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Mein Berlinale-Tagebuch 2

13. Februar 2010

Kulturredakteur Jochen Kürten ist auf der Berlinale und schreibt von dort ein Tagebuch. Am Tag zwei hat er die Filme "Howl" und "Ghost Writer" gesehen.

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Jochen Kürten von der Berlinale 2010 (Foto:DW)
Jochen Kürten von der Berlinale 2010Bild: DW

An manchen Berlinale-Tagen kommt vieles zusammen. Filme, die scheinbar miteinander korrespondieren, die zu den Nachrichten des Tages eine unsichtbare Beziehung aufnehmen, auch zu den Kommentaren und Berichten der Magazine und Feuilletons. Manche Berlinale-Tage bewegen sich so in einem Netz von Neuigkeiten, von Sprache und Schrift. Der Freitag war so ein Tag, der ein solches Thema hatte. Zumindest hatte ich diesen Eindruck.

Polanskis "Ghost Writer"

Früh am Morgen lief der Film "Howl" des amerikanischen Regie-Duos Robert Epstein und Jeffrey Friedman, im Anschluss daran konnte man Roman Polanskis neuestes Werk "Ghost Writer" sehen. Natürlich könnte man jetzt über Polanski philosophieren und die Geschichte eines Schriftstellers, der die Memoiren für einen britischen Ex-Premier verfassen soll, in Beziehung setzen zu der derzeitigen Situation des Regisseurs. Die moralischen Fesseln des fiktiven Ghost Writers in dem Ferienhaus an der Küste mit den ganz realen am Fuße des Regisseurs in seinem Schweizer Chalet in Verbindung bringen. Geschenkt.

Mir ging ganz anderes durch den Kopf. Als ich am Freitag früh vor der ersten Vorstellung am Morgen die Zeitungen aufschlug und in den Kulturteilen blätterte, sprang mir die Diskussion über die Plagiatsvorwürfe gegen die junge Helene Hegemann entgegen. Stellungnahmen und Interviews, kritische sowie wohlwollende Stimmen. Und dann diese beiden Filme. Auch in ihnen ging es um Literatur und um die Frage, inwiefern das Geschriebene mit einem Selbst zu tun hat, auf welchen Erfahrungen es basieren solle oder gar müsse.

"Howl" von Robert Epstein und Jeffrey Friedman

"Howl" ist eine Auseinandersetzung mit einem Gedicht des Beatnik-Poeten Alan Ginsberg aus dem Jahre 1955. Das führte damals aufgrund seiner Thematik und drastischen Sprache zu Protesten amerikanischer Konservativer. Auch zu einem Gerichtsverfahren. Der Vorwurf, obszönes Schrifttum zu verbreiten, wurde am Ende fallengelassen. "Ghost Writer" schließlich stellt hinter seiner eleganten Thrilleroberfläche Fragen: Darf man für einen anderen Menschen arbeiten, das heißt in diesem Falle Schreiben, wenn dieser Mensch moralisch verwerflich handelt? Und: Kann man sich überhaupt "hineindenken" in das Leben eines Anderen, das man doch möglichst wahrhaftig zu Papier bringen soll?

Ein Freund des Beat-schriftstellers Allen Ginsberg war Jack Kerouac, der in "Howl" auch auftaucht. Der Name Kerouac fällt öfters in der Diskussion um Helene Hegemann. Überhaupt sind viele Wurzeln der Autorin, oder besser: der Blogger, bei denen sich Hegemann bedient hat, bei den amerikanischen Beatnik-Meistern zu finden. Polanskis Film nähert sich dem Thema von einer anderen Seite. Ihm geht es neben der klassischen Kinofabel auch um die Frage, inwiefern Texte, die doch eigentlich tatsächlich Geschehenes schildern sollen, auf fiktives oder sogar manipuliertes Material zurückgreifen. Und wem man in dem ganzen Spiel um Manuskripte überhaupt noch trauen kann. Übrigens meldeten die Zeitungen genau an diesem Freitag, dass britische Geheimdienstmitarbeiter gemeinsam mit der CIA muslimische Terrorverdächtige verhört und gefoltert haben sollen. Das sind haargenau die Vorwürfe, die man dem britischen Ex-Premier im Polanski-Film macht. Alles Zufall? Alles Zufall! Aber auch wieder ein Beweis dafür, wie tief das Kino manchmal verwurzelt ist in den Zeitläuften, wie nah sich Film und Tagesgeschehen kommen können. Und wie ein Festivaltag das manchmal magisch verdichten kann.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Annamaria Sigrist