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Richtig, aber zu spät

11. Mai 2010

Das EU-Hilfspaket ist gut für Europa. Weil es aber erst jetzt kommt, ist es unnötig teuer, sagt der SPD-Europapolitiker Martin Schulz im Interview. Schuld daran sei auch die Bundeskanzlerin.

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Martin Schulz (Foto: dpa)
Europapolitiker Schulz hofft auf den RettungsschirmBild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Was halten Sie von dem EU-Beschluss der Finanzminister, die Finanzmärkte auf diese Weise stabilisieren zu wollen?

Martin Schulz: Ich glaube, dass es ein richtiger Beschluss ist - wenn auch ein sehr schwieriger, der auch schwer zu vermitteln ist. Ich glaube auch, dass er zu spät kommt. Man hätte das Ganze schon vor fünf oder sechs Wochen machen müssen, wenn auch in geringerem Volumen, um die Spekulanten abzuschrecken. Aber das ist auch ein bisschen an der Haltung von Angela Merkel gescheitert.

Im Hintergrund lauern immer noch Portugal und Spanien, die auch unter Beschuss der Spekulanten stehen. Glauben Sie, dass die Spekulanten wirklich zurückgedrängt werden?

Euro in der Zange (Foto: dpa)
Hilfe nicht nur für GriechenlandBild: picture alliance / dpa

Ja, das glaube ich. Sie haben die Entwicklung an den Finanzplätzen in den letzten Stunden gesehen: Der Euro ist gestiegen, die Aktien steigen. Ich habe gesehen, dass die Zinsen für griechische Staatsanleihen von über zehn Prozent jetzt auf unter fünf Prozent gefallen sind. Es gibt einige Indikatoren, die hoffen lassen, dass die Maßnahmen zum gewünschten Ziel führen und man muss den Spekulanten klarmachen, dass ihre Wetten auf den Konkurs eines Mitgliedstaates der Euro-Zone oder ein Zerfallen des Euro selbst vergeblich sind. Nur dann werden sie mit dem Versuch aufhören, den Euro zu zerstören - und ich habe den Eindruck, dass das gelingt.

Hätte man das auf der politischen Ebene noch anders regeln können, beispielsweise mit einer Sondersteuer auf Spekulationen?

Das ist eine alte Forderung, die wir haben und die am vergangenen Freitag im Bundestag zurückgewiesen worden ist. Die Finanztransaktionssteuer war ein Element des Entschließungsantrags, den die SPD eingebracht hat. Frau Merkel und Herr Westerwelle haben diese meiner Meinung nach zwingend notwendige Maßnahme, die nur auf europäischer Ebene ergriffen werden kann, brüsk zurückgewiesen. Aber Sie haben Recht: Man muss diese Maßnahmen jetzt ergreifen, weil die Einnahmeseite des Staates verbessert werden muss - und das ginge über eine Transaktionssteuer.

Wie weit sehen Sie Deutschland in der Verantwortung?

Angela Merkel (Foto: AP)
Eine Frau mit viel Einfluss in der EU: Angela MerkelBild: AP

Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass Frau Merkel zurzeit eine sehr einflussreiche und mächtige Rolle auf der europäischen Ebene spielt. Sie hat mit ihrem Willen seit Wochen Maßnahmen blockieren und verhindern können, dann wird sie mit ihrem Willen nun auch Maßnahmen anstoßen und durchsetzen können. Wenn die deutsche Regierung das will, wird das auch so angenommen und durchsetzbar gemacht. Das Dramatische ist, dass die deutsche Regierung das nicht will und jeder von uns weiß auch, warum. Herr Westerwelle will es nicht und Frau Merkel macht ihm diese Konzession und das geht zu Lasten Deutschlands und der EU insgesamt.

Das sind starke Vorwürfe in Richtung der deutschen Bundesregierung. Das Notfallpaket wirkt ein wenig wie ein Schuss aus der Hüfte. Das Problem ist, dass vielmehr Munition auch gar nicht mehr vorhanden ist, oder? Wenn es morgen und übermorgen wieder runtergeht mit den Finanzmärkten, haben wir ein Problem...

Das ist ganz sicher so. Das ist ein Kampf gegen Spekulanten, die zu allem entschlossen sind. Und ich denke, es ist ein Akt der Vernunft, dem Ganzen den Saft abzudrehen. Das hätte früher geschehen müssen und auch früher geschehen können. Dass es jetzt erst geschehen ist, ist traurig, aber ich bin optimistisch, dass es nicht zu spät ist. Und ich gehe davon aus, dass diese ergriffenen Maßnahmen die Spekulanten abhalten.

Der Beschluss ist aber auch am Europaparlament vorbeigelaufen, oder wenigstens ohne seine direkte Beteiligung geschehen. Fühlen Sie sich übergangen?

Börse (Foto: AP)
Keine Chance den SpekulantenBild: AP

Diese Art von Politik in der Eurozone ist eine Angelegenheit der Mitgliedsstaaten. Wie sehr sie dann, wenn sie nicht im Rahmen der europäischen Institutionen, sondern als souveräne Staaten untereinander zusammenarbeiten, in der Lage sind, an den Parlamenten vorbei zu arbeiten, das sehen wir in den letzten Tagen. Was die 60 Milliarden-Kreditlinie der Europäischen Kommission angeht: Da ist das Europaparlament beteiligt. Das heißt, wir sind im Gesamtrahmen schon als parlamentarisches Organ mitbeteiligt, aber nicht in dem Maße, wie wir das sein müssten. Deshalb fühle ich mich nicht übergangen, aber es ist eines der Defizite unserer vertragsrechtlichen Strukturen, dass solche Entscheidungen eben auch ohne parlamentarische Rückkopplung getroffen werden können.

Ein großer Wermutstropfen bleibt bei dem Notfallpaket: Es muss durch Schulden gegenfinanziert werden. Schulden, die sich lohnen?

Ich glaube ja. Wir müssen auch die Gegenrechnung aufmachen: Was passiert, wenn der Euro auseinander bricht? Was passiert, wenn das Bankensystem innerhalb der Euro-Zone Not leiden wird?

Wie konkret war denn da die Gefahr? Wie nah waren wir dann am Auseinanderbrechen des Euro?

Nachdem das Griechenland-Paket geschnürt worden ist, haben die Spekulanten sich die nächsten Ziele ausgesucht: Portugal, Spanien, Italien. Und mit dem Beschluss, der jetzt ergriffen wurde, wird klargemacht: "Lasst es sein. Ihr werdet keinen Erfolg haben." Wir waren nahe dran, dass der Euro wirklich in Gefahr gerät, weil diese Maßnahmen zu spät ergriffen wurden sind. Wenn wir nicht so nahe dran gewesen wären, wäre die Größenordnung auch so nicht gewählt worden. Die Summe zeigt, wie angespannt die Lage war und auch noch ist. Aber ich glaube - ich wiederhole das noch einmal - mit diesen Maßnahmen wird man der Krise Herr.

Das Interview führte Jörg Brunsmann.
Redaktion: Julia Kuckelkorn

Martin Schulz ist seit 1994 Chef der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament.