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"Mein Vater war kein Held"

Luis García (glh)9. August 2015

Am 28. August läuft die Netflix-Serie "Narcos" an. Sie erzählt vom Leben des berüchtigten kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar. Über die häufige Heroisierung seines Vaters sprach die DW mit Escobars Sohn.

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Sebastian Marroqui Sohn von Pablo Escobar Buchvorstellung Mi Padre (Foto: EPA/MAURICIO DUENAS CASTANEDA)
Bild: picture-alliance/dpa/M. D. Castaneda

Er hatte Elefanten und Giraffen als Haustiere und wuchs in einem luxuriösen Vergnügungspark mit riesigen Dinosaurierfiguren auf. Sebastián Marroquín hieß ursprünglich Juan Pablo Escobar. Sein Vater, Pablo Escobar, kontrollierte ab den 80er-Jahren als Kopf des Medellín-Kartells den weltweiten Kokainhandel, wurde zu einem der reichsten Menschen der Welt und verdrängte in Teilen Kolumbiens den Staat als Ordnungsmacht.

Escobar war berüchtigt für seine Skrupellosigkeit, bot vielen Menschen aber auch, was der Staat ihnen nicht gab: Er baute Schulen, sanierte Wohnviertel und beschützte sie vor Kleinkriminalität. 1993 wurde der größte Drogenboss der kolumbianischen Geschichte von einer Sondereinheit der Polizei ermordet. Vielen gilt er bis heute als Robin Hood Kolumbiens.

Sein Sohn sieht das nicht so. Er entschied sich gegen das Geschäft seines Vaters und legte dessen Namen ab. Heute lebt der 38-jährige Sebastián Marroquín als Architekt in Argentinien. Und er hat ein Buch geschrieben: "Pablo Escobar, mi padre" (dt. "Pablo Escobar, mein Vater").

Deutsche Welle: Wann haben Sie das erste Mal gemerkt: Mein Vater ist der größte Drogenschmuggler in der Geschichte?

Sebastián Marroquín: Das war im August 1984 nach dem Mord des Justizministers Rodrigo Lara. Das Gesicht meines Vaters tauchte immer wieder im Fernsehen auf, aber nicht als "Robin Hood Kolumbiens", sondern als potentieller Mörder des Ministers. Ungefähr zu dieser Zeit sagte mein Vater mir auch, dass er sich dazu entschieden hatte, Verbrecher zu werden, und dass das sein Beruf war.

Damals waren Sie sieben Jahre alt. Sie sind also in einem Umfeld aufgewachsen, in dem die Grenze zwischen Recht und Unrecht recht schwammig sein muss. Wann haben Sie sich dazu entschieden, nicht den Weg Ihres Vaters zu gehen?

Es gab viele Momente. Der Ausschlaggebende war jedoch der Tod meines Vaters. Ich habe sehr aggressiv auf die Nachricht reagiert. Aber schon zehn Minuten später habe ich das bereut - als mir nämlich bewusst wurde, welche Konsequenzen es hätte, wenn ich meine Drohungen umsetzen würde. Mir wurde schnell bewusst, wie grausam mein Vater war und wie diese Gewalt später immer wieder zu uns zurück kam. Daher wollte ich meinem Vater immer zeigen, dass Gewalt nicht der richtige Weg ist.

Pablo Escobar (Foto: dpa)
Drogenboss und Vater: Pablo EscobarBild: picture-alliance/dpa

Auch wenn Sie sich dafür entschieden haben, nicht in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, glauben viele, dass Sie für seine Taten verantwortlich sind.

Und sie haben gedacht, dass ich mich in Pablo Escobar II. verwandeln würde. Ich war von Anfang an dazu verdammt, die Geschäfte und die Methoden meines Vaters fortzuführen. Viele erwarteten das von mir. Deswegen war es umso schwieriger, mich von dieser Vergangenheit und dem Vermächtnis meines Vaters zu trennen. Die Feinde meines Vaters stellten aber schnell fest, dass von mir keine Gefahr für sie oder für das Land ausging … und haben mich am Leben gelassen. Hätten diese das nicht so empfunden, wäre ich jetzt tot, ohne Zweifel.

Über Ihre Erfahrungen als Sohn Pablo Escobars haben Sie ein Buch geschrieben. Welche Botschaft steckt darin?

Ich will, dass die Leute - vor allem die Jugendlichen - verstehen, dass sich solch eine Geschichte niemals wiederholen sollte. Die Art und Weise wie die Geschichte meines Vaters in der Welt erzählt und geteilt wird, ermuntert sogar dazu, das alles nachzuahmen. Es wird eine glamouröse und erstrebenswerte Legende erzeugt. Viele Jugendliche kennen die Geschichte aber nicht genau, sie wissen nicht, was die Konsequenzen dieser Gewalt waren und sind. Sie sehen nur eine TV-Serie, einen Film oder lesen irgendein Buch über das Leben meines Vaters und wollen so sein wie er. Doch mein Vater ist sehr weit entfernt davon, ein Held zu sein. Ich sage immer: Wenn jemand mein Buch liest und immer noch Pablo Escobar sein will, dann habe ich meine Arbeit nicht richtig gemacht.

Welcher der zahlreichen Widersprüche im Leben Ihres Vaters war für Sie persönlich am schwierigsten zu verstehen?

Das Leben meines Vaters ist eine lange Liste von Widersprüchen. Er war ein Mann, der viele Gedanken und Ideen der politischen Linken vertrat, war aber auch der Gründer der ersten extrem rechten paramilitärischen Gruppe Kolumbiens, der MAS (Muerte a Secuestradores; Deutsch: Tod den Entführern). Er war auch der Mann, der Fußballfelder für die Jungen aus dem Viertel baute, damit diese keine Drogen nahmen - bezahlt mit seinen Drogengeldern.

Was mich besonders überraschte, war die Tatsache, dass mein Vater den Ideen von Luis Carlos Galán und Rodrigo Lara [kolumbianischer Präsidentschaftskandidat und Justizminister, Anm. d. Red.] so sehr nachhing, sie sogar unterstützte und dann ihren Mord beauftragte - aus dem simplen Grund, dass beide sich gegen den Drogenhandel ausgesprochen hatten.

Ihr Vater hat mit seinem Drogenhandel und dem Aufbau des Medellín-Kartells einen Konflikt begründet, der bis heute anhält. Glauben Sie, dass in Kolumbien Frieden möglich ist?

Ich glaube, dass die Welt auf lange Sicht verstehen muss, dass es den Drogenhandel immer geben wird. Die Gesetze, die das alles verhindern sollen, bringen nichts. Im Gegenteil, sie sorgen sogar dafür, dass der Handel weiter wächst. So war es auch in Zeiten der Prohibition in den USA. Geschichten wie die meines Vaters werden sich wiederholen. Heute ist es El Chapo Guzmán, morgen ist es wieder ein anderer.

Verehrung von Pablo Escobar in Medellin (Foto: RAUL ARBOLEDA/AFP/GettyImages)
Ein Altar für Pablo Escobar: Bis heute verehren viele Kolumbianer den KriminellenBild: RAUL ARBOLEDA/AFP/GettyImages

Der illegale Drogenhandel ist kein Problem, das man mit dem Maschinengewehr lösen kann. Man kann alle Drogenbosse dieser Welt an einem Tag töten und am nächsten kommen die Drogen wieder in Umlauf: Weil es nämlich Millionen Konsumenten in der ganzen Welt gibt. Also wird es auch immer jemanden geben, der ihnen diese Drogen bringt.

Wir müssen einfach akzeptieren, dass die Menschheit den Drogen den Frieden erklären muss. Ihnen den Krieg zu erklären, hat schließlich nicht funktioniert.

Sebastián Marroquín ist Sohn des 1993 ermordeten kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar. Das Interview führte Luis García Casas.