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Martín Caparrós: Valfierno

Wim Abbink3. September 2006

Eine kunstvolle literarische Phantasie, die nur vordergründig von Kunstraub und Fälschung handelt. Ein Spiel mit wechselnden Identitäten - und ein tiefer Blick in die argentinische Seele.

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Am 22. August 1911 wird die Mona Lisa aus dem Louvre in Paris gestohlen. Zwei Jahre später geht der Italiener Vincenzo Perugia der Polizei in Florenz mitsamt dem Meisterwerk ins Netz. Dass der einfache Tischler den genialen Coup selbst eingefädelt haben könnte, glaubte schon damals keiner. An diese reale Geschichte webt der Argentinier Martín Caparrós geschickt seine Geschichte von Wahrheit und Lüge, Original und Fälschung, von Schein und Sein: 15 Jahre nach der Tat habe ein Mann, der sich Marqués de Valfierno nennt, dem amerikanischen Journalisten Charles Becker die "wahre" Geschichte vom Raub der Mona Lisa erzählt.

Buchcover: Martín Caparrós - Valfierno

Feine Gesellschaft der Belle Époque

Und die ist einfach. Er habe das Original nur stehlen lassen, um sechs perfekte Kopien für je 350 000 Dollar an Sammler verkaufen zu können, diktiert dieser Valfierno dem Journalisten in einer der vielen Interviewsituationen in den Block. Der Roman handelt aber nur vordergründig von Kunstraub und Fälschung. Dahinter steht das lebenslange Spiel mit wechselnden Identitäten und der Selbsterfindung Valfiernos, geht es doch um dessen Aufstieg aus niederen sozialen Gefilden in die feine Gesellschaft der Belle Époque.

Dieses Motiv von Aufstieg, vom Blender und genialen Betrüger sitzt tief in der argentinischen Seele. Auch die meist bettelarmen europäischen Einwanderer mussten sich und ihr Land am Rio de la Plata ganz neu erfinden. Und sind damit eigentlich bis heute noch nicht so recht fertig.

Mona Lisa von Leonardo da Vinci im Pariser Louvre Ausschnitt
Mona Lisa (Ausschnitt)Bild: picture-alliance/dpa

Lügen und Etikettenschwindel

Valfierno bleibt so ungreifbar wie seine vielen Namen und Geschichten: Bollino, Juan María, Bonaglia. Vielleicht wurde er in der argentinischen Industriestadt Rosario nördlich von Buenos Aires geboren, vielleicht auch in Italien, woher die meisten argentinischen Einwanderer der Jahrhundertwende stammten und dem Land ihren Stempel aufdrückten. Er wuchs mit seiner Mutter Annunziata, einer Hausangestellten, in einem Herrenhaus auf, oder er wurde in einer Klosterschule geprägt. Vielleicht war er auch ein Revolutionär, der Bomben legte und dafür ins Gefängnis kam. Vielleicht war alles auch ganz anders, wie so vieles in Argentinien. Am Ende zumindest steht ein reicher Mann, der sich Marqués nennt.

Sogar das Motiv für Lügen und Etikettenschwindel bleibt verschwommen. Das schwierigste Kunstwerk sei, ein Leben zu schaffen, gibt Valfierno zu Protokoll. "Daß, wollte er aus einem Leben ein Kunstwerk machen, er es fälschen mußte. Daß es bloße Natur ist, der Sohn seines Vaters und seiner Mutter zu sein, daß immer derselbe zu sein heißt, sich mit der Natur abzufinden, daß ein Leben nur dann ein Kunstwerk ist, wenn man es erfindet."

Schwieriger Wechsel von Perspektiven

Und dann die Eitelkeit. Sie treibt Valfierno zum Ende seines Lebens schließlich zur Beichte, als ob im Theater die Kulisse eingerissen würde, nur um ihre Perfektion vor Augen zu führen. Was bleibt, ist das Nichts des Bühnenraumes. Aber was nützt der schönste Erfolg, wenn keiner davon weiß: "Wir kennen nur den gescheiterten Fälscher, denjenigen den man erwischt hat; der andere, der erfolgreiche, verschwindet hinter seinen Werken", lässt Caparrós seinen Helden sagen. "Und als Valfierno habe ich etwas Außergewöhnliches geschaffen: die Geschichte eines Lebens."

Leicht macht es Caparrós seinem Leser jedoch nicht. Die Erzählung aus der Rückschau bringt einen ständigen Wechsel von Perspektiven, von Orten, Zeiten und Identitäten mit sich. Auch wenn das durchaus gewollt erscheint, verlangt es dem Leser ein gehöriges Maß an Konzentration ab, sich nicht im Gespinst des "Lebenskünstlers" Valfierno zu verlaufen. Wunderbare Dialoge zwischen ihm und Becker entschädigen ansonsten für einige vermeidbare Längen und eine bisweilen merkwürdig spröde Erzählweise.


Martín Caparrós
Valfierno
Eichborn, 2006
ISBN 3-8218-5776-5
EUR 19,90