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Mays Märchen aus 1001 Nacht

Andreas Pflitsch, qantara.de24. Juni 2004

Noch immer erfreuen sich Karl Mays Werke im Westen großer Beliebtheit. Dabei zeugen seine Bücher von Übertreibungen, Klischees und Zerrbildern der orientalischen Völker und Kulturen. Ein Orientalismus sächsischer Lesart.

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Festspiele erzählen von Karl Mays Indianerwelt - die der Autor nie sahBild: AP

Die Neigung der Menschen, Zurückliegendes zu idealisieren, ist bisweilen verblüffend. "Ach was waren das für schöne Zeiten", seufzte vor ein paar Jahren die Bunte, "als die Freundschaft von Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar unser Bild vom Islam bestimmte." In der Tat prägten die vielgelesenen Abenteuerromane Karl Mays wie Von Bagdad nach Stambul, Durchs wilde Kurdistan, oder Im Reich des Mahdi das Islam-Bild ganzer Generationen. Die besserwisserisch-herablassende Attitüde der Europäer gegenüber dem Orient, die das späte 19. Jahrhundert kennzeichnete, kommt in den Werken aber mindestens ebenso deutlich zum Ausdruck wie die Freundschaft zwischen dem Deutschen und dem Orientalen.

Im Gefängnis statt in der Wüste

Schriftsteller Karl May
Karl May wurde am 25. Februar 1842 in Ernstthal geboren.Bild: dpa

May, der aus ärmlichen Verhältnissen stammte und zunächst eine Karriere als Kleinkrimineller einschlug, die ihm mehrere Gefängnisaufenthalte einbrachte, strickte zeitlebens an seiner Legende als welterfahrener Reisender. Er gab vor, mit seinen Helden identisch zu sein und die in seinen Werken beschriebenen Reisen durch den Orient und den "Wilden Westen" selbst unternommen zu haben. Er behauptete, vierzig Sprachen schreiben und lesen zu können und bezeichnete sich als "Übersetzer für Arabisch, Türkisch, Kurdisch und Indianerdialekte".

In Wirklichkeit entstanden die Erzählungen des "großen Orientalisten und Indianertöters, des Ideals von tausend Gymnasiastenherzen", so die Augsburger Abendzeitung 1909, unter Zuhilfenahme von Konversationslexika, Atlanten, Reiseberichten und Wörterbüchern im sächsischen Radebeul. Erst 1899 unternahm der Autor seine einzige Reise in den Orient. Er mied jedoch die Gegenden, die er in seinen Reiseerzählungen so plastisch beschrieben hatte, und zog die Luxushotels vor, aus denen er große Mengen an Postkarten in die Heimat schickte.

Durchschaubare Schwarz-Weiß-Malerei

Die Abenteuer des edelmütigen Kara Ben Nemsi und seines treuherzigen orientalischen Dieners Hadschi Halef Omar entstanden in einer Zeit deutscher Kolonisationsbestrebungen. Die Helden reisen durch den Orient, um Land und Leute kennen zu lernen, die Guten zu belohnen und die Bösen zu strafen. Der Orient wird bei May als Bedrohung dargestellt; unüberschaubar erscheinen dem Leser etwa die zahllosen kurdischen Stämme mit fremdklingenden Namen, die sich untereinander ständig bekämpfen und denen man, wie Kara Ben Nemsi nicht müde wird zu betonen, nicht trauen dürfe: "Man weiß hier in den Bergen doch niemals, ob man Freunde oder Feinde vor sich hat."

Sittenlose, raubsüchtige oder träge Orientale

Die Kurden, Türken, Araber und Perser sprechen bei Karl May mit blumigen Worten und viel Pathos: "Auf seiner Zunge wuchs niemals die Lüge, und aus seiner Hand floss Wohltat über die Zelte, in denen Armut wohnte." Sie sind - der gewählten Ausdrucksweise zum Trotz - schwer von Begriff, bestenfalls nützliche Idioten. Die Anführer der Stämme sind gerissen, haben fast immer "zornfunkelnde Augen" und sind grundsätzlich zwielichtige oder "dunkle Gestalten". Die Perser sind von "kriechendem Wesen", die Araber von "rauer Ehrlichkeit", Griechen sind "falsch", Armenier "sittenlos", Kurden "raubsüchtig" und Türken "träge".

Der grenzenlos selbstgerechte Eurozentrismus jener Zeit ist in Kara Ben Nemsi idealtypisch verkörpert. Er ist ein Held reinsten Wassers, der alles weiß, alles kennt und alles kann. Seine Überlegenheit ist notorisch, ja pathologisch. Er spricht nicht nur sämtliche Sprachen und Dialekte der Region, er übertrifft auch die Einheimischen in diesen Kenntnissen und muss zwischen Kurden und Arabern dolmetschen. Selbstverständlich weiß er allein den Koran richtig zu interpretieren und den Muslimen zu deuten. Auch kennt er die Wege durch die Wüste besser als die Nomaden: Er zeigt ihnen, wo es lang geht. Zuletzt lassen sich auch die wildesten Kurden von der westlichen Moral überzeugen: "Effendi, du bist ein Christ. Ich habe die Christen bisher gehasst, heute lerne ich sie besser kennen. Willst du mein Freund und Bruder sein?" Ach, was waren das für schöne Zeiten ...