guter Führung" sind gering, schon die kleinste Disziplinarstrafe kann dies auf Dauer verhindern.

Kritik aus Deutschland

Die liberale Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger macht sich wie viele Sorgen um die Haftbedingungen. Sie beklagt: "Er war dort mehrmals in Isolationshaft, in Einzelhaft, was dann sogar ein lokales Gericht korrigiert hat. Er wird sehr willkürlich behandelt - Tee trinken an einem falschen Ort im Lager führt bereits zur Einzelhaft." Außerdem sei er von einem Mitgefangenen mit einem Messer angegriffen und im Gesicht verletzt worden, schwebe daher in Lebensgefahr.

Protest kam kürzlich auch von höchster deutscher Stelle: In ungewöhnlich scharfer Form rügte Bundeskanzlerin Angela Merkel die "inakzeptablen Haftbedingungen" Chodorkowskis und verlangte von Russland die Einhaltung internationaler Standards. Auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle sagte, dem russischen Präsidenten Putin müsse deutlich gemacht werden, dass der Fall Chodorkowski weiterhin mit Interesse, Sorge und Anteilnahme verfolgt werde.

Unterstützung erwünscht

Die 71-jährige Marina Chodorkowskaja hofft, dass es dabei bleiben wird: "Ich kenne mich in den diplomatischen Kanälen nicht aus", sagt sie. Aber Putin sei sehr besorgt um die Meinung des Westens über ihn. "Es ist nicht nötig, dass der Westen ihm soviel Honig um den Mund schmiert", sagt Chodorkowskaja.

Wichtig ist für sie etwas anderes: "Dass man Putin zeigt, dass die friedlichen Gesellschaften unzufrieden sind mit dem, was er tut. Was hier geschieht, ist einfach verbrecherisch. Alles, was Yukos zugefügt wurde, das ist schlicht ein Verbrechen gegen unseren Staat." Auf der Web-Seite von Unterstützern läuft eine Uhr: Heute, am 11. August 2006, ist Michail Chodorkowski 1020 Tage in Haft.