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"Das heißt aber nicht, dass ich schweige"

Özlem Coşkun4. April 2016

EU-Parlamentspräsident Schulz würdigt die Leistung der Türkei in der Flüchtlingsfrage, kritisiert zugleich die fehlende Pressefreiheit: Die Stärke einer Demokratie messe sich an der Freiheit der Medien.

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Martin Schulz (Foto: Getty Images/AFP/A.Kisbenedek)
Bild: Getty Images/AFP/A.Kisbenedek

DW: Erwarten Sie positive Entwicklungen durch das EU-Türkei-Abkommen?

Martin Schulz: Ja, ich erwarte eine positive Entwicklung, wenn wir unter den Flüchtlingen die Botschaft verbreiten, dass sie eine größere Chance haben, schneller verteilt zu werden in ein sicheres Land in der EU, wenn sie sich regulär registrieren und verteilen lassen statt sich Schleppern auszuliefern. Wenn sich diese Botschaft verbreitet und mehr Menschen zu den regulären Stellen gehen als zu den Schleppern, dann haben wir den Schleppern einen schweren Schlag versetzt und den Flüchtlingen geholfen.

In den verschiedenen Gebieten der Türkei kam es zu Terroranschlägen. Deswegen geben Länder wie die USA, Israel oder Deutschland Warnungen an ihre Bürger heraus, die in der Türkei sind. Was denken Sie über die Sicherheitslage in der Türkei?

Die Türkei leidet unter dem gleichen Phänomen, unter dem zum Beispiel Belgien, Frankreich, Großbritannien oder Spanien leiden. Es gibt einen Terror, der sich gegen einfache Menschen richtet, einen politisierten Terror mit einem islamischen Hintergrund. Ich sage ausdrücklich, es gibt keinen islamischen Terror, sondern es gibt einen politisierten Terror, der von Leuten ausgeübt wird, die dafür den Islam als Begründung herbeiführen. Darunter leidet die Türkei ähnlich wie die europäischen Staaten. Die Türkei hat zudem einen internen Konflikt im Lande, der nicht militärisch zu lösen ist. Ich glaube, dass es in der Kurdenfrage nur eine Rückkehr zum Friedensprozess geben kann. Deshalb ist die Türkei besonderer weise herausgefordert, was die Sicherheitslage angeht, und manche Regionen in der Türkei - das ist halt so – sind nun halt mal unsicher.

eine Gruppe flüchtlinge (Foto: DW/R. Shirmohammadi)
Die ersten Flüchtlinge, die nach dem EU-Türkei-Abkommen zurück in die Türkei gebracht wurden, waren PakistanerBild: DW/R. Shirmohammadi

Ist die Türkei ein sicheres Land für die Flüchtlinge?

Für Flüchtlinge hundertprozentig. Das will ich ausdrücklich nochmal unterstreichen. Jeder, der wie ich die Gelegenheit hatte, sich Flüchtlingslager in der Türkei anzuschauen, kann nur in den höchsten Tönen über das sprechen, was dort geleistet wird. Die Türkei leistet vorbildliche Arbeit, was die Lager angeht. Dort werden die Flüchtlinge besser behandelt als in dem einen oder anderen Mitgliedsland der Europäischen Union.

Nur, das Land hat auch rund 1,7 Millionen Flüchtlinge, die irgendwo im Lande sind. Und hier sagt natürlich die türkische Regierung: "Wenn die im Lande bleiben, und die Kinder Beschulung brauchen, und die Familien Zugang zur medizinischer Versorgung oder Wohnung brauchen, dann können wir das nicht alleine leisten. Dann müsst ihr uns dabei helfen". Deshalb finde ich, hat die Türkei doch einen berechtigten Ansatz, finanzielle Hilfen zu verlangen.

Amnesty International behauptet, dass die Türkei die Flüchtlinge aus Europa nach Syrien zurückschickt, obwohl es gegen die Vereinbarung ist. Was wird Europa dagegen tun?

Ich glaube, das muss man überprüfen. Das ist ein ernstzunehmender Vorwurf, den Amnesty da erhebt. Die Türkei bestreitet das. Ich war selbst Zeuge auch der Tatsache, dass die Türkei wirklich für einen ganz langen Zeitraum die Grenzen für syrische Flüchtlinge offen gehalten hat. Deshalb finde ich diesen Vorwurf sehr bemerkenswert. Der UNHCR ist ja vor allen auch in den Lagern präsent, die an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei sind zum Beispiel in Kilis. Ich finde, es müssen internationale Organisationen diesem Vorwurf nachgehen.

Can Dündar auf dem Weg ins Gericht (Foto: Reuters/O.Orsa)
Der Prozess gegen die beiden Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül hat international Kritik ausgelöstBild: Reuters/O.Orsal

Während des Gipfels zwischen der Türkei und der EU haben einige Mitgliedsländer Ankara wegen der fehlenden Menschenrechte und des Mangels an Pressefreiheit kritisiert. Auch nach den Reaktionen des türkischen Präsidenten Erdogan auf einen Satire-Beitrag im deutschen Fernsehen gab es Kritik von der deutschen Politik wegen der fehlenden Pressefreiheit in der Türkei. Welche Bedeutung hat das für die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei?

Ich habe mich ja dazu in den deutschen Medien ziemlich klar in der Vergangenheit geäußert. Die Stärke einer Demokratie misst sich an der Freiheit der Journalistinnen und Journalisten, das zu berichten, was Politikern nicht passt. Ich finde, es ist ein Grundprinzip der Demokratie, dass erstens Macht auf Zeit verliehen wird, und zweitens sich die Macht jeden Tag der Überprüfung stellen muss. Dazu sind die Medien da, dazu ist die Medienfreiheit da. Deshalb ist die Medienfreiheit eine Grundlage einer stabilen Demokratie. Wer auch den leisesten Verdacht aufkommen lässt, er würde das nicht akzeptieren, er würde intervenieren und direkt mit seiner Macht die Medienfreiheit einschränken, der muss mit harter Kritik rechnen, insbesondere aus demokratischen Staaten.

Deshalb wiederhole ich nochmal: Wir müssen mit der Türkei in der Flüchtlingsfrage in jedem Fall zusammenarbeiten. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich schweige zum Kurdenkonflikt, dass ich schweige zur Medienfreiheit. Das tue ich nicht.

Das Gespräch führte Özlem Coşkun.