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Mapuche im Hungerstreik

30. September 2010

Die chilenische Regierung hat eine Änderung des umstrittenen Anti-Terrorgesetzes auf den Weg gebracht, gegen das sich die Proteste der Ureinwohner richten. Im Süden ist es erneut zu gewaltsamen Demonstrationen gekommen.

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Kundgebung für die Rechte der Mapuche in Santiago (Foto: dpa)
Kundgebung für die Rechte der Mapuche in SantiagoBild: picture-alliance/dpa Fotografia

An diesem Donnerstag (30.09.) wird der chilenische Präsident Sebastián Piñera in Santiago eine Delegation von 45 Mapuche-Frauen empfangen um mit ihnen über eine Lösung des Konfliktes zu verhandeln. “Wir sind davon überzeugt, dass der Präsident uns empfangen wird. Wir sind sicher, dass er eine humane Position vertritt“, so die ehemalige Gefangene und Anführerin der Frauengruppe, Juana Calfunao, deren Sohn einer der Hungerstreikenden ist.

Über 80 Tage Hungerstreik

Seit dem 12. Juli verweigern 34 inhaftierte Angehörige des Mapuche-Volkes die Nahrungsaufnahme. Sie befinden sich alle in Untersuchungshaft, einige von ihnen seit über 19 Monaten. Die Anklagen lauten auf versuchten Mord, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Gewalt gegen die Polizei, Brandstiftung und Holzdiebstahl. Einige der Inhaftierten sind bereits von Zivilgerichten aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Doch sie werden weiter gefangen gehalten um vor einem Militärgericht verurteilt zu werden.

Die chilenische Justiz beruft sich für dieses Vorgehen auf das sogenannte Anti-Terror-Gesetz aus der Zeit der Militärdiktatur (1973 -1990). Danach ist eine Untersuchungshaft von bis zu zwei Jahren erlaubt. Anwälte der Angeklagten erhalten in den ersten sechs Monaten keinen Zugang zu den Ermittlungsakten, und vor Gericht können Belastungszeugen auch anonym aussagen. Das Gesetz erlaubt es ebenso, bis zu drei Mal längere Haftstrafen als nach normalen Gesetzen zu verhängen.

Mapuche in traditioneller Kleidung (Foto: dpa)
Rund eine Million Mapuche leben heute in ChileBild: picture-alliance/dpa Fotografia

Anti-Terror-Gesetz soll überarbeitet werden

Nach langem politischem Streit zwischen Regierung und Opposition haben sich beide Seiten Anfang der Woche im Vermittlungsausschuss des Parlaments auf eine Reform des Anti-Terror-Gesetzes geeinigt. Der Senat hat dem Vorschlag bereits zugestimmt. Jetzt muss das Gesetz noch von den Abgeordneten angenommen werden. Zu den wichtigsten Änderungen zählt die Neudefinition von „terroristischen“ Handlungen, u. a. soll Brandstiftung nicht mehr in diese Kategorie fallen. Auch die Aussagen von anonymen Zeugen sollen nicht mehr vor Gericht verwertet werden dürfen. Ebenso sollen Minderjährige nicht mehr nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz angeklagt werden dürfen.

Angesichts des seit über 80 Tagen andauernden Hungerstreiks hat die chilenische Regierung jetzt eingelenkt. Innenminister Rodrigo Hinzpeter sagte in Santiago, die Regierung sei bereit, auf die Anwendung des Anti-Terror-Gesetzes gegen Angehörige des Mapuche-Volkes zu verzichten. Er könne jedoch nicht für die Justiz und das Parlament sprechen, schränkte der Minister seine Zusage ein. Daraufhin verlangten Sprecher der Mapuche, mit Vertretern aller drei Staatsgewalten zu sprechen. Die Verhandlungen zwischen dem chilenischen Staat und den Mapuche waren daraufhin unterbrochen worden.

Solidaritätsdemonstrationen

Unterdessen kommt es in immer mehr Städten in Chile zu Solidaritätskundgebungen mit den Inhaftierten. Am Mittwoch (29.09.) haben hunderte Demonstranten Straßenblockaden rund um die Stadt Temuco, 650 Kilometer südlich von Santiago, errichtet. Die Stadt liegt im Zentrum des Hauptsiedlungsgebietes der Mapuche. Die Polizei ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Demonstranten vor. In Santiago hatten am vergangenen Wochenende mehrere tausend Personen für die Rechte der Mapuche demonstriert.

Der Regierungspalast Moneda in Santiago de Chile (Foto: DW/Victoria Eglau)
Im Regierungspalast in Santiago wird über die Reform des Anti-Terror-Gesetzes diskutiertBild: DW / Eglau

Die Mapuche kämpfen für die Rückgabe von Land im Süden Chiles, auf dem ihre Vorfahren bis zur Eroberung durch die Spanier und die gezielte Ansiedlung europäischer Auswanderer Mitte des 19. Jahrhunderts lebten. Zum Volk der Mapuche gehören heute rund eine Million Menschen, knapp sieben Prozent der chilenischen Bevölkerung. Im 19. Jahrhundert waren rund fünf Millionen Hektar Land im Besitz von Mapuche-Gemeinschaften. Bis 1929 waren es noch 500.000 Hektar. Unter der Diktatur von Augusto Pinochet verloren die Ureinwohner davon noch einmal fast die Hälfte. Auf den Ländereien im Süden Chiles haben große Zellulosekonzerne Eukalyptus- und Pinienplantagen angelegt.

Erste Fortschritte

Seit dem Ende der Diktatur hat die Regierung rund 500.000 Hektar Land aufgekauft und es den Mapuche-Gemeinden rückübertragen. Da die Landrückgabe jedoch ohne Enteignungen vollzogen werden soll, geht der Prozess nur sehr langsam voran. Die Mapuche versuchen immer wieder, mit Landbesetzungen, Straßenblockaden oder Brandanschlägen auf Scheunen, Ernten, Holzlager und LKW ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Holzfirmen und Großgrundbesitzer fühlen sich bedroht. Der Staat hat zu ihrem Schutz zusätzliche Sicherheitskräfte in die Region entsandt. Sowohl Teile der katholischen Kirche, die in dem Konflikt vermittelt, als auch Vertreter der Mapuche selbst sprechen von einer Militarisierung der Region.

Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Oliver Pieper