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"Mein Einsatz": Musik als Schlüssel zur Integration

Die Fragen stellte Annabelle Steffes.12. Januar 2016

Mit Stimme, Schlagzeug und Gitarre helfen Kölner Musikproduzenten Flüchtlingskindern, in Deutschland anzukommen. Und das Tür an Tür: Das Tonstudio teilt sich das Gebäude mit einer Flüchtlingsunterkunft.

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Martin Jungck (Foto: F. Stürtz)
Bild: F. Stürtz

Schriftsteller, Musiker, Künstler, Theaterleute – viele sehen sich als Bürger dieser Welt und nutzen ihre Popularität, um zur Solidarität mit Flüchtlingen aufzurufen, Spenden zu sammeln oder aufkeimenden Rassismus zu kritisieren. Woher kommt ihr Engagement? Drei Fragen, drei Antworten: unsere DW-Serie "Mein Einsatz".

DW: Wie setzen Sie sich für Flüchtlinge ein?

Martin Jungck: Was wir konkret machen, ist, dass wir dreimal in der Woche von unserem Studio aus kostenlose Workshops anbieten für die Flüchtlinge im Flüchtlingsheim, das direkt im gleichen Gebäude ist. Das heißt, wir sitzen unten im Gebäude und betreiben ein Tonstudio, oben ist ein Flüchtlingsheim, und dreimal in der Woche kommen ein paar der Kinder runter und lernen entweder rappen, das ist dann ganz speziell bei mir, oder Schlagzeug und Gitarre, diese Workshops finden bei anderen Musikern statt.

Es war so, dass wir mit unserem Studio in diesem Gebäude waren, bevor das Flüchtlingsheim hier einzog. Eigentlich hätten wir gehen sollen, und es hat uns dann lange Zeit gekostet, bis wir uns mit der Stadt so zusammengefunden hatten, dass wir auch drin bleiben konnten. Das heißt, wir haben viel Wirbel gemacht, bis wir die Stadt überzeugen konnten, dass es auch für die Flüchtlinge gut ist, wenn eine Firma hier drin ist. Gerade eine, die Musik macht, weil man Musik als interkulturelles Medium, das sozusagen sprachlich unabhängig funktioniert, super einsetzen kann, um einen Kontakt herzustellen zwischen den Flüchtlingen und uns. Wir mussten viel kämpfen, um das zu erreichen. Letztendlich hat es dann aber geklappt, und so konnten wir die Flüchtlinge dann auch direkt begrüßen: Das war während der Fußballweltmeisterschaft, da haben wir uns erst mal draußen hingesetzt, um ein Public Viewing zu machen. Und nach und nach haben wir einen Kontakt zu den Kindern hergestellt und sie dann zu uns ins Tonstudio geholt, und seitdem sind sie permanente Gäste bei uns.

Warum tun Sie das?

Ich glaube, dass es ganz ganz wichtig ist, dass Flüchtlinge nicht nur offizielle Personen zu Gesicht bekommen: Leute von Ämtern oder offizielle Sozialarbeiter, sondern dass sie mit Bürgern Kontakt haben, die anders mit ihnen umgehen können. Wir können wie ganz normale Menschen mit ihnen umgehen, wir haben keine direkten Verpflichtungen sozusagen, uns nach irgendeinem Code zu benehmen. Wir sind Musiker, wir sind auch ein bisschen bescheuert und gehen auch so mit den Flüchtlingen um. Wenn die uns nerven, können wir das einfach sagen, wenn wir was Lustiges mit denen machen wollen, dann können wir das einfach machen. Sie haben Kontakt zu ganz normalen Deutschen, aber wir haben auch Holländer und kolumbianische Leute mit im Studio drin - das heißt ganz normale Menschen, die in keiner direkten Funktion stehen, und dadurch lernen die Jugendlichen ganz anders deutsches Leben kennen. Das ist ein Punkt.

Der zweite Punkt ist, dass man Sprache näher bringen kann auf ganz andere Weise. Zum Beispiel beim Rap-Kurs: Da schreiben wir auf Deutsch Texte, und die können ganz einfach sein und müssen auch nicht viel Sinn haben. Die Kinder lernen Worte und Sätze, und sie lernen die sozusagen über die Musik. Sie haben dabei Spaß und merken sie sich, weil es eine Reimstruktur gibt und eine Rhythmusstruktur, die unabhängig von Sprache funktioniert. Und das ist so ein zweiter Punkt, sich der Sprache zu nähern.

Workshop mit Flüchtlingskindern im Parkhaus Studio (Foto: Parkhaus Studio)
Kommen gut miteinander aus: Die Kinder aus dem Flüchtlingsheim und die MusikerBild: Parkhaus Studio

Und der dritte ist einfach eine Beschäftigung. Es ist natürlich so, dass viele der Eltern auch nicht wirklich Beschäftigung haben - es gibt ja verschiedene Stadien, die Flüchtlinge haben dürfen, und zumindest ein Großteil der Eltern, die jetzt nicht arbeiten dürfen oder wie auch immer, hat jetzt ja nicht viel zu tun. Und bei den Kindern sieht das ähnlich aus. Sie gehen zumindest zur Schule, aber wir geben ihnen darüber hinaus eine regelmäßige Beschäftigung. Für viele der Kinder ist sehr wichtig, dass sie zu einem bestimmten Wochentag eine bestimmte Beschäftigung machen und sich daran gewöhnen. Sie freuen sich auch, dass sie sich weiterentwickeln oder dass sie Dinge lernen. Das sind drei der wichtigen Punkte.

Was möchten Sie bewirken?

Ganz viele Sachen. Einmal, dass man den Kindern eine Chance geben kann, vielleicht später etwas damit zu machen. Sei es nur, dass sie einen besseren Kontakt gehabt haben oder besser Deutsch lernen. Aber es kann ja auch sein, dass das eine oder andere Kind später musikalisch damit was machen kann. Vielleicht eröffnen wir manchen Kindern Chancen für die Zukunft, für alle anderen Kinder erzeugen wir einfach schöne Momente.

Ein anderes ist, zu zeigen, dass das funktioniert, wenn Firmen und Flüchtlinge in einem Haus untergebracht sind. Dass man keine Angst haben muss, 'ah da ist jetzt ein Flüchtlingsheim, was da nicht alles passieren kann und so'. Wir sind ein Tonstudio, hier steht einiges an Wert, aber das funktioniert und man durchbricht dieses 'Wir' und 'Sie'. Das heißt, wir gehören für die Bewohner auch irgendwie zu diesem Heim, auch wenn wir räumlich getrennt sind. Man schafft trotzdem eine räumliche Nähe und kann dadurch auch zeigen, dass so was funktionieren kann. Vielleicht funktioniert das auch langfristig so gut, dass die Preise für die Stadt runtergehen, um solche Gebäude anzumieten. Das haben wir in unserem ganzen Kampf auch mitgekriegt, wie viel die Stadt zahlen muss, um Unterbringung zu kriegen für Flüchtlinge.

Das sind zwei Punkte, und der dritte Punkt betrifft nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch uns selbst: Wir lernen, dass man keine Angst haben muss, dass man einfach Dinge tun und einfach Kontakt herstellen muss. Dann sieht man die wirklichen Probleme und nicht nur die, die einem sonst immer präsentiert werden, die man aus sozialen Netzwerken oder den Medien kennt. Man sieht dann, was wirklich vor Ort passiert, und erlebt es sozusagen mit und kann dadurch dieser ganzen Hysterie entgegentreten und dann anders damit umgehen. Um das runter zu brechen: Dadurch, dass eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen Flüchtlingen und Einheimischen eintritt, dadurch, dass es ganz normal ist, mit Flüchtlingen umzugehen, lernt man auch viel mehr über die vorhandenen Probleme, aber auch über die schönen Seiten, die es im Umgang gibt.

Es ist ganz unterschiedlich, wie sich das Verhältnis mit den Kindern entwickelt hat. Wir sind sehr gerne gesehen oben. Die Kinder freuen sich immer, aber es gibt natürlich auch Kinder, mit denen man besondere Verhältnisse entwickelt, und welche, mit denen man nicht so viel zu tun hat. Wir haben hier immer zwei, drei Kinder, die öfter nach unten kommen und die wir auch alleine ins Tonstudio lassen. Zu anderen Kindern findet man manchmal auch keinen Zugang, denn manche sind vielleicht so traumatisiert oder haben so viel um die Ohren, dass es schwierig ist, in der Zeit, die uns zur Verfügung steht, sehr nah an sie ranzukommen.

Im Kölner Parkhaus Studio nahmen schon erfolgreiche Künstler wie Clueso, Stefanie Heinzmann oder Maxim ihre Platten auf. Um ihr aufwändig ausgebautes Studio behalten zu können, entwarfen die Besitzer Martin Jungck und Matthias Mörs ein ambitioniertes Integrationskonzept, um sich das Gebäude mit den Flüchtlingen teilen zu können: Auf fast 20 Seiten schlugen sie unter anderem vor, ein Integrationscafé und einen Gemeinschaftsgarten aufzubauen. Mittlerweile haben sich die drei wöchentlichen Musikworkshops etabliert. Für Jungck und Mörs ein Anfang. Sie arbeiten außerdem an der Umsetzung weiterer Integrationsideen.