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"Erdogan wird mit äußerster Härte vorgehen"

Wulf Wilde16. Juli 2016

Der gescheiterte Putsch gegen Präsident Erdogan wird dessen Position stärken, erwartet der Nahost-Experte Michael Lüders. Der Präsident könnte den Moment nutzen, um mit seinen Gegnern und Kritikern abzurechnen.

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Der türkische Präsident Erdogan am Atatürk-Flughafen, 16.07.2016 (Foto: Reuters/H.Aldemir)
Bild: Reuters/H.Aldemir

DW: Herr Lüders, wie schätzen Sie die Lage in der Türkei aktuell ein?

Michael Lüders: Es ist offenbar so, dass die Putschisten ihr Ziel, die Regierung zu stürzen, nicht erreichen konnten. Offenbar waren die regierungsnahen Kräfte innerhalb und außerhalb der Armee in der Lage, die Situation wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Der Putsch ist wohl als gescheitert anzusehen.

Offenbar ist ja nicht das gesamte Militär an dem Putschversuch beteiligt. Weiß man schon, wer hinter dem Putschversuch steht?

Wir haben bislang noch keine Informationen über die Hintergründe und Akteure des Putsches. Fest steht, dass nur ein Teil des Militärs den Putsch versucht hat. Aber zum derzeitigen Zeitpunkt sind die Einzelheiten noch nicht bekannt.

Halten Sie es für möglich, das Fethullah Gülen hinter dem Putschversuch steckt, wie Präsident Erdogan behauptet?

Es ist eine etwas reflexhafte Schuldzuweisung der Regierung Erdogan. Es ist sicherlich zu simpel, sich vorzustellen, dass die Gülen-Bewegung - also eine transnationale Organisation, die in der Türkei tief verwurzelt ist und ein konservativ-islamisches Weltbild pflegt - dahintersteckt. Die Gülen-Bewegung war ehedem ja eng verbündet mit Erdogans AKP. Dann haben die beiden sich überworfen, unter anderem wegen unterschiedlicher Ansichten über die Verteilung von Macht und Ressourcen. Der Gülen-Bewegung missfiel aber auch der allumfassende Machtanspruch Erdogans. Etwas Vergleichbares wie die Gülen-Bewegung gibt es in Deutschland nicht. Am ehesten könnte man sie noch mit den Burschenschaften vergleichen – also ein Netzwerk, das Leute mit ähnlicher Weltanschauung zusammenzubringen versucht, um sie dann in wichtigen Positionen von Staat und Gesellschaft unterzubringen. Dass die Gülen-Bewegung nun allein in der Lage gewesen wäre, diesen Putsch durchzuführen, erscheint ziemlich abwegig.

Was könnte die Putschisten motiviert haben?

Wahrscheinliches Motiv dürfte die Unzufriedenheit von Teilen der Armee und Teilen der Bevölkerung über den Kurs der Regierung Erdogan sein. Im Fokus der Kritik dürfte dessen absoluter Machtanspruch sowie die Frage stehen, wie man mit der zunehmenden Gewalt in der Türkei umgeht - also den Terroranschlägen, dem Konflikt im Südosten der Türkei, dem Konflikt in Syrien. Möglicherweise gab es in diesen Punkten unterschiedliche Auffassungen - aber auch Rechnungen, die die Putschisten mit Erdogans Entscheidungen begleichen wollten. Aber das alles sind Vermutungen, wir haben bislang keine gesicherten Erkenntnisse.

Michael Lüders Frankfurt am Main Porträt
Nahost-experte Michael LüdersBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Gab es Hinweise darauf, dass sich das Militär oder Teile des Militärs gegen Erdogan und die AKP-Regierung stellen könnten?

Nein, die gab es nicht. Die Beziehungen zwischen Erdogan und dem türkischen Militär waren zuletzt eigentlich gut. In den Jahren zuvor hatte die Armee in Erdogan einen Widersacher gesehen, weil er sie entmachtet hatte. Vor der Machtübernahme durch die Regierung Erdogan im Jahr 2002 war das Militär diejenige Instanz, die in der türkischen Politik alles entschieden hatte - bis hin zum Putsch. Erdogan hat diesen Einfluss massiv zurückgedrängt. Im Gegenzug hat er sie mit Privilegien ausgestattet. Darum sind die Beziehungen Erdogans zum Militär als gut anzusehen. Der Generalstab hat sich bestens mit Erdogan arrangiert. Insofern war der Putsch eine Überraschung. Und er war auch nicht sehr gut vorbereitet. Denn es ist den Putschisten nicht gelungen, auch nur die Medien vollständig zu kontrollieren. Das ist ja eine der Voraussetzungen dafür, dass ein Putsch gelingt. Und es ist ihnen auch nicht gelungen, zögerliche Teile der Armee auf ihre Seite zu ziehen.

Erdogan ist ja noch in der Nacht während des Putschversuchs aus seinem Urlaub zurück nach Ankara geflogen. Das ist ja nicht ohne Risiko. War er sich da schon sicher, dass der Putsch scheitern würde?

Er hat direkt nach der Ankunft in Ankara eine Pressekonferenz gegeben, um zu signalisieren, dass die Lage stabil sei. Wenn ein Putsch stattfindet, ist es natürlich sinnvoll, dass der Präsident sich zeigt. Dass er seinen Anhänger signalisiert, ich bin da, ihr könnt weiterhin mit mir rechnen. Aber natürlich, das kann riskant sein. Wenn er mit seinem Hubschrauber über die Türkei fliegt, sind Angriffe nicht auszuschließen.

Erdogans Anhänger haben sich den Putschisten entgegengestellt. Könnte das dazu beitragen, dass sich Erdogan in seiner Position zusätzlich gestärkt fühlt und er seine Politik - vor allem auch die Unterminierung der Demokratie - weiter vorantreibt?

Erdogan wird nach diesem offensichtlich gescheiterten Putschversuch mit äußerster Härte gegen alle seine Gegner und Widersacher vorgehen, und zwar nicht nur innerhalb der Armee. Jeder, der sich in der Vergangenheit oder Gegenwart kritisch über ihn oder seine Regierungsführung geäußert hat, wird jetzt unter dem Generalverdacht des Hochverrats stehen. Sicherlich wird jetzt eine so genannte Säuberungswelle durch die Türkei laufen. Erdogans Widersacher werden aus ihren Ämtern entfernt werden. Letztlich wird der Putsch dazu beitragen, dass Erdogans absolute Machtposition zusätzlich gestärkt wird.

Welche Auswirkungen hat dieser Putschversuch auf Europa, die NATO und den Kampf gegen den "Islamischen Staat" in Syrien und im Irak?

Ich nehme an, daran wird sich nichts ändern. Erdogan hat ja viel Solidarität erfahren, von Präsident Obama bis hin zu Bundeskanzlerin Merkel, die sich ja beide gegen diesen Putschversuch ausgesprochen haben. Das stärkt ihm indirekt den Rücken. Insofern kann man davon ausgehen, dass die türkische Politik weiterhin den bisherigen Verlauf mit all ihren Vorzügen und Schattenseiten nimmt.

Michael Lüders ist Publizist und Islamwissenschaftler. Er ist auch als Politik- und Wirtschaftsberater tätig. Zudem ist er Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.

Das Interview führte Wulf Wilde.