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Massaker an Armeniern: Bundestag appelliert an Türkei

21. April 2005

Abgeordnete aller Fraktionen haben am Donnerstag (21.4.) im Deutschen Bundestag die Türkei aufgefordert, das Massaker an den christlichen Armeniern während des Ersten Weltkrieges aufzuarbeiten.

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Fraktionsübergreifender Appell Richtung AnkaraBild: AP

Der Bundestag wird aller Voraussicht nach die Türkei in einer fraktionsübergreifenden Entschließung auffordern, sich zu der historischen Verantwortung für die Massaker an den armenischen Christen im Osmanischen Reich vor 90 Jahren zu bekennen. Das wurde am Donnerstag (21.4.) in einer ersten Debatte über einen entsprechenden Antrag der Unionsparteien deutlich. Der Antrag, der zunächst in den Ausschüssen weiter beraten werden soll, wurde von Sprechern aller Fraktionen begrüßt und positiv kommentiert.

Vor 90 Jahren war auf Weisung der türkischen Regierung die armenische Minderheit in Anatolien systematisch verfolgt worden. Etwa anderthalb Millionen Armenier wurden ermordet oder kamen bei Hungermärschen ums Leben. Die türkischen Behörden bestreiten bis heute eine systematische Verfolgung der Armenier. Die öffentliche Befassung mit diesem Teil der türkischen Geschichte ist sogar unter Strafe gestellt.

Mitverantwortung von Deutschen

Der Außenpolitikexperte der Union, Friedbert Pflüger, verwies auf die Mitverantwortung des damaligen Deutschen Reiches, dessen Regierung von den Vorgängen gewusst und nichts unternommen hatte. "Wir haben keinen Anlass, auf die Türken hinabzublicken", so Pflüger wörtlich. Es gehe um Klärung, nicht um Angriff.

Auch der CDU-Abgeordnete Christoph Bergner erinnerte daran, dass auch Deutsche mit daran Schuld seien, dass die Verbrechen an den Armeniern so lange verschwiegen wurden. Schon 1916 habe die deutsche Militärzensur Berichte über die Gewalttaten im damaligen Osmanischen Reich verboten. Bergner begründete den Antrag seiner Fraktion: "Es geht mir ausdrücklich nicht darum, die türkische Republik oder gar ihre Bevölkerung auf die Anklagebank zusetzen. Unser Antrag ist vielmehr der Versuch, die Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches in das einzubeziehen, was man mit Blick auf die Konflikte und Verwüstungen, die Verbrechen des 20.Jahrhunderts in Europa die europäische Erinnerungskultur nennen könnte."

Der eigenen Geschichte stellen

Ähnlich mahnte der sozialdemokratische Abgeordnete Markus Meckel: "Es wäre gut, wenn sich auch die Türkei dieser Erkenntnis öffnen würde, dass sich das Stellen der eigenen Geschichte, auch der eigenen historischen Verantwortung und Schuld, keinen Verzicht auf Patriotismus und nationalen Stolz bedeutet."

In den Beiträgen der Abgeordneten wurde deutlich, dass es sich bei den Massakern an den Armeniern um Völkermord handelte, auch wenn diese juristische Klassifizierung in dem diskutierten Antrag der Union nicht vorgenommen wird. Der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner meinte an die Adresse der Türken: "Wir als Deutsche, als Europäer schauen auf Euch. Wir schauen auf Euch, wie Ihr diesen Prozess, für den Ihr verantwortlich seid, bewältigt. Wir schauen auf Euch, weil wir Euch ermutigen wollen, diesen Prozess in aller Offenheit zu gehen."

Annäherung zwischen Türken und Armeniern notwendig

Der Angeordnete der Grünen, Fritz Kuhn, wies den Vorwurf aus Ankara zurück, der Bundestag mische sich in innere Angelegenheiten der Türkei ein und warb für eine türkisch-armenische Annäherung: "Es ist schwer, historische Tabus aufzubrechen. Es ist mit Schmerzen verbunden. Und ich bin der Überzeugung, dass man manchmal geschichtliche Probleme auch dadurch erleichtern kann, indem man in der Gegenwart anfängt. Und deswegen möchte ich betonen, dass es sehr viel helfen würde in der Versöhnung zwischen dem armenischen Volk und der Türkei, jetzt endlich die Grenzen zu öffnen, normale diplomatische Beziehungen einzugehen und zwar jeweils ohne Vorbedingungen."

Der von den Christdemokraten eingebrachte Antrag wird jetzt in den Ausschüssen mit dem Ziel beraten, eine gemeinsame Formulierung aller Fraktionen zu Abstimmung im Bundestag zu stellen.

Wolter von Tiesenhausen

DW-RADIO, 21.4.2005, Fokus Ost-Südost