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War Polizei vor Sikh-Tempel-Anschlag gewarnt?

24. Mai 2016

Das Attentat auf einen Essener Sikh-Tempel im April kam nicht überraschend - die Behörden waren laut Medien alarmiert. Mehrere Hinweise, die vor dem Bombenwurf bei der Polizei eingingen, seien verschlafen worden.

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Ein Polizist nach dem Anschlag auf den Essener Sikh-Tempel am 16. April (Archivbild: dpa)
Anschlag mit Ansage? Ein Polizist nach dem Attentat auf das Essener Sikh-Heiligtum am 16. AprilBild: picture alliance/AP Photo/M. Kusch

Blutiges Ende einer Hochzeitsfeier: Als die indische Sikh-Gemeinde Mitte April das Fest in ihrem Essener Tempel beging, ahnte keiner der Teilnehmer, dass ein Terroranschlag bevorstand. Die Polizei indes, so legen Erkenntnisse des Rechercheverbundes von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" nahe - sie hätte die Tat womöglich verhindern können.

Bereits drei Wochen vor der Explosion in der Eingangshalle des Tempels, bei der ein Mann schwer und zwei weitere leicht verletzt wurden, hatte sich die besorgte Mutter eines Jugendlichen an die Polizei gewandt: Sie hatte im Kinderzimmer eine Kladde gefunden.

Gekrakelte Attentatsvorhaben

Mit unbeholfener Kinderschrift waren darin Pläne zur Bekämpfung von "Ungläubigen" vermerkt. Auch eine Aufgabenverteilung zwischen dem Jugendlichen und zwei Freunden stand auf dem Papier, berichtet der Rechercheverbund. Einer sollte der Anführer der Gruppe sein, ein zweiter für die Finanzierung sorgen und der dritte für den "Zusammenbau" - das bezog sich offenbar auf einen Sprengsatz.

Die Ermittler in Duisburg, an die sich die Mutter gewandt hatte, wollen den Hinweis keineswegs verschlafen, sondern sofort ein Strafverfahren eingeleitet haben. Man sei mit dem Jugendamt ebenso wie mit dem Verfassungsschutz im Austausch gewesen und habe "gefahrenabwehrende polizeiliche Maßnahmen" eingeleitet. Diese könnten mit Rücksicht auf das laufende Ermittlungsverfahren aber nicht näher beschrieben werden - so schildert der Medienverbund die Antwort der Sicherheitsbehörden.

Sicherheitskräfte vor dem Eingangsportal des Essener Sikh-Tempels (Archivbild: dpa)
Nach dem Bombenwurf: Sicherheitskräfte vor dem Eingangsportal des Essener Sikh-Tempels (Archivbild)Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Kusch

Polizei reagierte zehn Tage nach Tat

Die Kladde des Jugendlichen, deren Seiten die Mutter für die Polizei fotografiert hatte, sei allerdings erst ausgewertet worden, als es zu spät war: zehn Tage, nachdem die Jugendlichen einen Feuerlöscher mit Zünder zu einer Bombe umfunktioniert und in die Vorhalle des Tempels geworfen hatten. Das belegten Dokumente, die den beteiligten Redaktionen vorlägen, heißt es weiter.

Es wäre nur ein weiteres Versäumnis in einer Kette von Fehlreaktionen, die sich mit dem Attentat verbinden. Am Montag hatte die Polizei eingeräumt, auf einen anderen Hinweis "nicht konsequent genug" reagiert zu haben. Er stammte vom Leiter jener Realschule, die der mutmaßliche Anführer der Gruppe besuchte. Der Rektor in Gelsenkirchen hatte den Staatsschutz darüber informiert, dass der 16-Jährige auf dem Schulhof ein Video von einer Detonation herumgezeigt habe.

"Probesprengung" auf dem Handy

Pikanterweise hatte die Polizei bereits Ende vergangenen Jahres eine Hausdurchsuchung bei dem Jugendlichen durchgeführt. Erst bei der Fahndung nach dem Bombenwurf fanden die Beamten das Video mit der Explosion einer selbstgebauten Minibombe. Heute sehen die Ermittler darin eine "Probesprengung".

Schon Ende April war bekannt geworden, dass einer der Tatverdächtigen kurz in Polizeigewahrsam war - genau einen Tag vor dem Anschlag, bei dem es nach Einschätzung von Experten viele Tote und Verletzte gegeben hätte, wenn die Bombe nicht in der Eingangshalle, sondern im Hauptraum des Tempels detoniert wäre. Der Jugendliche war nach einem Einbruchsversuch festgenommen worden und konnte nach Aufnahme seiner Personalien wieder gehen. Offen bleibt, ob die Beamten damals Anzeichen für weitere geplante Straftaten hatten erkennen können.

"Kuffar-Killer" auf Facebook

Ebenfalls Ende April hatte das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen dem Landtag mitgeteilt, dass der mutmaßliche Anführer des Trios seit November 2014 am staatlichen Präventionsprogramm "Wegweiser" teilgenommen hatte, das sich an gewaltbereite Salafisten richtet. Er hatte sich zuvor auffällig aggressiv verhalten und einer jüdischen Mitschülerin angedroht, ihr "das Genick zu brechen".

Ein weiteres Mitglied der Gruppe führte ein Facebook-Profil , in dem er sich als "Kuffar-Killer" bezeichnete. "Kuffar" bedeutet: Ungläubige. Der Verfassungsschutz hatte den 16-Jährigen daher registriert. Inzwischen gilt als gesichert, dass die Jugendlichen mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" sympathisierten. Alle drei sitzen in Untersuchungshaft. Gegen sie wird wegen Verdachts auf Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und versuchten Mordes ermittelt.

Die Sikh-Religion, deren Tempel zum Anschlagsziel wurde, ist eine monotheistische Glaubensrichtung, die im 15. Jahrhundert entstand. Sie hat heute mehr als 20 Millionen Anhänger, die vor allem in Indien leben.

jj/se (dpa, afp, kna, tagesschau.de)