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"Eine Sündenbock-Diskussion"

Das Interview führte Neil King12. Januar 2016

Beim Zentralrat der Muslime laufen seit den Kölner Vorfällen in der Silvesternacht die Drähte heiß - es sind meist Drohanrufe. Im DW-Interview warnt der Vorsitzende Aiman Mazyek vor einer Spaltung der Gesellschaft.

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Symbolbild - Islamfeindlichkeit (Foto: Ralph Goldmann)
Bild: picture-alliance/Ralph Goldmann

Deutsche Welle: Der Zentralrat der Muslime hat seit den Vorfällen in Köln zahlreiche Drohungen bekommen. Können Sie uns schildern, wie diese Woche für Sie gewesen ist?

Aiman Mazyek: Wir haben unglaublich viele Hass-Telefonate bekommen. Man kann es schon als Telefonterror bezeichnen. Das ist eine neue Qualität. Nach solchen Ereignissen bekommen wir leider immer sehr viele Hass-E-Mails und Briefe, aber wenige Anrufe. Diese haben extrem zugenommen, obwohl man unsere Telefonnummer wirklich suchen muss. Das beunruhigt uns sehr.

Sie mussten die Telefone zeitweise sogar abstellen.

Wir konnten wegen den ständigen Beschimpfungen nicht mehr arbeiten. Wir mussten auch entsprechend polizeidienstliche Ermittlungen vornehmen.

Angesichts dessen was in Köln an Silvester vorgefallen ist, sind Sie von der Heftigkeit dieser Reaktionen überrascht oder haben Sie so etwas schon erwartet?

Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, dass es schlimmer wird als nach den Anschlägen in Paris. Ich sehe zwei Gründe für die heftige Reaktion - teilweise vom rechten Mob im Internet und in den Sozialen Netzwerken: Aufgestauter Hass und Wut haben sich angesichts der Flüchtlingsdiskussion entladen. Zweitens liegt es auch an der Unbeholfenheit mancher Medien und Politiker, die sich, anstatt besonnen zu reagieren, eher vom Mob der Sozialen Medien zu Getriebenen gemacht haben. Daraufhin entstand dann die Sündenbock-Diskussion.

Der Bundespräsident hat vor nicht all zu langer Zeit gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Ist diese Aussage jetzt in Gefahr?

Hinter der Aussage stehen viele Deutsche, aber eben nicht alle. Das war auch schon vorher so. Wir müssen aufpassen, dass sich nicht nur eine bestimmte Gruppe ständig öffentlich äußert, sondern auch der große Teil der Deutschen, die einen Beitrag zur Willkommenskultur geleistet haben. Die müssen wir im Blick haben. Der Satz polarisiert zwar, aber das ist nichts Neues. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Egal ob es Kriminelle oder Terroristen sind, sie wollen die Gesellschaft spalten - und da machen auch die Hardliner mit. Das ist die größte Gefahr. Wir müssen alles daran setzen, dass das nicht passiert.

Aiman Mazyek (Foto: DPA)
Aiman Mazyek hat den Telefonterror nach der Kölner Silvesternacht nicht erwartetBild: picture-alliance/Tagesspiegel/T. Rückeis

Was sagen Sie persönlich dazu, dass die große Mehrzahl der Angreifer aus Köln laut Polizeiaussagen aus muslimisch geprägten Ländern kommt?

Wir müssen aufpassen, dass wir daraus kein Schwarzer-Peter-Spiel machen. Ich bin dafür, dass wir soziologisch hinterfragen, welche patriarchalen Bilder es in muslimischen Gesellschaften gibt. Aber es kann nicht sein, dass viele noch in der Silvesternacht das Thema instrumentalisiert haben, um durch die Frage der Herkunft eine Sündenbock-Diskussion loszutreten - und vielleicht auch, um ein Stück weit vom eigenen Versagen abzulenken. Wir würden doch auch nicht bei einem Angriff auf ein Asylheim eines selbsternannten Verteidigers des christlichen Abendlandes, auf die Idee kommen, den christlichen Glauben als Grund zu hinterfragen. Der muslimische Glaube spielt keine Rolle für diese alkoholisierten Männer, die solche Schandtaten begehen. Nicht nur das Strafgesetz verbietet das strickt, sondern auch im Islam ist das eine Todsünde. Ich habe die Bitte, das entsprechend zu differenzieren. Man kann also gerne soziologische Fragen über ein falsches Frauenbild oder die Gewalt gegenüber der Frau in Teilen der muslimischen Welt stellen, aber bitte nicht indem man den Glauben als Folie nutzt. Das ist hochgefährlich. Wir dürfen uns nicht dieser Kollektivschuld-Diskussion hingeben.

Der ehemalige ARD-Korrespondent in Algerien, Samuel Schirmbeck, hat diese Woche in einem FAZ-Artikel geschrieben, dass sexistische Übergriffe in der arabischen Welt an der Tagesordnung sind und, dass eine Muslima in Deutschland ohne Befürchtungen in den Bus steigen könne, dass aber eine Europäerin in Nordafrika das nicht tun könne. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ich bin ein Freund der Differenzierung. Eine Frau in Nordafrika - diese Aussage ist wirklich vermessen. Es gibt bestimmt Teile in der muslimischen, afrikanischen oder nordafrikanischen Welt, wo das zutrifft. Das will ich nicht abstreiten. Aber diese Pauschalisierung finde ich anmaßend. Wenn ich mit meinen schwarzen Haaren in der Sächsischen Schweiz ab acht Uhr abends in einen Bus steige, werde ich vermutlich mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit angequatscht oder angepöbelt. Ich würde mir aber nie erlauben, daraus Schlussfolgerungen über ganz Mitteleuropa zu machen.

Viele der Flüchtlinge kommen aus muslimisch geprägten Ländern. Wie aktiv ist der Zentralrat bei der Integration dieser Flüchtlinge?

Für unsere Verhältnisse sind wir über unsere Kräfte hinaus aktiv. Vor allem leisten die Moschee-Gemeinden ganz Großartiges und oft ganz ohne Unterstützung der öffentlichen Hand. Das tun sie nun schon seit vielen Monaten und Jahren. Viele Flüchtlinge aus Syrien kamen bereits 2013 und 2014 nach Deutschland.

Aiman Mazyek ist seit 1994 Mitglied der Vollversammlung des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD). Von 2001 bis 2004 arbeitete der dort hauptamtlich als Pressesprecher. 2006 wurde er als ehrenamtlicher Generalsekretär in den Vorstand gewählt und seit 2010 ist Mazyek der Vorstandsvorsitzende.