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Von Deutschland lernen, heißt Waldorfschule besuchen

Zhang Danhong18. Februar 2016

Das hohe Ansehen Deutschlands in China treibt mitunter seltsame Blüten. Eine davon ist der Hype um die Waldorfschule. Über 200 soll es inzwischen geben. Dafür hat unsere Kolumnistin Zhang Danhong nur bedingt Verständnis.

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Schüler Pausenhof
Die Waldorfschule in Stuttgart - die erste weltweitBild: picture-alliance/dpa

Eins muss man dem Übersetzer lassen, der das Wort "Waldorf" ins Chinesische transferiert hat. Die drei Zeichen 华德福 (hua de fu) haben zwar phonetisch nicht viel mit "Waldorf" zu tun, semantisch ergeben sie aber einen tieferen Sinn. "China, Deutschland, Glück", so die Bedeutung der Zeichen. Dem Muttersprachler wird suggeriert, dass China sich glücklich schätzen kann, wenn es das deutsche Modell übernimmt - in diesem Fall das Modell der Waldorfschule.

Genial, oder? Dabei war Rudolf Steiner, Gründer der Waldorfschule, gar kein Deutscher. Nun war er (leider) nicht der einzige Österreicher, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland den idealen Ort für die Verbreitung seiner Ideologie sah. Wer jetzt an Adolf Hitler denkt, liegt gar nicht so verkehrt. Was die steinersche Anthroposophie und den Nationalsozialismus verbinde, sei der Rassismus, sagt Stefan Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien: "Sie schöpfen aus dem selben Fundus. Steiner hatte völlig skurrile Auffassungen über die Schwarzen, die Roten und die Gelben. Der Unterschied zu Hitler ist: Steiner war kein Faschist."

Reifer Deutscher und pubertierender Chinese

Was hatte er über die "Gelben", also auch die Chinesen, gesagt? "Die gelbe Rasse hat laut Steiner ein anders geformtes Gehirn und nimmt das Licht auch anders auf. Für Steiner repräsentiert der Arier den Erwachsenen der gegenwärtigen weltgeschichtlichen Epoche. Die gelbe Rasse ist die Pubertierende, die Heranwachsende", erläutert Hopmann.

Über diese neue Erkenntnis habe ich einen Tweet verfasst und im chinesischen Twitter, Weibo, veröffentlicht - Provokation verstehe ich als Teil meiner Berufung. Über 200.000mal wurde er gelesen und hundertfach kommentiert. Dabei erweisen sich die Steiner-Fans in China als großzüzig: "Was soll's? Rassismus war eben der damalige Zeitgeist." "Für mich zählen Freiheit und Kreativität, die an den Waldorfschulen groß geschrieben werden."

Rudolf Steiner
Rudolf Steiner, Gründer der AnthroposophieBild: Rudolf Steiner Archiv

Das sieht der Wiener Bildungsexperte anders. "Jedes Kind ist laut Steiner schon definiert, wenn es auf die Welt kommt. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, das Kind in Übereinstimmung mit seiner Bestimmung zu bringen. Du sollst so werden, wie wir wissen, dass Du bist", sagt mir Hopmann im Interview.

Eine komplette Waldorf-Welt

Die Anthroposophie sei eine eigene Welt mit einer kompletten Theorie. "Steiner war der festen Überzeugung, dass er den gesamten Geschichtsfluss nicht nur rückwärts überblicken, sondern auch in die Zukunft schauen könnte", so Hopmann. "Die Waldorfschule hat ihm die Möglichkeiten gegeben, seine Idee zu praktizieren. Es ist nicht nur die Schule, sondern alles, von der Kleidung bis zur Bank."

Das klingt alles nach einem Paralleluniversum, nach einer Sekte. Den Eindruck muss man zumindest von den Waldorfschulen in China haben. Ein Vater schildert mir, dass die Waldorf-Ableger in China oft am Stadtrand gebaut werden. Da sich die Eltern stark einbringen müssen, werden sie mehr oder minder gezwungen, in die Nähe der Schule zu ziehen. So entsteht mit der Zeit eine Waldorf-Gemeinde. Oder anders gesagt: Die Familien leben zunehmend isoliert.

Eine teure Alternative

Für diese Isolation zahlen die Eltern auch noch einen hohen Preis. Für umgerechnet 500 Euro im Monat ist ein Platz in der Waldorf-Gemeinde sicher, je nach Stand der regionalen Wirtschaftsentwicklung kann der Betrag darunter oder darüber liegen. Die finanzstarke Mittelschicht sucht nach einem alternativen Schulmodell, bei dem ihr einziges Kind nicht dem wachsenden Notendruck ausgeliefert ist.

Auch in Deutschland werde die Entscheidung für eine Waldorfschule primär aus der Ablehnung der Regelschule getroffen, ist Hopmann überzeugt. Die Eltern gehören seiner Meinung nach zum "verunsicherten Bildungsbürgertum" - erschreckt von der Dynamik und der Brutalität der modernen Welt. Von Rudolf Steiner und seinen Ideen hätten die meisten indes keine Ahnung.

Prof. Stefan Hopmann von der Universität Wien Österreich Porträt
Professor Stefan Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität WienBild: Wilke

Diese Blauäugigkeit muss keine schlimmen Folgen für die Kinder nach sich ziehen, denn der Sektencharakter ist hierzulande unterschiedlich ausgeprägt. So berichtet Ferdinand Küpper, ein ehemaliger Waldorf-Schüler in Köln, von einer im Großen und Ganzen glücklichen Schulzeit. Das kritische Hinterfragen sei nicht nur erlaubt, sondern auch willkommen. Zudem habe Rudolf Steiner während der Schullaufbahn keine Rolle gespielt.

Überhaupt ist die Waldorfschule in Deutschland eher eine Randerscheinung, eine von mehreren alternativen Schulformen. Gelegentlich wird über das Tanzen des eigenen Namens gelästert, ansonsten gibt es dort Überflieger und Versager wie auch an allen anderen Schulen.

Zhang Danhong Kommentarbild App
DW-Redakteurin Zhang Danhong

Hauptsache deutsch

Ganz anders die Wahrnehmung in China. Dort wird die Tatsache, dass die Waldorfschule in Deutschland als eine Ersatzschule in freier Trägerschaft anerkannt und folglich vom Staat bezuschusst wird, von den Steiner-Fans so verdreht, als würde die Schule ausdrücklich vom Staat gewürdigt und gefördert. Mainstream-Medien drucken unkommentiert Artikel von chinesischen Waldorf-Direktoren, die Rudolf Steiner verherrlichen und Unwahrheiten verbreiten. Dazu gehört, dass die Waldorfschule die weltweit am schnellsten wachsende, nichtreligiöse Alternativschule sei. Beides stimmt nicht. Immerhin betreibt die Schule eine eigene Kirche. Der stellvertretende Chefredakteur der wichtigsten chinesischen Internetseite für Bildung entpuppt sich als ein glühender Anhänger der Anthroposophie.

Hier lauere eine besondere Gefahr, meint der Wiener Bildungsexperte Stefan Hopmann, weil die Schriften von Steiner höchst selektiv in andere Sprachen übersetzt würden: "Sie werden seine Rassenlehre selten übersetzt finden, oder auch seine Karmalehre." So werden die Chinesen nicht die Stellen zu lesen bekommen, bei denen ihnen schlecht werden könnte.

Dass die Schulform aus Deutschland stammt, ist für einige chinesische Eltern schon Grund genug, um ihr Kind dorthin zu schicken. Die Deutschen bauen die besten Autos, brauen das leckerste Bier, haben viele Nobelpreisträger hervorgebracht, also muss auch ihre Schule unschlagbar sein. Gegen dieses Totschlagargument kommt die Vernunft meistens nicht mehr an.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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