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Meinungsfreiheit auf Türkisch

16. Juni 2003

In der Türkei stand ein neues Mediengesetz auf dem Prüfstand. Der Oberste Gerichtshof hat entschieden: Im Web dürfen unliebsame Inhalte von Behörden zensiert werden.

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Internet in der Türkei: Meinungsfreiheit adéBild: Illuscope

Eigentlich ist im grenzenlosen World Wide Web Zensur allein aus technischen Gründen zum Scheitern verurteilt. So weit die Theorie. In der Praxis ist in vielen Ländern der Welt der Zugang zum Internet ein Privileg von wenigen, und die Veröffentlichung von Inhalten im Netz nicht ohne Risiko. In der Türkei hat der Oberste Gerichtshof ein neues Mediengesetz geprüft, das Kritikern zufolge die Meinungsfreiheit im Internet massiv einschränkt.

Mit dem Gesetz soll Medien unter anderem verboten werden, Pessimismus zu verbreiten. Zur Kontrolle sollen Betreiber von Web-Sites zukünftig ihre Seiten im Papierausdruck an die Regierung schicken, um für deren Inhalt eine amtliche Genehmigung zu erhalten.

Staatspräsident Necdet Sezer hatte das Gesetz Ende Mai 2002 an die Richter verwiesen, nachdem das türkische Parlament das Gesetz im zweiten Anlauf ohne Änderungen verabschiedet hatte. Beim ersten Mal im vergangenen Jahr hatte der Präsident die Verabschiedung noch mit seinem Veto verhindern können.

Gesetz kontra EU-Beitritt?

Sezer griff nun zum letzten ihm nach der Verfassung zustehenden Mittel und schaltete den Obersten Gerichtshof ein. Der ehemalige Verfassungsrichter fürchtet offenbar, dass die Chancen für den geplanten EU-Beitritt der Türkei mit dem Gesetz sinken könnten. Die EU-Kommission hat der Regierung in Ankara bereits offiziell mitgeteilt, dass sie das Gesetz für nicht kompatibel mit ihren Beitrittskriterien hält.

Zwar sei das Gesetz offiziell als Handhabe gegen Verleumdung und Falschmeldungen gedacht, erklärt Stefan Hibbeler, der seit einem Jahr in Istanbul das deutschsprachige Internet-Magazin "Istanbulpost" betreibt. Zugleich befürchtet er aber, dass Politiker und Justiz das Regelwerk als Hintertür zur Zensur im Internet benutzen könnten - wie es bereits beim Radio und Fernsehen geschehen sei. Immer wieder müssen türkische TV- und Radiosender den Betrieb unterbrechen oder einstellen, wenn ihr Programm nach Meinung der staatlichen Aufsichtsbehörde den Staat oder das Militär beleidigt.

Geldstrafen treiben in den Bankrott

Nun drohen auch denjenigen hohe Geldbußen, deren Internet-Publikationen gegen das Gesetz verstoßen, erklärt DW-Journalist Bahaeddin Güngör und führt aus: "Bei den türkischen Zeitungen wird in der Regel nachzensiert, das heißt: Zeitungen werden im Zensurfall wieder eingesammelt. Beim Internet wird vorzensiert: Alles, was online erscheinen soll, wird vorher vom Geheimdienst und der Polizei geprüft."

Prinzipiell kann allerdings jedermann kritische Texte auf Servern im Ausland ins Netz stellen. So hat auch die kurdische PKK nach wie vor ihre Site im Web. Um gegen solche unliebsamen Web-Inhalte vorzugehen, müssen Regierungen schon tiefer in die Trickkiste der Medienrepression greifen.

Wie das geht, macht Singapur vor: Dort müssen alle Internet-Verbindungen über einen zentralen Proxy-Server laufen, auf dem die Regierung alle Sites, die ihr nicht passen, einfach sperrt.