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"Kroatien wird tiefe Krise überwinden"

Dunja Dragojevic-Kersten17. Juni 2016

Die kroatische Regierung ist nach einem Misstrauensvotum gestürzt. Südosteuropa-Experte Norbert Mappes-Niediek kritisiert das Establishment in Zagreb, zeigt sich aber optimistisch für die Zukunft des Landes.

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Kroatien Parlament Misstrauensvotum & Abwahl Premierminister Tihomir Orešković
Misstrauensvotum im kroatischen ParlamentBild: picture-alliance/abaca/Anadolu Agency/S. Mayic

DW: Herr Mappes-Niediek, hat Sie diese neue Entwicklung der politischen Krise in Kroatien überrascht?

Norbert Mappes-Niediek: Auf die Gefahr hin, dass es prätentiös klingt: Ich habe es so erwartet. Denn als diese Regierung zustande kam, musste eigentlich jedem klar sein, dass das nicht lange halten würde. Da war eine Partei oder vielmehr eine Listenverbindung mit an der Macht, MOST ("Die Brücke", Koalitionspartner der nationalkonservativen Partei HDZ) , die mit ihrer Aufgabe, ein Gegengewicht zur HDZ zu sein, vollkommen überfordert war.

Was hat Ihrer Meinung nach den Sturz der Regierung eigentlich verursacht? Die zu starke Polarisierung der Gesellschaft, auf die Tomislav Karamarko (Vizepremier und Parteichef der HDZ) und seine HDZ gesetzt haben, oder die vielen Skandale, wie die neue Korruptionsaffäre um Karamarkos Ehefrau?

Ich glaube, das Hauptproblem dieser Regierung war tatsächlich, dass sie gar nicht zusammenpasste. Dass tatsächlich MOST mit einem großen Misstrauen in diese Regierung gegangen ist, aber nicht in der Lage war, aus diesem Misstrauen eine vernünftige Kontrollfunktion zu machen. Die politische Plattform MOST hatte nicht die Macht, um diese HDZ tatsächlich zu domestizieren und darauf zu achten, dass die Korruption nicht Überhand nimmt. Sie wollten das sicher ernsthaft, aber ihr Gewicht in der Regierung hat bei weitem nicht ausgereicht. Und der zweite Punkt war, dass innerhalb der HDZ sehr bald alle wieder hochkamen und sich meldeten, die irgendwie materielle Ansprüche an die Regierung haben. Das war im Grunde genommen immer klar. Es war auch so, dass diese patriotischen Töne sehr bald wieder hochkamen, als man ja schon in Europa gehört hat, dass Kroatien zu einer illiberalen Demokratie nach ungarischem Vorbild würde. Da hat man sehr schnell gesehen: Das ist in Kroatien zumindest eigentlich nur Camouflage, das ist eigentlich nur Dekoration für ein mehr oder weniger kleptokratisches System, das auf allen Bezirksebenen, in den Provinzen, fest etabliert ist. Das ist ein Establishment, das es sich in den 1990er Jahren hat gutgehen lassen und es weiter so halten möchte.

Der Journalist und Autor Norbert Mappes-Niediek (Foto: DW)
Der Journalist und Autor Norbert Mappes-NiediekBild: DW/A Grunau

Wie kann es für Kroatien weitergehen?

Ich denke, Neuwahlen könnten schon etwas Neues bringen - zumindest ein bisschen. Denn es hat doch offenbar vor der Wahl die Illusion geherrscht, dass man diesen patriotischen Parolen Glauben schenken könnte. Zumindest ein Teil der Wähler wird das geglaubt haben und jetzt hat sich die HDZ eigentlich ein zweites Mal demaskiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mit dem gleichen Prozentsatz aus der nächsten Wahl hervorgeht. Ich würde sagen, es müsste und würde nach einer Wahl wieder zu einem Machtwechsel kommen. Die HDZ braucht einfach Zeit und ein Umdenken, um wieder zu einer vernünftigen Regierungsalternative zu werden. Sie muss sich mit der Korruption in den eigenen Reihen auseinandersetzen, und sie muss versuchen, glaubhafte Alternativen zu bieten und darf nicht nur Stimmung machen. Wenn sich mit dem Ende von Karamarko in der HDZ die vernünftigen Kräfte durchsetzen, die es ja durchaus gibt, dann kann diese Partei sich auch wieder reformieren und wieder an die Regierung kommen. Aber sie braucht dafür bestimmt noch einmal eine Legislaturperiode Zeit.

Diese kroatische Regierung hat immerhin eines geschafft: Sie hat breite Teile der Gesellschaft auf die Straße geholt. Die Bürger haben unter dem Motto "Kroatien kann es besser" protestiert. So etwas war in Kroatien nicht immer der Fall. Man hat jetzt aber gesehen, dass das Volk Macht hat, dass Politiker abgestraft werden können, dass sich auch etwas verändern kann. Ist das gut oder ist diese Instabilität eigentlich für Kroatien, das so viele wirtschaftliche Probleme hat, eher ein großer Nachteil?

Es ist sogar sehr gut - wenn es nicht nur dabei bleibt, dass die Menschen einfach auf die Straße gehen. Wichtig ist: Sie werden eines Tages von der Straße zurückgehen und werden mit größerem Selbstbewusstsein ihren Behörden gegenübertreten müssen, und selber versuchen, das Schicksal ihrer eigenen Gemeinden, ihrer eigenen Firmen in die Hand zu nehmen. Und das ist ja genau der Weg der Demokratisierung, den eine Gesellschaft wie die kroatische gehen muss.

Oft wird an diesen Tagen wiederholt, Kroatien sei in einer politischen Sackgasse. Aus einer Sackgasse gibt es eigentlich keinen Ausweg. Glauben Sie, dass Kroatien auf politischer Ebene das Potenzial hat, um diese tiefe Krise zu überwinden?

Unbedingt, das glaube ich auf jeden Fall. In Kroatien ist ja sehr viel Kultur, Kultur des Zusammenlebens, sehr viel Wissen, sehr viel Erfahrung versammelt. Es gibt kein anderes Land in der EU, in dem so viele Menschen Verwandte im Ausland haben. In Kroatien hat man immer in Vielvölkerstaaten gelebt, man hat Verbindungen in die Emigration, sehr viele Leute sprechen Englisch, sehr viele Leute sprechen Deutsch, man nimmt vieles außerhalb der Grenzen wahr. Es ist ein enormes Potenzial da, es gibt auch jede Menge Ressourcen, es gibt die herrliche Adriaküste, es gibt eine gute und lange industrielle Erfahrung, es gibt gute Universitäten. Es gibt sehr, sehr viel in Kroatien, auf das man bauen kann, und es ist den meisten Kroaten auch durchaus bewusst, worin der Reichtum ihres Landes besteht. Und die Möglichkeit, das besser zu organisieren, ist ja auch etwas, das jeder Kroate verlangt. Alle hört man klagen über ihr politisches System, jeder weiß auch, wie es besser sein müsste. Die Bürger wissen sehr genau, was Korruption ist, und dass es sich dabei um ein Übel handelt. Also das sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass das Land sich gut entwickelt. Und da bin ich im Grunde genommen auf lange Sicht sehr optimistisch.

Norbert Mappes-Niediek ist ein deutscher Journalist, Buchautor und Südosteuropa-Experte.

Das Gespräch führte Dunja Dragojevic-Kersten.