Metaphysiker des Alltags: Peter Piller
Andere sammeln Briefmarken, der Künstler Peter Piller sammelt seit mehr als 20 Jahren Fotografien. Aber nicht seine eigenen, sondern Bilder aus Lokalzeitungen, dem Internet oder aus Archiven. Dabei findet er Skurriles.
Autos berühren
Peter Piller hat eine Vorliebe für Menschen, die Autos anfassen, für "Schlafende Häuser" oder "Regionales Leuchten". Das sind nur drei von mehr als 90 Serien, die der Hamburger Künstler seit mehr als 20 Jahren hortet. Zurzeit machen Peter Pillers Fotofunde in der Städtischen Galerie Nordhorn unter dem Titel "Belegkontrolle" Station.
Stolzer Schlitten
Die Serie "Auto berühren" zeigt Hunderte Menschen, die stolz auf ihren Schlitten sind, und ihm deshalb zärtlich über die Kühlerhaube streichen: Kleinunternehmer über das Firmenauto, Käufer über ihren Neuwagen, Händler über ihr Sonderangebot, Ex-Bundeskanzler Schröder über den neuesten Mercedes. Ein riesiges Archiv hat der Hamburger Künstler Peter Piller angelegt und nach Stichwörtern sortiert.
Blickrichtung abwärts
"In Löcher blicken" heißt eine andere Serie: Menschen stehen um einen geöffneten Gully herum und blicken in den dunklen Schlund der Kanalisation. Mehr als hundert Variationen gibt es davon. Ganz so, als täten die Menschen landauf, landab nichts anderes, als sich an offenen Kanaldeckeln zu versammeln und nach unten zu schauen. Das Einzelbild wird in der Serie zur Projektionsfläche.
Zeugnisse des Absichtslosen
Überall in Deutschland werden Reporter losgeschickt, um Menschen bei absurden Tätigkeiten zu fotografieren. Peter Piller polemisiert mit seinen Archiv-Serien gegen das "so ist es gewesen" des Zeitungsfotos und überführt den Betrachter, ohne ihn jemals bloß zu stellen. Ihn interessieren die Bilder, weil sie einfach so entstehen, ohne eine künstlerische Ambition des Fotografen.
Metaphysisches im Alltag
"Regionales Leuchten" heißt eine Sammlung, bei der die phosphoreszierenden Streifen von Feuerwehruniformen im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen strahlen. Plötzlich erscheinen die Feuerwehrmänner als Überwesen, als Heilige des Alltags. Die ursprünglichen Bildunterschriften lässt Peter Piller bewusst weg. So eröffnen sich ganz neue Deutungen.
Universale Bilder
Vom Profanen zum Auratischen ist es eben nur ein kleiner Schritt. Die Arbeit von Peter Piller bewegt sich im Universum des Alltäglichen - daraus bezieht er sein Material. Die von ihm verwendeten Bilder und Themen sind Allgemeingut. Sie stehen bewusst in keiner Kunsttradition, sondern am Rande der Kunstgeschichte. Piller präsentiert das normale Leben, mit allen Hochs und Tiefs.
Mädchen, die schießen
Mädchen legen Gewehre zum Schießen an, Preisrätselgewinner halten Geldscheine in die Luft, Wurst-Tester ihre Nase ins Fleisch. Ganz nebenbei eröffnet sich ein neuer Blick auf die deutsche Provinz. "Wir leben in einer Kultur, die geprägt ist von dem, was in den Städten abläuft, aber die Mehrheit lebt auf dem Land. Und deren Kultur ist unterrepräsentiert", sagt Piller über sein Sammelinteresse.
Deutschland von oben
Seit 2002 arbeitet Peter Piller mit einem Luftbildarchiv. Ein Unternehmen hatte Eigenheime in Deutschland aus der Luft fotografiert, um die Aufnahmen an die Hausbesitzer zu verkaufen. Das scheint allerdings nicht funktioniert zu haben. Jedenfalls hat Peter Piller 20.000 Bilder geschenkt bekommen. Und daraus wiederum Serien unter besonderen Blickwinkeln zusammengestellt.
Tatort Eigenheim
Geordnet und einfallslos erscheint das Leben in der Vorstadt. Und aufregend zugleich: Autos, um die sich eine Pfütze gebildet hat, weil sie gerade vor dem Vorstadteigenheim gewienert wurden, wirken aus der Luft aufgenommen wie inkontinent. Oder ist es das Blut eines erschlagenen Nachbarn, das sich seinen Weg in den Rinnstein sucht?
Schlafende Häuser
X-Mal hat Piller die Luftaufnahmen durchforstet und zu immer neuen Serien mit anderen Leitmotiven sortiert. Er erfindet dafür schöne Titel. "Schlafende Häuser" heißt einer: Eigenheime, die von den Besitzern verrammelt wurden. Aus Angst vor Einbrechern oder weil die Immobilien zum Verkauf stehen, wurden die Jalousien heruntergelassen. Für Piller sehen sie aus, als hätten sie die Augen zu gemacht.
Kampf der Geschlechter
Peter Piller thematisiert in einem seiner jüngsten Werke den Geschlechterkampf. Die Aufnahmen oben hat der Künstler dem Magazin "Armeerundschau" entnommen, das ab den 1960er-Jahren in der DDR erschien. Pikanterweise waren auf der Rückseite der Zeitschrift Pin-up-Girls zu sehen. Piller sammelte die Hefte, vergrößerte die Bilder und bringt so die zwei großen Pole des Lebens zusammen: Liebe und Tod.