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Operieren oder Handauflegen?

Zhang Danhong7. Januar 2016

"Eine unnötige Operation ist immer riskanter als ein unnötiges Handauflegen." - Eine Weisheit von Eckart von Hirschhausen. Manchmal ist weder das eine noch das andere notwendig, meint unsere Kolumnistin Zhang Danhong.

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Dr. Eckart von Hirschhausen
Kabarettist und Arzt Dr. Eckart von HirschhausenBild: Frank Eidel

Vor gut einem Jahr wurde ich auf einmal von heftigen Schmerzen in der linken Schulter heimgesucht. "Du hast eine leichte Entzündung in der Schulter. Das geht vorbei", sagte mein Mann wie immer gelassen.

Als es nach zwei Monaten nicht besser wurde, ging ich zum Orthopäden. Sofort wurde eine Untersuchungsmaschinerie in Gang gesetzt: Meine Schulter wurde geröntgt, um Knochenbruch oder Sehnenriss auszuschließen. Ich wusste auch so, dass ich beides nicht hatte. Aber der Doktor wollte unbedingt die letzte Gewissheit. Dann schickte er mich zu einem orthopädisch-radiologischen Zentrum. Die Röhre hämmerte und piepte bei der Tomographie, so dass ich trotz Liegeposition nicht abschalten konnte. Nach vierzig Minuten war ich erlöst. Der Arzt überreichte mir hundert kleine Bilder vom Innenleben meiner Schulter und sagte mir: "Sie haben eine leichte Entzündung in der Schulter." Na toll, die Diagnose hatte mein Mann bereits kostenfrei gestellt.

Zurück zum Orthopäden in der Praxis: Er wies mich auf eine Einengung des subacromialen Raumes, also des Raumes zwischen dem Schulterblatt und dem Schultereckgelenk, von sechs Millimeter (normal wären acht Millimeter) hin, die wahrscheinlich die Entzündung ausgelöst hätte. Ich sollte mich deswegen einer physiotherapeutischen Behandlung unterziehen. Bei nicht ausreichendem Erfolg wurde mir eine operative Erweiterung des subacromialen Raumes in Aussicht gestellt.

Zhang Danhong Kommentarbild App
DW-Redakteurin Zhang Danhong

Das kommt mir als Wirtschaftsredakteurin sehr bekannt vor, weil vor allem ökonomisch motiviert: unnötige teure Untersuchungen mit einer anschließenden OP-Empfehlung. Es kann doch gut sein, dass wir Asiaten ohnehin etwas kompakter gebaut sind; und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Operation andere Probleme auslöst.

Viele OPs dienen nur dem Wohl der Ärzte

Unterstützung fand ich indirekt bei Dr. Eckart von Hirschhausen, dem Gründer des medizinischen Kabaretts. In seinem Bühnenprogramm "Wunderheiler" berichtete er von seinem Knieleiden und der operativen Entfernung des defekten Meniskus. Nach dem Motto: Was weg ist, kann nicht wehtun. "Das Knie tut immer noch weh. Aber jetzt anders", so von Hirschhausen. Mehr als eine halbe Million solcher Eingriffe werden jedes Jahr in Deutschland durchgeführt. Mindestens die Hälfte davon ist laut dem bekannten Kniespezialisten Hans Pässler überflüssig.

Dabei ist das Knie längst nicht das einzige Organ, das die Chirurgen gewinnbringend bearbeiten. Auch am Herz wird herumgebastelt, was das Zeug hält. "Eine Statistik zeigt, dass in Deutschland im Schnitt dreimal häufiger Herzkatheter zum Einsatz kommen als in anderen Ländern", berichtet das Magazin der Wochenzeitung "Die Zeit". Mit immer fortschrittlicheren Geräten stellen Ärzte immer mehr Diagnosen, die nach immer mehr Eingriffen und Medikamenten schreien.

Ayurveda oder TCM - Hauptsache alternativ

Immer mehr Deutsche treten die Flucht nach vorne und wenden sich der Alternativmedizin zu. Für Eckart von Hirschhausen ist die Alternativmedizin keineswegs ein Phänomen der modernen Zeit: "Sie hat eine lange Tradition in der deutschen Romantik als Gegenentwurf zur Aufklärung und Industrialisierung." Dazu komme der tiefe Wunsch nach Wundern, und je fern-östlicher, desto besser. "Menschen aus Deutschland fliegen nach Sri Lanka, um sich ungetestete Kräutermischungen in den Popo träufeln zu lassen, nach strengen uralten ayurvedischen Lehren. Im Gegenzug fliegt jeder, der es sich auf Sri Lanka leisten kann, zur Diagnostik und Therapie nach Wiesbaden und London", sagt mir von Hirschhausen.

Diese Beschreibung trifft zum Teil auch auf die traditionelle chinesische Medizin (TCM) zu, eine immer mehr anerkannte Alternativmedizin. Akupunktur und Kräutermixturen in den wenigen TCM-Kliniken hierzulande erfreuen sich eines großen Andrangs, obwohl die Leistungen nicht von der Gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden. Umgekehrt wenden sich viele Chinesen von der alten Tradition ab, weil TCM ihrer Meinung nicht wissenschaftlich fundiert ist.

Traditionelle Chinesische Medizin in Ottobeuren
Schröpfglocken sollen Schmerzen lindernBild: picture-alliance/dpa

Auch diese Entwicklung blickt auf eine lange Tradition zurück. Sie begann mit der Forderung der jungen Intellektuellen nach einer Verwestlichung der chinesischen Gesellschaft während der 4. Mai-Bewegung im Jahr 1919. Sie sahen in der alten Kultur den Grund für Chinas Rückständigkeit. Der allgemeinen Abkehr von den Traditionen fiel auch die chinesische Medizin zum Opfer.

Klare Trennung macht wenig Sinn

Von einer Unterscheidung zwischen Schul- und Alternativmedizin hält der medizinische Kabarettist von Hirschhausen allerdings wenig. "Noch nie habe ich gehört, dass es eine 'Alternativmathematik' gäbe. Oder 'Komplementär-Maschinenbau'. Warum akzeptieren wir so selbstverständlich, dass es zur Medizin eine 'Alternativmedizin' mit eigenen Gesetzen geben soll?" Seiner Meinung nach spiegelt die Spaltung der Medizinwelten die Spaltung in uns: "Wir haben Sehnsüchte und spirituelle Bedürfnisse und gleichzeitig gefühlt Anspruch auf perfekte Reparatur mit Garantieverlängerung auf 100 Jahre." Auch seine Tätigkeit als Arzt und Komiker will von Hirschhausen nicht getrennt sehen. Wenn er gefragt werde, wie er auf die verrückte Idee kam, aus der Medizin in den Unterhaltungsbereich zu wechseln, fragt er zurück: "Wer sagt, dass es sich um zwei verschiedene Bereiche handelt?"

Dr. Eckart von Hirschhausen
Lachen ist die beste MedizinBild: Det Kempke

So sorgt der Komiker mit seiner Stiftung "HUMOR HILFT HEILEN" für ein gesundes Lachen im Krankenhaus - auch eine Art Alternativmedizin. Und seine ärztlichen Ratschläge sind zeitlos aktuell. Zum Beispiel: "Bei jeder ernsthaften bedrohlichen Erkrankung würde ich für mich und jeden anderen evidenzbasierte Medizin empfehlen." Dabei lohne es sich, fünf Fragen zu stellen, um eine ökonomisch motivierte Überversorgung abzuwehren: "Was ist der Nutzen? (Manchen Ärzten muss man dazu erklären: Der Nutzen für mich als Patient!) Was ist der mögliche Schaden? Wo ist der Beweis? Was passiert, wenn wir erst einmal nichts tun und den Verlauf beobachten?“ Und die letzte Frage: "Würden Sie das, was Sie mir empfehlen, auch an sich selber und Ihren Angehörigen einsetzen?"

Die Schmerzen in meiner linken Schulter bin ich übrigens nach zehn Physiotherapie-Sitzungen und etlichen Fitness-Einheiten losgeworden.