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Gesellschaft

Mediale Hetze gegen Flüchtlinge im Netz

Falah Elias | Kersten Knipp
5. März 2017

Im Internet kursieren zahllose Meldungen über kriminelle Flüchtlinge. Die allermeisten sind schlicht erfunden, nicht selten wohl mit Absicht. Diesen Falschmeldungen arbeiten mehrere digitale Initiativen entgegen.

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Bild: DW/Sven Falge

Ein dramatischer Anstieg der Ausländerkriminalität: Diese Meldung geistert durch die sozialen Medien - insbesondere seit dem Herbst 2015, als eine hohe Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland kam. Seitdem brodelt die Gerüchteküche, haben Falschmeldungen über kriminelle Flüchtlinge Konjunktur. Zusätzliche Wucht erhalten diese Verleumdungen durch die sozialen Medien, insbesondere durch Facebook.

Welche Legenden um die Flüchtlinge gestrickt werden, zeigt etwa die Seite hoaxmap.org. Dort werden Falschmeldungen gesammelt und auf ihre Stichhaltigkeit überprüft und im Fall des Falles richtig gestellt. Damit reagiert die Seite auf den Hass, wie er Flüchtlingen auch in einigen vermeintlich objektiven Nachrichtenseiten in organisierter Form entgegenschlägt.

Beispiel "Einzelfall-Map"

Auf der Karte "Einzelfall-Map" etwa sind, geographisch geordnet, Dutzende Vorfälle verzeichnet, die, wie die Betreiber versichern, durch Zeugenaussagen oder amtliche Mitteilungen nachgewiesen seien. Die über Google betriebene "Einzelfall-Map" ging, ebenso wie vergleichbare andere Seiten, nach den massenhaften sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/16 an den Start. Wer hinter diesen aus dem Ausland betriebenen Seiten steht, ist unbekannt.

Mats Schönauer, Journalist und Autor der Website uebermedien.de, kritisiert das Vorgehen von "Einzelfall-Map". Diese arbeite keineswegs auf seriöser Grundlage. Von den über 10.000 auf der "Einzelfall-Map" verzeichneten angeblichen Übergriffen durch Flüchtlinge haben er und sein Team 600 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Fälle untersucht.

Screenshot Einzelfall-Map Google Flüchtlingskriminalität
Die "Einzelfall-Map" sei höchst willkürlich, sagt der Journalist Mats SchönauerBild: Google/Einzelfall-Map/Screenshot

Willkürliche Vorgehensweise

Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass die Macher der "Einzelfall-Map" höchst willkürlich und selektiv vorgehen, sagt Schönauer. So erfasse sie keine Verbrechen, die von Bürgern mitteleuropäischer Staaten, etwa Polen, Kroatien, Tschechien verübt wurden. Auch die von Russen, Ukrainern und Bulgaren begangenen Verbrechen fänden in die Karte keinen Eingang. Stattdessen verweise sie ausschließlich auf - angeblich - von Arabern, Türken und Albanern verübte Verbrechen. Auch Georgier, Serben und Rumänen werden als angebliche Täter genannt. Zudem lasse sich in 70 Prozent der Fälle die ausländische Herkunft der Täter nicht zweifelsfrei nachweisen, kritisiert der Journalist.

Zwar stützt sich die Karte auch auf offizielle Polizeiberichte. Die sind allerdings oftmals eher oberflächlich in ihren Täterbeschreibungen. So heißt es etwa in einem dieser Berichte, der Verdächtige sei Anfang 20, ungefähr 1,90 Meter groß, habe schwarzes Haar und ein "südländisches" Aussehen. Eine solche Beschreibung ist von zweifelhaftem Wert - schon allein, weil sie auch auf ethnische Deutsche zutreffen könnte.

Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - findet die "Einzelfall-Map" mit ihrer vermeintlichen "Dokumentationsarbeit" Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken - und auch bei den in Deutschland aktiven russischen Medien. So bezog sich etwa das Nachrichtenportal "Sputnik" wiederholt auf die "Einzelfall-Map".

Das "Mädchen Lisa"

Doch nicht nur im Netz findet die Hetze statt. Große Aufmerksamkeit erregte zu Beginn des Jahres 2016 etwa der Fall des 13-jährigen russischstämmigen Mädchens Lisa. Das Mädchen, berichteten Medien, sei von arabischen Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden.

Russland Jahres-PK mit Außenminister Sergei Lawrow in Moskau
Schaltete sich in den Fall ein - Sergej LawrowBild: Getty Images/AFP/K. Kudryavtsev

Einige russische Medien nutzten den Fall, um mit ihm massiv gegen Flüchtlinge zu hetzen. Der Vorfall dokumentiere das Versagen deutscher Behörden, solche Fälle geheim zu halten, hieß es in russischen Medien. Daraufhin protestierten Deutschrussen, unterstützt von Rechtsextremen und einigen Anhängern der AfD vor dem Bundeskanzleramt. Ihre Parole: "Merkel muss weg".

Kurz darauf tauchte Lisa wieder auf - und erklärte, was wirklich vorgefallen war: Sie hatte Probleme sowohl in der Schule wie auch mit ihren Eltern. Darum hatte sie die Nacht, in der sie angeblich entführt worden waren, bei einem Schulfreund verbracht. Dieser stellte sich dann als volljährig heraus. 

Den entsprechenden Polizeibericht wollten einige der Demonstranten nicht glauben. Aus Moskau äußerte sich sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow. Das Mädchen sei "ganz klar nicht freiwillig 30 Stunden verschwunden gewesen", erklärte er. Die deutschen Behörden versuchten den Fall aus politischen Gründen zu entschärfen, behauptete Lawrow weiter.

Ein Selfie mit Folgen

Auch der syrische Flüchtling Anas Modamani wurde Opfer einer Hetzkampagne. Bekannt wurde Modamani zunächst durch ein Selfie, auf dem er im Sommer 2015 gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel posierte. Die ihm so zuteil gewordene Aufmerksamkeit nutzten einige Hetzer für ihre Zwecke. So wurde er fälschlich beschuldigt, einer jener Gruppe von Jugendlichen zu sein, die Ende Dezember 2016 in einer Berliner U-Bahn-Station versucht hatten, einen Obdachlosen anzuzünden. Sechs der Tatverdächtigen sind syrischer, einer libyscher Nationalität.

Daraufhin erschien im Internet ein manipuliertes Foto, auf dem fälschlicherweise auch Anas Modamani im Moment des Anschlags zu sehen war. Daraufhin schaltete Modamani einen Anwalt ein. Der forderte Facebook  auf, das Foto zu löschen. Dort war es bereits mehrere Hundert Male geteilt worden. Doch das Unternehmen weigerte sich. Die Begründung: Das Foto verstoße nicht gegen die Gemeinschaftsstandards. So wurde Modamani auf Facebook weiter des Verbrechens beschuldigt oder verbal angegriffen.

Symbolbild Facebook Hass-Kommentare
Immer wieder Plattform für gepostete HetzeBild: picture-alliance/chromorange/R. Peters

Auch musste er weitere Verleumdungen erdulden. So hieß es, Modamani sei Mitglied jener Terrorgruppe, die den Anschlag auf den Brüsseler Flughafen im März 2016 verübte. So stellte bei Facebook die rassistische Gruppe Anonymus.Kollektiv das Selfie von Modamani und der Kanzlerin neben einer der Brüsseler Terroristen, Najm Al-Ashrawi. Dieser, hieß es weiter, habe das Foto dort angeblich selbst gepostet.

Angebliche Übergriffe in Frankfurt

In eine weitere Falschmeldung war - unbeabsichtigt - auch ein etabliertes deutsches Medium verwickelt. Anfang Februar 2017 veröffentlichte die "Bild"-Zeitung einen Bericht, demzufolge in Frankfurt zahlreiche arabisch oder nordafrikanisch aussehende Männer während der Silvesternacht in Gaststätten randaliert und Frauen belästigt hätten - also eine Art Wiederholung der Vorfälle von Köln im Vorjahr. In dem entsprechenden Bericht stützte sich das Blatt auf die Aussage einer jungen Frau, die angab, angefasst und belästigt worden zu sein. Ebenso bezog es sich auf einen Wirt und zwei seiner Angestellten, die den angeblichen Vorfall bestätigten.

Doch dann erwies sich die Geschichte als Falschmeldung: Die Polizei konnte den Vorfall nicht bestätigen. Die "Bild" entschuldigte sich daraufhin öffentlich und versprach, den Ursachen der Falschmeldung nachzugehen.

Doch im Internet gehen die Verleumdungen weiter. Ob falsche Statistiken oder manipulierte "Beweise": Einer Reihe von Netz-Hetzern sind offenbar alle Mittel recht, um Flüchtlinge zu verleumden und Stimmung gegen sie zu erzeugen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika