Meine WM, Deine WM
29. Juni 2014"Es sieht so aus, als ob wir eine fantastische WM haben werden, die WM aller WMs", erklärte FIFA-Generalsekretär Jerôme Valcke bei einer Bilanz zum Ende der Vorrunde im Maracanã-Stadion in Rio. Bei der Organisation des Turniers befinde sich Brasilien auf dem Erfolgsweg, lobte er.
Bis vor kurzem hatte Valcke Brasilien noch eine mangelhafte Vorbereitung auf die WM vorgeworfen. Nun überstürzt er sich geradezu vor Begeisterung. "Ohne Zweifel, diese WM wird eine der größten Zuschauermagneten sein, wir werden in den nächsten Tagen einige Rekorde brechen", kündigte Valcke an. Die Zuschauerzahlen, insbesondere in den USA, seien fantastisch.
Brasilien zwischen Euphorie und Depression. Es scheint, als hängt nicht nur das Schicksal des Landes, sondern der ganzen WM an einem Elfmeter. "Die Probleme der WM sind weiterhin präsent. Und trotzdem hat sich alles verändert", räsoniert Schriftsteller Ruy Castro in einer Kolumne für die brasilianische Tageszeitung "Folha de São Paulo". "Egal, ob die Kritik von der FIFA, der Regierung oder von den Demonstranten kam, nichts ist so schlecht gelaufen wie es prophezeit wurde, und alles läuft besser als erwartet."
Psychologie statt Politik
Egal, wo man hinblickt, sowohl die FIFA als auch die brasilianische Regierung gefallen sich in der Veröffentlichung von beeindruckenden Zahlen. Der Weltfußballverband verkündet, dass über drei Millionen WM-Tickets verkauft worden sind und jedes Spiel im Durchschnitt von 51.000 Fans besucht wurde.
Die brasilianische Regierung rechnet vor, dass durch die WM eine Million neue Jobs geschaffen wurden und internationale Touristen bereits 365 Millionen US-Dollar im Land ausgegeben haben. Ganz zu schweigen von den 156.000 akkreditierten Journalisten, die sich auf einmal für die WM begeistern.
Staatspräsidentin Dilma Rousseff holte schon vor der Partie gegen Chile zum Schlag gegen alle "Berufspessimisten" aus: "Brasilien legt eine echte Show hin", erklärte die Präsidentin vor der Presse. "Die Fans haben einen Volltreffer gegen alle Kritiker gelandet und uns von unserem Straßenköter-Komplex befreit."
Kommt Rousseff zum Finale?
Ob die brasilianische Präsidentin von der WM-Begeisterung auch politisch profitieren kann, ist allerdings noch nicht sicher. Bis jetzt hat Dilma Rousseff die Einladung der FIFA, beim Finale im berühmten Maracanã-Stadion den Pokal an den WM-Sieger zu überreichen, noch nicht angenommen. Die lautstarken Buhrufe und Beschimfungen beim Eröffnungsspiel am 12. Juni in São Paulo hat sie immer noch nicht verwunden.
Insgesamt 25 Staatschefs, darunter auch Russlands Präsident Vladimir Putin, haben bereits ihre Präsenz beim Endspiel am 12. Juli in Rio zugesagt. Für die Stadt Rio de Janeiro ist dieser Moment ein Höhepunkt der erfolgreichen Selbstvermarktung, ganz unabhängig davon, wer gerade im 1300 Kilometer entfernten Brasília regiert.
Rio fühlt sich immer noch als Hauptstadt
"Rio de Janeiro ist das Zentrum der WM", stellt Laudemar Aguiar klar, der bei der Stadtverwaltung für internationale Beziehungen zuständig ist. "Hier ist nicht nur das Generalquartier der FIFA, sondern auch das International Broadcasting Center und das Medienzentrum", erklärt der ehemalige Mitarbeiter des Außenministeriums.
"Ich will nicht sagen, dass es einfach ist, 25 Staatschefs gleichzeitig zu empfangen, aber wir verfügen über reichlich Erfahrung", sagt Aguiar ohne falsche Bescheidenheit. Schließlich hätten an der UN-Klimakonferenz "Rio+20" im Jahr 2012 über 100 Staatschefs teilgenommen.
Jazzmusikerin Ana Beatriz de Azevedo sieht die WM inzwischen auch lockerer: "Brasilien ist das Land der letzten Minute", weiß sie. Egal, ob bei der WM, beim Weltjugendtag oder bei den bevorstehenden Olympischen Spielen: Alle Großveranstaltungen sind ein Wettlauf gegen die Zeit, der in Brasilien immer erst im letzten Augenblick und mit viel Adrenalin gewonnen werde.