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Merkel - ausgebuht und bejubelt

Bernd Grässler26. August 2015

Bei ihrem Besuch im Heidenauer Flüchtlingsheim bekommt auch die Kanzlerin die Ablehnung zu spüren, die den Flüchtlingen dort von wütenden Anwohnern und rechten Randalierern entgegenschlägt. Aus Heidenau Bernd Gräßler.

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Heidenau - Bundeskanzlerin Angela Merkel
Bild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Buhrufe und Beschimpfungen für Angela Merkel in Heidenau. Einige hundert Neugierige haben sich an der Einfahrt zum Gelände eines ehemaligen Baumarkts versammelt. Manche schimpfen, andere fordern lautstark eine offene Diskussion mit dem "Volk".

Die Kanzlerin schreitet jedoch zügig von ihrer schwarzen Limousine zu dem mit Planen verhängten Eingang der Halle, in der seit einigen Tagen fast 600 Asylbewerber untergebracht sind.

Eine reichliche Stunde wird sie - unter Ausschluss der Medien - mit Flüchtlingen, Helfern und sächsischen Politikern dort verbringen. Zu letzteren gehört auch Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich, der vor der Kanzlerin gekommen war und sich den Protestierern zum Gespräch gestellt hatte.

Deren Vorwurf: Die Politik entscheide über ihre Köpfe hinweg und verwende zu viel Geld für die Fremden. "Wir zahlen die Steuern dafür und nicht Sie", ruft einer mit Fahrradhelm Tillich zu. "Wir sind kein reiches Land", ergänzt ein anderer. Er bekomme 750 Euro Rente.

"Wo geht denn das Geld hin?" schimpft er. "Das sind alles Wirtschaftsflüchtlinge, in Tunesien gibt es gar keinen Krieg". Falls es überhaupt Tunesier in der Heidenauer Asylunterkunft gibt, müssen es sehr wenige sein. Kai Kranich vom Deutschen Roten Kreuz listet fast 300 Syrer auf, 67 Afghanen, 62 Pakistani, 55 Iraker, 30 Albaner und einige andere Herkunftsländer.

"Wir sind das Pack"

Besonders empört sind viele der Protestierer allerdings über Merkels Vizekanzler Sigmar Gabriel, der zwei Tage vor Merkel in Heidenau war. Diejenigen, die in Heidenau mit teilweise ausländerfeindlichen Parolen vor dem Asylbewerberheim randaliert hatten, nannte Gabriel verächtlich "Pack".

Merkel muss das ausbaden. "Wir sind das Pack" rufen einige Erboste aus der Ferne der Kanzlerin entgegen. Die Polizei hat vorsichtshalber weiträumig abgesperrt. Derweil schmoren die Journalisten in der Mittagssonne und warten auf das angekündigte Statement der Kanzlerin zum Abschluss ihres Besuches.

Deutschland Flüchtlingsunterkunft in Heidenau
Heidenau: Protestler auf DistanzBild: DW/B. Grässler

Aber auch die bereits von den Pegida-Demonstrationen im nahen Dresden bekannten Sprechchöre sind zu hören: "Lügenpresse, Lügenpresse". Junge Leute sind es, die sich mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne auf einer Grünfläche auf der anderen Seite der Bundesstraße 172 versammelt haben und den Ruf immer wieder anstimmen.

Kamerateams werden höhnisch beklatscht. Vorbeifahrende Autos mit einheimischen Kennzeichen veranstalten Hupkonzerte und werden dafür bejubelt - es ist eine per Internet vereinbarte Aktion der rechten Szene, der sich offensichtlich andere Autofahrer spontan anschließen.

"Frenetischer Beifall"

Drinnen wird Kanzlerin Angela Merkel derweil von Flüchtlingen und freiwilligen Helfern begrüßt. "Mit frenetischen Beifall", wie der Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz später berichtet, der wie Merkel der CDU angehört. Was konkret mit der Kanzlerin besprochen wurde, kann er nicht sagen, obwohl er zum Tross gehörte.

"Ich war nur in der fünften Reihe", bedauert Opitz. Was Merkel draußen selbst mitteilt, ist dann die erwartete politische Botschaft: "Es gibt keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen in Frage stellen." Sie dankt denen, die mithelfen, das Leben für die Flüchtlinge erträglicher zu machen und die dafür mitunter Hass und Anfeindungen ausgesetzt seien.

Deutschland Flüchtlinge in Heidenau
Ahmed Jawan und seine Freunde möchten weg aus HeidenauBild: DW/B. Grässler

Es sind Leute wie Melanie und Alexander Seidel aus dem nahen Glashütte. Schon früh am morgen packen sie aus ihrem Auto zwei große Umzugskartons aus und schleppen sie zum Eingang des ehemaligen Baumarktes. Babysachen, Schnuller, Flaschen für die Kinder der Flüchtlinge sind darin. Die beiden haben selbst ein dreiwöchiges Kind.

Randale wie am vergangenen Wochenende "gehört sich nicht", sagt Alexander Seidel, der Uhrmacher ist. Andererseits: Dass die Bevölkerung Angst vor der Masse an Flüchtlingen habe, versteht er, "weil man sie nicht ausreichend informiert hat". Seine Frau Melanie verspricht sich nicht all zu viel vom Besuch der Kanzlerin: "Es ist egal, wer und wie viele Politiker kommen, es gibt überall Krawall, es brennen Unterkünfte, bevor Flüchtlinge dort unterkommen können". Sie klingt ratlos.

Viele wollen weg

Kai Kranich, Sprecher des sächsischen Landesverbandes des DRK, berichtet, dass man sich in Heidenau bemühe, so schnell wie möglich ausreichend Toiletten und Duschcontainer für so viele Menschen heranzuschaffen und mit Trennwänden in der großen Halle wenigstens ein Minimum an Privatsphäre zu schaffen. Doch das sind Probleme, die es in vielen Orten gibt.

Ahmed Zaheer, ein 30-jähriger Pakistaner, fühlt sich nicht wohl in Heidenau. "Germany ist gut", sagt er, und berichtet von München."Aber die Leute hier sind nicht gut". In Heidenau sei er gestern auf der Straße gefragt worden, was er eigentlich hier suche."'Go back' haben sie mir zugerufen", sagt er und dreht sich verlegen eine Zigarette.

Deutschland Flüchtlinge in Heidenau
Osman Alad und seine Familien finden Merkels Besuch großartigBild: DW/B. Grässler

Auch der 16-jährige Ahmed Jawad aus Afghanistan möchte in eine andere Stadt, so wie seine vier Landsleute, mit denen er einen kurzen Ausflug zum benachbarten Supermarkt macht. Vier Tage ist er in Heidenau und hat die Krawalle noch miterlebt. "Einige haben mit Steinen geworfen", erinnert er sich.

An den letzten Abenden ist es in der sächsischen Kleinstadt nahe Dresden ruhiger geworden. Osman Alad, ein Syrer, der mit Frau, zwei Töchtern und einem Sohn gerade erst angekommen ist, hat noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Den Besuch Merkels findet er "großartig".

Das unterscheidet ihn von jenen versammelten Protestierern, die die Kanzlerin mit lauten Pfui- und Buhrufen verabschieden. "Volksverräter" tönt es aus der Menge, als die Politiker in ihre Autos steigen. Angela Merkel reist weiter nach Glashütte, zu einem lange geplanten Besuch einer Uhrenfabrik. Eigentlich war sie in Heidenau nur auf Durchreise.