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Measha Brueggergosman - „Es ist doch bloß Singen!“

Kai Luehrs-Kaiser 2. Februar 2010

Künstlerin des Monats Measha Brueggergosman am 7. Februar und 21. Februar jeweils um 21.05 Uhr MEZ

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Measha BrueggergosmanBild: Cylla von Tiedemann

Frau Brueggergosman, Sie haben Jessye Norman und Leontyne Price als Ihre Idole bezeichnet. Wer ist Ihnen näher?

Vermutlich Jessye Norman. Ich liebe beide Sängerinnen. Leontyne Price besonders wegen ihrer Zusammenarbeit mit Samuel Barber. Jessye Norman, mit der ich manchmal verglichen werde, für ihre Arbeit mit Michel Legrand. Als ich auf meinem ersten Album einige Titel von William Bolcom untergebracht habe, geschah das mit Seitenblick auf diese beiden. Ich mag neue Musik. Außerdem sind beide Sängerinnen großartige Frauen.

Bei Jessye Norman war immer die Rollenfrage schwierig. Bei Ihnen auch?

Ja. In dieser Saison gehe ich von Beethovens Neunter bis zu Berlioz’ „Nuits d’été“. Danach gehe ich auf Tour mit dem Ensemble Intercontemporain. Dann kommt Chausson. In Madrid singe ich Jenny in „Mahagonny“. Ziemlich durcheinander. Für mich aber eine Traumsaison.

Den Titel Ihres ersten Albums „Surprise“ vor zwei Jahren haben Sie damit erklärt, die CD sei über „the Newness of me“. Was ist neu an Ihnen?

Vielleicht: Unverblümtheit? Ich bemühe mich, ehrlich zu sein.

Warum?

Es macht zu viel Mühe, die Geheimnisse für sich zu behalten.

Machen wir einen Versuch! Warum haben Sie die Haare ab?

Meine Haare habe ich für die Anfertigung von Perücken für Krebspatientinnen gespendet. Ich hatte sehr lange Haare, als ich gefragt wurde, bloß für Elettra in „Idomeneo“, was ich damals in Toronto singen sollte, brauchte ich sie auch. Also sagte ich: Ihr kriegt mein Haar, wenn ich damit fertig bin. Ich war mit der Problematik sehr vertraut, denn meine Mutter hatte Brustkrebs. Sie hat überlebt. Sie hatte ihr Haar sehr früh abgeschnitten, bevor die Reaktionen der Chemotherapie einsetzen konnten. Drei meiner Tanten hatten dieselbe Krankheit. Allerdings denke ich nicht, dass das eine Motivation für mich war. Als ich gefragt wurde, habe ich einfach gedacht: Warum nicht! Es ist etwas, das ich hergeben kann.

Kanada Sopranistin Measha Brueggergosman
Bild: Cylla von Tiedemann

Sie selber mussten kürzlich wegen einer akuten Herzoperation mehrere Monate pausieren.

Ja, schauen Sie mal hier. (Zeigt eine lange Narbe im Brustbeinbereich. In ernstem Ton:) Wundervoll, oder? (Denkt nach.) Meine Aorta war geplatzt. Es kam vom Bluthochdruck. Ich habe zu lange dagegen angelebt – und nichts getan. Ich hatte sehr viel Gewicht abgenommen und ständig trainiert. Ich dachte, dadurch würde es sich ausgleichen. Auch dazu passt eine Familiengeschichte. Mein Vater hat drei Herzanfälle und eine Bypass-Operation hinter sich. Auch er war sehr athletisch. Und wissen Sie was, es ist nicht schwer, die richtigen Medikamente bei Bluthochdruck zu finden. Es war einfach einer der Aspekte meines Lebens, den ich immer wieder verleugnet hatte.

Hat sich Ihr Leben verändert?

Ich bin gläubiger geworden. Und ich benötige einen neuen Yoga-Trainer. Hier in Berlin besuche ich nebenan ein BIKRAM-Yoga-Studio. Man macht seine Übungen dort in 42 Grad Hitze. Es ist sehr hart. Man folgt dem Grundsatz: Der Körper ist stark, nur der Geist zeigt manchmal Schwächen. Ich habe mit dieser Methode 150 Pfund abgenommen.

Das wären etwa 68 Kilo!?

In eineinhalb Jahren. Die Operation im Juni, als Diät betrachtet, war schlimmer. Übrigens ist das Album hier in Berlin lange nach dem Abnehmen, allerdings vor der Operation aufgenommen worden. Die Stimme ist nach dem Eingriff erst einmal nach oben gerutscht. Weil der Körper geschwächt war. Mit zurückkehrender Kraft hat sie sich wieder „unten abgesetzt“. (lacht.)

Wonach wählen Sie grundsätzlich Ihre Rollen aus?

Danach, ob sie mich ansprechen. Ob ich den Charakter mag. Nicht so sehr nach technischen Gesichtspunkten. Es ist doch schließlich nur Singen! Und ich mag eben Abwechslung. Viele Sänger bevorzugen es, ein kleines, übersichtliches Repertoire zu singen. Ich nicht. Man geht sowieso dorthin, wohin einen die Stimme bringt. Die Überraschung, was das sein mag, will ich mir nicht nehmen lassen. Anders gesagt: Der Beruf ist schon so langweilig genug. Ich treffe kaum wirklich Menschen im Zusammenhang mit den Konzerten. Hinterher kann ich alleine im Hotelzimmer sitzen. Es ist immer nur ich, mit dem ich zu tun habe. Das ist mir auf die Dauer einfach zu wenig.

Man könnte es auch so ausdrücken: Es ist nicht leicht für Sie, Werke und insbesondere Rollen zu finden?

Ja, es ist kompliziert. Vielleicht auch deshalb, weil ich den Job bislang immer selber kontrolliert habe. Ich würde mich niemals einfach in einen Opernbetrieb hineinbegeben, in welchem sich eine Rolle aus der anderen ergibt. Das liegt daran, dass ich ein schwieriges Verhältnis zur Oper habe. Wenn es gut geht, ist es gut. Wenn es aber nicht ganz so gut geht, wird es fürchterlich. Außerdem kostet eine Opernproduktionen jedes Mal sechs Wochen, oft sogar länger.

Welchen Angeboten folgen Sie also?

Nur solchen, die von Leuten kommen, mit denen ich gerne zusammenarbeite. „Porgy and Bess“ in Graz, was ich wegen der OP absagen musste, hätte ich gern wegen Nikolaus Harnoncourt gemacht. Wenn ich nach Madrid gehe, so nur wegen Gérard Mortier. Nach Houston gehe ich wegen Patrick Summers. Ich schätze, dass ich nie eine Rolle einfach deswegen zusagen werde, weil ich die Rolle singen will. Es gibt zu viel Verrücktheit in der Oper von heute. Das tue ich mir nicht an.

Was meinen Sie damit?

Wenn ich Madame Ledoine in Poulencs „Dialogen der Carmeliterinnen“ annehme, möchte ich nicht in der fremden Stadt ankommen und feststellen, dass man die Oper in einem Bordell spielt. Diese Art von Lotterieproduktionen, bei denen man vor vollendete Tatsachen gestellt wird, kann ich nicht ausstehen. Alles, was ich benötige, finde ich in der Partitur. Da haben Sie mein Verhältnis zur Oper – und warum ich schwer hinein passe.

Kanada Sopranistin Measha Brueggergosman
Bild: Cylla von Tiedemann

Ist die Oper für eine Sängerkarriere immer noch das Wichtigste?

Berechtigte Frage. Was ich weiß, ist nur, dass ich meine eigene Karriere möchte, nicht eine vorgezeichnete Laufbahn. Ich möchte sie selbst aufbauen, so dass ich auch glücklich damit werden kann. Und nicht nur die, die mit mir Geld verdienen. Ich würde niemals eine Entscheidung treffen, die auf den Karriereerfahrungen von jemand anderem basiert.

Ist es nicht genau das, was man eine „Jessye-Norman-Karriere“ nennen könnte?

Vielleicht. Immerhin hat Jessye Norman dadurch großartige künstlerische Erfahrungen sammeln können. Vielleicht bessere als Sänger, die eine ,normale’ Opernkarriere gemacht haben. Und auch mir hat der Sonderweg viel gebracht. Wissen Sie, ich saß einmal in der Berliner Philharmonie in einem kleinen Probenraum gemeinsam mit Thomas Quasthoff, Daniel Barenboim und Pierre Boulez. Und dachte: Wenn du Opernsängerin wärst, würde das nie passieren! Außerdem liebe ich Kammermusik und wünsche mir viele Gelegenheiten, zu denen ich das ausleben kann.

Inwiefern war Thomas Quasthoff für Sie wichtig?

Er war sehr wichtig für mich .Ich habe mit ihm vor allem innerhalb von Meisterklassen zusammengearbeitet. Zum ersten Mal geschah das in Ravinia – „and we really hit it off“. Das klingt jetzt vielleicht schmutziger als es war. (lacht.) Wir haben gründlich zusammengearbeitet. Er war es auch, der mich zur Deutschen Grammophon empfohlen hat. Er ist ein wirklich guter Freund.

Sie sprechen sehr gut Deutsch und sind bekanntlich mit einem Schweizer namens Bruegger verheiratet, wodurch es zu Ihrem ,Doppelnamen’ kommt. Sie leben aber nicht in Europa?

Nein, wir leben in Kanada. Seit 2007 engagiere ich mich dort als Goodwill-Botschafterin der AMREF, also der African Medical & Research Foundation, und unterstütze Projekte in Uganda und Kenia. Außerdem bin ich aktiv in einem „Girls’ Education“-Programm. Ich bin eine loyale, stolze, emphatische Kanadierin. Dort möchte ich meine Steuern zahlen.

Kanada Sopranistin Measha Brueggergosman
Bild: Cylla von Tiedemann

Sie haben eine ziemlich verrückt anmutende Homepage mit Rubriken wie „Shop til you drop“, „For your Eyes only“ and „My Peeps“. Es klingt, als ob Sie eine größere Gay-Community unter Ihren Fans hätten.

Sie sind meine treuesten Fans. „They’re my people!“

Warum?

Vermutlich, weil ich mich selber wie eine Art Drag Queen fühle. Riesige Kleider, überdimensionale Wimpern, dergleichen liebe ich. Meine Garderobe ist dafür gemacht, bei Transvestiten Neidanfälle zu provozieren. An Halloween gibt es in Toronto ein halbes Dutzend Drag Queens, die als „Brueggergosman“ gehen. Ich empfinde das als das größte Kompliment, das man mir machen kann.

Wie würden Sie eine Drag Queen beschreiben, die aussieht wie Sie?

Große Afro-Perücke! Dunkel geschminkt. Und viel Leder, lang und eher eng. Möglicherweise wäre eine Karaoke-Darbietung Teil der Sache. Ich liebe Karaoke. Ich bin übrigens nicht die einzige Sängerin mit einer eigenen Drag Queen. Jessye hat eine. Renée natürlich auch. Ich wollte auch eine!

Schreckt das die seriöseren Fans nicht ab?

Wahr ist, dass zu meinen Konzerten viele Erstbesucher kommen. Bei mir wird anfangs häufig zwischen den Sätzen geklatscht. Wenn das passiert, erkläre ich, weshalb man zwischen den Sätzen besser nicht applaudieren sollte. Mir macht das nichts aus. Es ist doch schön, neue Leute da zu haben, finden Sie nicht?

Konzerttipp

Am 15. März ist Measha Brueggergosman zu Gast im Bonner Arithmeum. DEUTSCHE WELLE und FONO FORUM präsentieren das Konzert der kanadischen Sopranistin, die an diesem Abend mit Justus Zeyen am Klavier Lieder von Johannes Brahms, Franz Liszt, Wolfgang Amadeus Mozart, Richard Strauss und Francis Poulenc interpretieren wird. Verstärkung bekommt Measha Brueggergosman außerdem von jungen Gewinnern europäischer Musikwettbewerbe aus Slovenien, Russland und Norwegen. Karten und weitere Informationen unter Tel. 0228/73 87 90 oder www.arithmeum.uni-bonn.de.
Kanada Sopranistin Measha Brueggergosman CD-Cover
Bild: Universal Music