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Maulkorb für Mutige

Astrid Prange10. Juli 2015

Bürgerrechtler aller Länder, vereinigt Euch? Der zunehmende Druck auf die Arbeit von NGOs nimmt weltweit immer gefährlichere Ausmaße an. Der Widerstand dagegen formiert sich nur langsam.

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Prozess NGO Vertreter in Kairo (Foto: EPA/ MOHAMED OMAR)
Bild: picture alliance / dpa

Einst wurden sie als Vorkämpfer für Freiheit und Menschenrechte gefeiert. Mittlerweile gelten sie in vielen Ländern als Wachstumsblockierer und "ausländische Agenten": Nichtregierungsorganisationen (NGO) sind weltweit ins Visier der Mächtigen geraten.

"Es wird zum Angriff geblasen, auf alles, was protestiert", meint Barbara Unmüßig, Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung. "Wir sind beunruhigt, weil wir einen Großtrend sehen, egal, um welche Regime es sich handelt".

Verfolgung im Namen des Vaterlands

Bei der weltweiten Jagd auf NGOs kommt Russland eine negative Vorreiterrolle zu. Der Föderationsrat der Duma setzte am 8. Juli zwölf ausländische Nichtregierungsorganisationen in Russland auf eine schwarze Liste und droht ihnen somit jede weitere Tätigkeit zu verbieten.

Konten einfrieren, Büros schließen, Aktivisten verhaften und teure Schadensersatzklagen anstrengen - die Werkzeuge der politischen Einschüchterung gegenüber NGOs werden immer ausgefeilter - nicht nur in Russland, sondern weltweit. Auch in der digitalen Welt greift die Zensur um sich: Internetseiten werden abgeschaltet, Twitter und Youtube blockiert.

In Indien wurde nach einer Untersuchung des Giga-Instituts für globale und regionale Studien 9000 NGOs die Lizenz zur Annahme von Fördermitteln entzogen. Greenpeace kämpft gegen Kontosperrungen und Schadensersatzklagen. Der Grund: Die Umweltschutzorganisation hatte gegen die Errichtung einer Kohlemine in einem der ältesten Waldbestände Asiens, den Mahan-Wäldern, protestiert - bis auf weiteres erfolgreich.

Greenpeace Indien Protestaktion mit Ballon über Mahan-Wäldern (Foto: EPA/RONNY SEN/ GREENPEACE)
Wald statt Kohle - Grennpeace-Aktivisten demonstrieren mit einem Ballon gegen den Abbau von Kohle in den Mahan-Wäldern im indischen Bundesstaat Madhya PradeshBild: picture-alliance/dpa/Greenpeace/R. Sen

Demokratie auf Abwegen

"Der indische Geheimdienst hat einen Bericht veröffentlicht, in dem NGOs wie Greenpeace beschuldigt werden, Wirtschaftswachstum zu verhindern", erklärt Greenpeace Mitarbeiter Niklas Schinerl. "Die Art, wie Indien gegen Umweltschützer vorgeht, kenne ich eigentlich nur aus ganz wenigen Staaten. Einer davon ist Russland".

Auch andere Organisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe oder Brot für die Welt spüren, dass der politische Druck auf ihre Partner vor Ort wächst und deren Arbeit schwieriger macht. Das Repertoire der Repression reicht vom Entzug der Registrierung als NGO bis zur Ausweisung und Verhaftung von Mitarbeitern.

Jüngstes Beispiel ist ein geplantes Gesetzesvorhaben in Kambodscha, das alle NGOs im Land zu poltischen Neutralität verpflichtet. "Die eigentliche Absicht dahinter ist, die Kontrolle über Initiativen von Bürgern zu haben, die ihre Meinung äußern möchten", heißt es in einer gemeinsamen Protestnote von Brot für die Welt und 50 anderen NGOs. "Das klingt nach Maulkorb".

Doch nicht nur in Russland, China, Kambodscha oder Indien sind NGOs ins Visier der Mächtigen geraten. In Nigeria und Ägypten, in der Türkei, Israel und Ungarn, in Ecuador und Bolivien stehen Bürgerrechtler und Umweltschützer ebenfalls unter Beobachtung.

"Wir müssen uns wehren!"

In Bolivien drohte Präsident Evo Morales laut Presseberichten Ende Juni damit, alle NGOs des Landes zu verweisen, die sich dem Abbau von Erdöl in Naturschutzgebieten entgegenstellten. "Die Bolivianer werden nicht als Waldwächter für die Industriestaaten arbeiten", erklärte er. Die Naturschutzgebiete seien vom "nordamerikanischen Imperium" geschaffen worden, um ihre eigenen Umweltsünden zu kompensieren.

Protest gegen geplante Erdölförderung im Yasuni-Nationalpark in Ecudaor (Foto: JUAN CEVALLOS/AFP/Getty Images)
Ecuador: Proteste gegen die Erdölförderung im Yasuni-Nationalpark führten zum Streit zwischen Regierung und NGOsBild: J. Cevallos/AFP/Getty Images

Es ist die globalisierte Desillusion: "Noch bis in die frühen 2000er Jahre schienen NGOs das Potenzial zu haben, zum Fundament einer globalen Bürgergesellschaft zu werden", haben Günter Schucher und Katja Drinhausen vom Giga Institut beobachtet. Nun grenzten viele Regime die Zivilgesellschaft ein, um die politische Kontrolle zurückzugewinnen.

Damit nicht genug. Es ist mittlerweile ein offener Wettkampf zwischen demokratischer und antidemokratischer Zivilgesellschaft ausgebrochen. "China und Russland haben vom Westen gelernt, auch sie gründen NGOs", meint Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung. "China macht das über den Aufbau von sogenannten Kulturinstituten weltweit, und durch die Unterstützung von Medien oder Radiosendern, die die chinesische Sicht vermitteln".

Für die Vorsitzende der Böll-Stiftung ist es höchste Zeit, dass die bedrohten Organisationen künftig enger zusammenarbeiten. "Es ist dringend notwendig, dass alle diejenigen, die kritische Partner im globalen Süden unterstützen, sich überlegen, wie sie strategisch auf diese neue Herausforderung reagieren", so Unmüßig. "Wir müssen uns wehren!"