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Fusionsjahr 2006

Michael Braun27. Dezember 2006

2006 stiegen die Unternehmensgewinne – und die Manager investierten, anstatt zu sparen. Sie machten 2006 zum neuen Rekordjahr für Übernahmen und Fusionen.

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Lakshmi und Aditya Mittal, Foto: AP
Lakshmi Mittal (r.), Chef von "Mittal Steel", zusammen mit seinem Sohn und Firmenpräsidenten AdityaBild: AP

Wenn es nach den Vorständen geht, ist Kostensenkung eine Daueraufgabe. Aber 2006 war nicht das Jahr der Kostensenkung. 2006 war Umsatzwachstum angesagt, auch mit Hilfe von Übernahmen, und das nicht zu knapp. Weltweit sind in diesem Jahr gut 29.000 Übernahmen und Fusionen über die Bühne gegangen. Dabei wurden 3600 Milliarden Dollar bewegt – zehn Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2000. Die größte Summe brachte der amerikanische Telekomriese AT &T auf: Er schluckte für gut 83 Milliarden Dollar den Konkurrenten Bellsouth.

Auf Rang zwei folgte ein Vorhaben aus Europa: das gut 66 Milliarden Dollar schwere Gebot der des deutschen Versorgers E.ON für den spanischen Konkurrenten Endesa. Ende September musste E.ON dieses Angebot um 40 Prozent erhöhen. Für E.ON kein wirkliches Problem. Vorstandschef Wulf Bernotat sagte damals in einer Telefonkonferenz: "Wir wollten den Endesa-Aktionären die klare und unzweideutige Botschaft schicken, dass wir voll und ganz zu diesem Angebot stehen und dass eine Kombination von E.On und Endesa für uns weiter eine zwingende strategische und industrielle Logik hat."

Logo des spanischen Energieversorgers Endesa, Foto: AP
Spanischer Energieversorger EndesaBild: AP

Doch immer noch hängt diese Fusion, und könnte noch an nationalen Vorbehalten scheitern. Denn die spanische Regierung will die spanische Stromversorgung nicht in ausländische Hand gleiten lassen – obwohl sie bereits mehrfach von der EU-Kommission gemaßregelt wurde. Aus ähnlichen Gründen kam auch die seit Jahren angesagte Konsolidierung der europäischen Börsenlandschaft nicht zustande. Kooperationsangebote der Deutschen Börse für die in Paris ansässige Euronext fanden kein Gehör, wurden schließlich abgesagt.

Stahlriese Arcelor: Vom größten Stahlkonzern der Welt geschluckt

Leichter war da die weltweit drittgrößte Fusion des Jahres zu bewerkstelligen: Der Zusammenschluss der französischen Versorger Suez und Gaz de France für umgerechnet gut 43 Milliarden Dollar. Und auch an der viertgrößten Fusion war ein europäisches Unternehmen beteiligt: Nachdem ein russischer Stahlkonzern benutzt worden war, um den Übernahmepreis in die Höhe zu treiben, begab sich der luxemburgische Stahlriese Arcelor schließlich doch in die Hände der indischen Mittal-Gruppe. Lakshmi Mittal, Chef des größten Stahlkonzerns der Welt, zeigte sich schon Mitte September, drei Monate nach dem Geschäft, gewiss, dass seine Politik im neuen Konzern akzeptiert werde. Die Dinge liefen wie erwartet, Gespräche und Berechnungen kämen gut voran, sagte Mittal.

In Deutschland gehörte der Kampf um den Berliner Pharmahersteller Schering zu den größten Übernahmeereignissen des Jahres. Den Anfang hatte das Darmstädter Familienunternehmen Merck gemacht, das den großen, im Deutschen Aktienindex DAX notierten Mitbewerber Schering schlucken wollte. Doch Schering wehrte sich, konnte aber dem Verlust der Selbständigkeit nicht entgehen. Der Leverkusener Bayer-Konzern kam schließlich für knapp 17 Milliarden Euro zum Zuge. Die Schering-Aktionäre erzielten allein dadurch einen Kursgewinn von mehr als 40 Prozent. Und der Vorstandsvorsitzende von Bayer, Werner Wenning, ist sich sicher, dass dieses Geschäft nicht das letzte in der Pharmabranche weltweit gewesen sei: "Ich glaube, dass weltweit die Konsolidierung in der Healthcare-Industrie weitergehen wird. Es ist noch eine relativ fragmentierte Industrie."

Mit dabei: Finanzinvestoren

Logo der ProSiebenSat.1-Gruppe, Foto: AP
ProSiebenSat.1-Gruppe: Für drei Milliarden Euro an KKR und Permira verkauftBild: AP

Fusionen und Übernahmen waren in diesem Jahr häufig auch das Geschäft von Finanzinvestoren. Der letzte große Deal des Jahres war kürzlich zu sehen, als KKR und Permira für drei Milliarden Euro die Sendergruppe ProSieben Sat.1 kauften. Sie werden ProSieben mit SBS, einer anderen Senderkette in ihrem Besitz, zusammenlegen. Ob die erhofften Synergieeffekte genügen, um die Renditeerwartungen zu stillen, bleibt offen.

Nach einer Übernahme oder nach einer Fusion sehe die neue Unternehmenswelt natürlich immer rosig aus, meinen die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young. Sie sprechen von einer gewissen Euphorie kurz nach dem Vertragsabschluss. Die Frage aber, ob die Fusion sinnvoll war, ob sie genutzt hat, die lasse sich erst ein bis drei Jahre später beantworten, glaubt Joachim Spill, Partner bei Ernst & Young. Denn: Aus der Vogelsperspektive betrachtet lohnten sich Transaktionen zwar grundsätzlich. Die Hälfte der Unternehmen aber, die die Wirtschaftsprüfer betrachtet haben, hätten sich vom Marktwert her schlechter als der Branchenindex entwickelt, sagt Spill. 30 bis 40 Prozent hätten sich besser entwickelt, ein Teil sei dazwischen. "Aber die wesentliche Erkenntnis ist: Transaktionen lohnen sich, aber für die Hälfte der Unternehmen ist die Wertschöpfung schlechter als der Branchenindex."

Deshalb werden Fusionen gelegentlich auch wieder rückgängig gemacht. BMW hat sich vor Jahren mit großer Erleichterung wieder von Rover getrennt. Und dass Daimler dasselbe mit Chrysler praktiziere, ist immer wieder Thema von Börsenspekulationen.