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Mein Reisetagebuch: Auswärts spielen in 1001 Nacht

10. Oktober 2009

Eine Woche lang ist MDR-Reporterin Stefanie Markert in Syrien unterwegs. In ihrem Reisetagebuch schildert sie ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse.

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Leuchtreklame in der antiken Welterbestadt Bosra mit Foto des verstorbenen Ex-Präsidenten Hafez Al-Assad, (Foto: DW)
Willkommensgruss im syrischen BosraBild: Stefanie Markert für DW

Montag, 26.10.2009: Willkommen in Syrien!

“Ahlan wa Sahlan" - Welcome any time. Immer willkommen! So lautet die erste herzliche Botschaft, die ich noch in Deutschland aus Syrien erhalte. Die Gemeinschaft des Wüstenklosters Mar Musa lädt mich per e-mail zu einem Besuch ein. Knapp 100 Kilometer nordöstlich von Damaskus bemühen sich die Nonnen und Mönche um einen Dialog zwischen Christen und Moslems.

Kloster Mar Musa in Syrien (Foto: DW)
Kloster Mar Musa in SyrienBild: Stefanie Markert für DW

Ihre Klosterkirche aus dem 11. Jahrhundert liegt spektakulär über 1300 Meter hoch zwischen goldrutenfarbenen Felsen. Ein Muss für jeden Syrienbesucher! Doch erst einmal heißt es einreisen in einen Staat, den viele meiden. Denn mit seiner wirtschaftlichen Öffnung hält die politische nicht Schritt. Und der Geheimdienst ist allgegenwärtig.

Die verschiedenen Nuancen von "Welcome"

Magnettafel mit Aufschrift (Foto: DW)
Willkommensgruss zum An- die-Wand-hängenBild: Stefanie Markert für DW

Auf dem Flughafen in Damaskus klingt das „Welcome“ denn auch forscher. Der Passbeamte schleudert mir mein Reisedokument so scharf zurück, dass die Immigrationskarte herausrutscht. Ein Gepäckträger rempelt meinen Koffer an, von dem einiges herunterfällt. Erst nach mehrmaliger Aufforderung hebt der Airport-Macho die Sachen auf. Am Taxistand ordere ich eine Tour ins Stadtzentrum. Die kostet doppelt so viel wie ein herangewunkenes Taxi, doch das erfahre ich erst später. Der Transport des Koffers zum Wagen scheint nicht im Preis inbegriffen zu sein. Der Träger spricht die obligatorische Begrüßungsformel kurz und scharf als „Will-Kamm“ aus. Übersetzen muss man es wohl mit: „Rück endlich Trinkgeld raus!“

Die Fahrt in die Stadt

Willkommensgrüße und darüber Porträts von Präsident al-Assad, Irans Präsident Ahmadinedschad und Hisbollah-Anführer Nasrallah in einem Kiosk in Damaskus (Foto: DW)
Willkommengrüße und darüber Porträts von Syriens Präsident al-Assad, Irans Präsident Ahmadinedschad und Hisbollah-Anführer NasrallahBild: Stefanie Markert für DW

Gut 30 Kilometer sind es nach Damaskus. Die Landschaft ist karg. Immer wieder flattern schwarze Plastiktüten am Straßenrand auf. Es geht vorbei an ärmlichen Vierteln, in denen Abertausende Flüchtlinge aus dem Irak hausen. Je mehr wir uns der syrischen Hauptstadt nähern, desto dichter wird die Dunstglocke aus Abgasen.

Im Hotel Europa unweit des alten Bahnhofs für Mekka-Pilgerer fällt das Welcome geschmeidig aus. Die Boys sind hilfsbereit und scherzen mit den Touristen. Beim Abendessen in einem traditionellen Damaszener Haus - zwischen plätschernden Springbrunnen, kunstvollen Holzvertäfelungen, dampfenden Wasserpfeifen und klingelnden Handys - sind die Kellner international und auf jeden Gast vorbereitet. Hier werde ich gleich auf Deutsch begrüßt: „Willkommen!“

Erste Eindrücke

Der letzte Tagesordnungspunkt: Ein Bummel durch die Altstadtgassen. Der erste Einkauf steckt in einer Plastiktüte mit der Aufschrift … - richtig: „Welcome – thank you for your visit!“

Welcome: Einkaufstüten in Syrien (Foto: DW)
Welcome: Einkaufstüten in SyrienBild: Stefanie Markert für DW

In einer der Gassen schließt Tobias Lösche, der junge Magdeburger, den ich ein Stück weit bei seinem Syrienabenteuer begleite, die hölzerne Tür des Hauses Ibrahim, arabisch "Beit Ibrahim", auf. Aus vielen Mündern erschallt sogleich unisono ein warmes „Welcome“!

Tobias’ syrische Gastfamilie öffnet die Arme und reicht uns die Hände. Ich bin angekommen.

Dienstag, 27.10.2009: Orient! Oder Okzident?


Wo bin ich eigentlich? Betrachtet man den Straßenverkehr, dann lautet die Antwort klar: Im Orient! Mopeds mit ganzen Familien auf dem kleinen Sitz tuckern vorbei. Transporter jonglieren spektakulär hohe Strohsacktürme.

LKW-mit Strohsäcken, Syrien (Foto: DW)
Maximale BeladungBild: DW/Stafanie Markert

Die grünen Ampelmännchen marschieren hektisch los, wenn es für die Fußgänger bald rot wird, und eine Anzeigetafel zählt den Countdown für die Autos. Ein Sammeltaxi schiebt sich quer zur Fahrtrichtung durch einen Stau und löst ein Hupkonzert aus.

Die Autobahnen von Damaskus nach Nord und Süd sind neu. Nur Auffahrten gibt es nicht überall - wenden kann man ganz einfach dort, wo eine Mittelplanke weggeräumt ist. Ansonsten gilt: Nicht so weit rechts fahren, auf dem Randstreifen könnte ein Radfahrer entgegen kommen.

Augen auf im Straßenverkehr!

Abenteuerlich auch Bauarbeiten, die ich entlang einer Landstraße beobachte: Mitten auf dem Asphalt steht ein Laster und blockiert den Verkehr. Er nimmt von einem Bagger ausgehobenen Sand auf. Die Hälfte rutscht daneben, direkt auf die Strasse. Dort hat sich eine richtige Düne gebildet, über die sich unser Auto quälen muss.

Ampel für Ungeduldige mit eingeblendetem Countdown, Syrien (Foto:DW)
Ampel für Ungeduldige mit eingeblendetem CountdownBild: DW/Stafanie Markert

Also Orient! Aber da sind die vielen gläsernen Einkaufszentren entlang der Ausfallstrassen und die Autohäuser von Audi bis Subaru. In den Städten: Schaufenster voller Cornflakes und Coca-Cola, eine Hühnchen-Fast-Food-Kette, Mickey-Mäuse neben Viagra-Werbung. Ein Internetcafé neben dem anderen wirbt mit seinen schnellen ADSL-Verbindungen. Kein Wunder, der junge Präsident Baschar al-Assad hat einst die Syrische Gesellschaft für Informationstechnologie geleitet und First Lady Asma ist u. a. diplomierte Informatikerin. Gingen im Jahr 2000 gerade 30 000 Syrer online, sind es heute über eine Million. Auch Handys sieht man allerorten. Verschleierte Frauen fotografieren sich auf einer Kreuzritterburg mit ihrem Handy. Telefoniert wird auch am Steuer, gesimst allerorten. Vor kurzem waren Handys noch unerschwinglich: "Heute kostet ein einfaches Gerät 1.800 syrische Pfund," erzählt ein junger Mann. Also knapp 30 Euro. Er hat vor sechs Jahren in der Altstadt von Damaskus seinen Mobilfunkladen eröffnet.

Öffnung und ihre Grenzen

Internetcafé in Damaskus (Foto: DW)
Internetcafé in DamaskusBild: DW/Stafanie Markert

Also doch Okzident? Nun, die Internetnutzer stoßen an Grenzen. Bürger, die eine systemkritische e-mail schreiben, können in Syrien im Gefängnis landen. Wer etwa youtube aufruft, wird mit „ERROR! Access denied!“ auf den Boden der Realität zurückgeholt. Und als ich eine SIM-Karte kaufen will, werde ich um meinen Pass gebeten. Der wird unter dem Ladentisch fein säuberlich kopiert. Nur der Drucker hat keine Tinte mehr. Damit der junge Verkäufer seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllen kann, gebe ich ihm eine vorsorglich mitgebrachte Passkopie. Er nimmt sie dankbar an.

Tradition und Moderne: Studentin in einer Ausstellung in Damaskus, (Foto: DW)
Tradition und Moderne: Studentin in einer Ausstellung in DamaskusBild: DW/Stafanie Markert

Syrien zwischen Orient und Okzident: Heute wie vor Tausenden Jahren ein Schnittpunkt der Zivilisationen. Wirtschaftlich wird ausprobiert, was politisch noch nicht geht. Auch über Kultur - wie die Ausstellung Damaszener und Pariser Künstler derzeit im Nationalmuseum - kann Öffnung funktionieren. Mein Fahrer weist mich noch auf etwas hin: "Schau mal, die Schuluniformen."

Schulkinder mit Lehrerin in Syrien (Foto: DW)
Schulkinder mit LehrerinBild: DW/Stafanie Markert

Vor nicht allzu langem hätten die Kinder richtig militärisch ausgesehen. Jetzt tragen die Kleinen blaue Kittel und bunte Halstücher, die Größeren hellblaue Hemden oder rosa Blusen zu dunklen Hosen. Immerhin, ein Anfang ist gemacht. Nach jahrelangem Stocken soll in Kürze auch ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieben werden. Es könnte diesen Anfang stärken.

Mittwoch, 28.10.2009: Alles Kebap oder was?

Iranisches Kebab
Kebap - mmh!Bild: Shahram Sharif,

Im Arabischen heißt der beliebte Snack Kabab und den besten soll es in Aleppo (Halab) geben. Nach der Stadt ganz in Syiens Norden ist er auch benannt: Kabab Halabi – das sind dort Fleischspieße aus gehacktem Lamm, serviert mit scharfer Tomatensoße. Tobias Lösche hatte sich vorgenommen, in seinem Gastland einen richtigen Kabab zu essen und er hat es getan, natürlich in Aleppo. Fladenbrot unten, Fladenbrot oben, dazwischen fünf Fleischröllchen mit der Soße. Die Mahlzeit entlockt dem jungen Deutschen noch Tage später ein entzücktes Mmh!

Andrang am Eisladen, Damaskus (Foto: DW)
Andrang am EisladenBild: Stefanie Markert

Doch auch Damaskus hat vorzügliches Essen zu bieten, denkt man nur an all die Vorspeisen mit Auberginen, Kichererbsen, Minze und Limone. Zum angesagtesten Restaurant in Damaskus kommen wir noch - am 5. Tag unserer Reise. Also noch etwas Geduld! Heute für alle Altstadtbummler drei Tipps für unvergessliche „Boxenstops“.

Die Kartoffelspirale

Die schmale Al-Keimaria-Strasse führt zur Omaijaden-Moschee. Rechts und links werden CD’s, Tücher, Souvenirs, frisch gepresste Säfte aus Orangen, Granatäpfeln, aber auch Maulbeeren feilgeboten und - frittierte Kartoffelspalten. Eine ungeschälte Knolle wird auf eine Metallspitze gepiekst, ein Automat schält daraus eine hauchdünne Spirale. Die wird auseinandergezogen und in heißes Öl getaucht. Ist die Kartoffel gar, kann man zwischen einem Dutzend Gewürzen von Pizza über Kurkuma bis Zitrone wählen und fertig ist der längste Kartoffelchip der Welt. Vorsicht heiß!

Der Tamarindensaftverkäufer

Tobias trinkt frisch gepressten Saft auf dem Basar (Foto: DW)
Tobias trinkt frischgepressten Granatapfel- und MaulbeerensaftBild: Stefanie Markert

Zum Durstlöschen empfiehlt sich ein kurzer Spaziergang über den Al-Hamidia-Suq. Auf dem überdachten Basar hinter der Omaijaden-Moschee klappert etwas laut. Es sind die Schmuckplättchen einer riesigen bauchigen Kupferkanne, die ein Mann in edler osmanischer Tracht geschultert hat. In Pluderhosen und roter Filz-Fes-Kappe ruft er seine Ware aus und trommelt auf seinem Bauchladen. Kunstvoll jongliert er ein Glas und wäscht es zuerst aus. Dafür wirft er das eingefüllte Wasser zwei Meter hoch, bis es perlenförmig aufsteigt. Die herab fallenden Tropfen fängt er wieder auf. Dann kippt er die riesige Kanne über seine Schulter und gießt eine rosinenfarbene Flüssigkeit ins Glas. Aus dem Gürtel zieht der Händler nun noch eine kleine Plastikflasche. Daraus spritzt er ein paar Tropfen hinzu. Das Getränk wird von Groß und Klein gern gekauft – für umgerechnet ein paar Cent. Doch was verkauft der Mann im Marktgedränge? Einen durchaus exotischen Durstlöscher: Süßen Tamarindensaft mit einem Spritzer Rosenwasser.

Pistazien, Eis und eine lange Geschichte

Fröhliche Eisverkäufer, Damaskus (Foto: DW)
Fröhliche EisverkäuferBild: Stefanie Markert

Ein paar Meter weiter herrscht noch größerer Trubel als eh schon auf dem Suq üblich. Menschen drängen in ein Geschäft und wieder heraus. Es wird ihnen etwas aus den Händen gerissen: Waffeln mit einem Berg Eis gespickt mit frisch gestoßenen Pistazien. Bakdash und die Jahreszahl 1895 steht über dem Laden. Das Traditions-Eis sieht aus wie Wasser-Eis, schmeckt aber sahnig und geschmeidig. Gerade wird Nachschub aus einer Plastikwanne ausgekippt. Ein junger Verkäufer grapscht sich mit seinen hauchdünnen Gummihandschuhen lachend einen Klumpen Eis heraus, das Fäden zieht. Er schleudert es in eine Schüssel Pistazien.

Eisstand auf dem Basar in Damaskus (Foto: DW)
Am EisstandBild: Stefanie Markert

Sein ebenso fröhlicher Kollege drückt die Masse auf eine Waffel oder in ein Schälchen. Dem Laden ist eine Eisdiele angegliedert mit mindestens 200 Plätzen, alle besetzt, versteht sich. Das Rezept der Leckerei ist natürlich ein Geheimnis des Hauses. Es ist aber so köstlich, dass ich ehrlich gesagt die Abmachung mit Tobias bereue, uns eine Portion zu teilen. Er wahrscheinlich auch ...


Donnerstag, 29.10.2009: Zivilisationen hinterlassen ihre Spuren

Stefanie Markert bei den Helfern der Ausgrabungen in Shir (Foto: DW)
Stefanie Markert bei den Helfern der Ausgrabungen in ShirBild: DW/Markert

Was haben Akkader, Hethiter, Assyrer, Babylonier, Achämeniden, Griechen, Römer, Byzantiner, Omaijaden, Abbasiden, Kreuzritter, Ägypter, Osmanen und Franzosen gemein? Das eine oder andere Jahrzehnt oder Jahrhundert haben sie über verschieden große Stücke des heutigen Syriens geherrscht. Ja, zwischen Petra und Pamukkale, zwischen Baalbek und Babylon ist noch was – Syrien nämlich.

Syrien - ein einziges Museum

Wasserräder von Hama(Foto: DW)
Wasserräder von HamaBild: Stefanie Markert

Ich bestaune bis zu 500 Jahre alte gigantische Wasserräder in Hama. Finde bei einer Ausgrabung einen klitzekleinen behauenen Stein aus dem 7. Jahrtausend vor Christus. Steige im Königspalast von Qatna die Treppe zu einem Brunnen hinab. Jetzt ist alles versiegelt. Doch was deutsche Archäologen hier unlängst fanden, zeigt noch bis März 2010 die spektakuläre Schau im Stuttgarter Landesmuseum: „Schätze des alten Syrien – Die Entdeckung des Königreiches Qatna“. Syrien ist derzeit bei Archäologen en vogue. Durch die gefährliche Lage im Irak haben sich die Grabungsschwerpunkte verlagert.

In der Omajaden-Moschee (Foto: DW)
In der Omajaden-MoscheeBild: Stefanie Markert

In Damaskus begeistert mich die Omaijaden-Moschee aus dem 8. Jahrhundert. Die Goldmosaike glitzern wie am ersten Tag. Man muss das Ambiente einfach wirken lassen: sich auf den kühlenden Marmorfußboden setzen und es wie die Einheimischen machen: beobachten, wie die Kinder Räder schlagen, picknicken, lesen oder ein Nickerchen halten.

It’s a very big castle!

Kreuzritterburg in Syrien (Foto: DW)
Kreuzritterburg in SyrienBild: Stefanie Markert

Auf der schönsten Kreuzritterburg des Orients laufen der Praktikant Tobias Lösche und ich uns die Füße wund. Wir lehnen standfest das Angebot einiger Einwohner ab, die uns partout durch die Festung führen wollen. „Do you want a guide? It’s a very big castle! Four floors! Here is the first stable. 200 horses!“, erschallt es wie von einer gesprungenen Schallplatte immer dann, wenn wir aus Versehen in die Richtung der selbsternannten Guides schauen. Tobias kann den Spruch am Ende selbst richtig gut!

Antikes Theater in Bosra (Foto: DW)
Antikes Theater in BosraBild: Stefanie Markert

Im nahezu vollständig erhaltenen Amphitheater von Bosra - hineingebaut in eine mächtige nabatäische Burg - besiegen wir gemeinsam unsere Höhenangst. Mein Gott, ist das steil! Wie konnte man da in Ruhe Theater gucken? Doch nicht nur die fünf Welterbestätten sind faszinierend. Im Provinzmuseum der Kleinstadt Shahba südlich von Damaskus stoße ich auf bis heute prächtige 2000 Jahre alte Mosaike. Ich überlege mir die Melodie, die Orpheus wohl vor Schlangen und Raubtieren auf seiner Lyra geklimpert hat – das Motiv des antiken Puzzles. Auch die mächtigen Basalt-Tempel des antiken Kanatha nur ein paar Kilometer weiter machen Eindruck.

Nach Syrien kommen bislang aber vor allem arabische Touristen. Die einen, wollen die strengen Regeln ihrer Heimatländer hinter sich lassen und Spaß haben, andere kühlen sich auf den syrischen Höhenzügen ab, Dritte pilgern zum Grabmal der Enkelin Mohammeds. Aus Europa kommen bildungshungrige Archäologiefreaks oder christliche Spurensucher.

Der Nahe Osten – ein einziger Krisenherd?

Sankt-Georg-Kloster in Maaloula (Foto: DW)
Sankt-Georg-Kloster in MaaloulaBild: DW/Markert

Viele meiden das Land. Aber wer Syrien besucht, merkt: Der Nahe Osten erscheint zu Unrecht als ein einziger Krisenherd. In Syrien ist es trotz aller Konflikte drum herum bislang weitgehend friedlich geblieben. Auch weil das Regime mit eiserner Hand regiert und so neben Demokraten auch radikale Islamisten kurz hält. Dass Souvenirshops zugleich überall Abzeichen und Aufkleber mit dem Hisbollah-Chef Nasrallah verkaufen oder Syriens Präsident Assad auf Bildern neben seinem iranischen Amtskollegen Ahmadinedschad auftaucht, irritiert aber das westliche Auge. Diese Figuren gelten nicht gerade als Friedensstifter. Im Gegenteil! In einem Damaszener Café kommentiert ein älterer Syrer die Sticker als harmlos. Er erklärt, dass die Jugend Nasrallah und Ahmadineschad „cool“ findet. Als Grund führt er die Antipathie gegenüber Israel an. Denn der Nachbarstaat hält seit 1967 die syrischen Golanhöhen besetzt. Radikale Politiker als Popstars? Ich nehme die Schilderung des älteren Herrn zur Kenntnis. Für mich als westliche Besucherin riecht das eher nach Verharmlosung.

Junge Frau rezitiert Vater Unser auf Aramäisch (Foto: DW)
Junge Frau rezitiert Vater Unser auf AramäischBild: DW/Makert

Neben Bizarrem und Befremdlichem gibt es aber auch viel Bezauberndes in Syrien zu erleben: Wo kann man schon das Vater Unser in der Originalsprache, nämlich Aramäisch hören, also der Sprache von Jesus Christus? Und: Wo saß der heilige Simeon genervt von Fans und weise predigend auf einer 18 Meter hohen Säule?

In Syrien natürlich!

Freitag, 30.10.2009: Der leere Nagel

Stefanie Markert in der Omajadenmoschee (Foto: DW)
Stefanie Markert in der OmajadenmoscheeBild: DW/Markert

Es ist kurz vor Mitternacht und ich bin pflastermüde. Der Tag hatte mit einem Morgenspaziergang über den erwachenden Suq begonnen. Ein Sinneserlebnis: Händler schieben quietschende Handkarren, Fahrradfahrer bimmeln sich den Weg frei, der Mandelröster hat seine Trommel angeschaltet, die aussieht wie ein Betonmischer.

Gewürze auf dem Basar von Damaskus (Foto: DW)
Gewürze auf dem Basar von DamaskusBild: Stefanie Markert

Der Duft mischt sich mit dem von Kaffee und Kardamom am Stand gegenüber. Dort prasseln Kaffeebohnen in einer ähnlich großen Maschine. Im Gewürzmarkt sind Safran und Kurkuma zu feinen Häufchen aufgeschüttet. Eine Ecke weiter spuckt ein Backofen aufgeblähte Fladenbrote auf ein Fließband.

Mode-Tipps vom Imam

Stand mit frischem Brot (Foto: DW)
Stand mit frischem BrotBild: Stefanie Markert

Nach 16 Stunden auf den Beinen sinke ich auf mein Hotelzimmerbett. Klicke mich durch Dutzende Fernsehsender der arabischen Welt. In einer Talkshow mit englischen Untertiteln wird beraten, wie man liberalen jungen Frauen das Schleiertragen schmackhaft machen kann. Der Moderator schlägt vor, man solle doch verschleierte Barbie-Puppen auf den Markt bringen, damit die Kleinen den Dresscode schon mal üben können. Ein anderer Sender überträgt die Predigt aus einer Moschee in Indien. Der Imam sagt den Männern vor ihm auf Englisch: „Eure Frauen müssen sich nicht unbedingt schwarz verhüllen, auch weiß, blau oder elfenbein passen, aber dann haben sie mehr zu waschen!“ Nachrichten, Actionfilme, Seifenopern – ich habe genug. Mein Blick schweift vom wandbefestigten Bildschirm etwas nach rechts, über den großen Spiegel. Sitzt da eine dicke Fliege, irgendein Insekt, das meine eh schon kurze Nachtruhe stören könnte? Ich rücke meine Brille zurecht und sehe: Es ist ein kräftiger dicker Nagel. Ein Nagel, an dem nichts hängt.

Die Porträts des Präsidenten

Syriens Prasident Bashar al-Assad (Foto: DW)
Syriens Prasident Bashar al-AssadBild: Stefanie Markert

Er ist aber genau dort platziert, wo normalerweise ein Porträt des Präsidenten prangt. Das Bildnis Bashar Al-Assads. Ich überlege mir, welches offizielle Porträt wohl in meinem Zimmer Nr. 104 gehangen hat. Vielleicht das, auf dem der 44-jährige so melancholisch aus seinen blauen Augen blickt, dass man ihm ein Taschentuch reichen möchte. Ob er bei der Aufnahme an die tragischen Umstände seiner Amtsübernahme gedacht hat? Es war der Unfalltod seines älteren Bruders, der ihn nicht Augenarzt, sondern Thronfolger werden ließ.

Für Honey Mooner könnte das Hotelpersonal den Nagel mit einem Exemplar bestücken, das ich auf der nördlichen Einfallstraße nach Damaskus gesehen habe: Der junge hochgewachsene Präsident scheint seinen Untergebenen kraftvoll und fröhlich entgegenzuwinken. Über ihm regenbogenförmig ein Kranz aus Dutzenden rosa Herzen in verschiedenen Größen.

Präsident Assad ganz volksnah (Foto: DW)
Präsident Assad ganz volksnahBild: Stefanie Markert

Für ältere Hotelgäste empfiehlt sich die Retrovariante. Der junge Bashar in bunt, neben seinem verstorbenem Vater, Expräsident Hafez – in schwarz-weiß. Nur die Losungen sind verwirrend. Auf manchem Plakat steht: Ja zur Erneuerung! Auf den Postern mit Hafez aber: Wir sind weiter auf Deinem Weg! Dabei hatte der Vater Syrien sehr viel strenger im Griff.

Westliche Diplomaten mutmaßen, man könnte am aufgehängten Plakat ablesen, wes Geistes Kind der Besitzer ist. Also der melancholische Bashar beim Regimekritiker, der volksnah-fröhliche beim Parteigänger? Ob diese „Kreml-Astrologie“ auch unter Damaszener Minaretten gilt? Fragt man die Bürger, so sind sie von ihrem Präsidenten und seiner schönen, weltgewandten, in London geborenen First Lady Asma angetan. Wie viel Kritik aber in den Köpfen verborgen steckt, ist schlecht messbar.

Plakat als Sonnenschutz (Foto: DW)
Den Präsidenten nebst Vater und Brüdern gibt es auch als Sonnenschutz fürs Auto.Bild: Stefanie Markert

Ein letzter Ratschlag für die Chefs des Hotel Europa. Für anreisende Teenager, Biker Gangs oder Angehörige der Sicherheitskräfte ist das Plakat „Bashar Al-Assad mit schwarzer Sonnenbrille“ zu empfehlen. Das hängt auch überall im Lande. Nicht nur das: Den Assad-Clan gibt es sogar als Sonnenschutz für die Heckscheibe der Autos. Bleiben mir - um den Kreis zu schließen - die Worte: Welcome to Syria!

Autorin: Stefanie Markert

Redaktion: Birgit Görtz