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Man spricht jiddisch

Das Gespräch führte Christine Gruler17. November 2003

Die diesjährigen "17. Jüdischen Kulturtage" in Berlin stehen ganz im Zeichen des neuen Interesses an der jiddischen Sprache. DW-WORLD sprach mit Elvira Grözinger, der wissenschaftlichen Beraterin des Festivals.

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"Jiddisch ist eine warme, farbige - und lebendige Sprache."Bild: Ch. Gruler

DW-WORLD: Anlass die jiddische Sprache zum Schwerpunktthema der diesjährigen Kulturtage zu machen, ist die weltweite Renaissance, die sie gerade erfährt. Wie kommt es zu dieser Wiederbelebung?

Elvira Grözinger: Ich würde noch nicht von einer Renaissance sprechen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebte die größte jüdische Bevölkerung im Nachbarland Polen. Es ist zu beobachten, dass das Interesse an der Kultur, die man vernichtet hat, wächst – mit welchen Prämissen das geschieht weiß ich nicht. Musik ist da natürlich eine ganz tolle Brücke.

Sie denken da an den Klezmer-Hype?

Ja, gerade Berlin ist ein Zentrum für die Renaissance der Klezmer-Musik, die ja ursprünglich zu Hochzeiten gespielt wurde. Wir haben im diesjährigen Programm auch eine "Lange Nacht des Klezmer" mit großartigen Musikern. Aber das Spektrum des Jiddischen ist viel breiter und ich habe das große Anliegen, dass das Publikum auch neue Einblicke in die Jiddische Kultur bekommt.

Sie selbst haben das Programm mitgestaltet.

Ich bin Literaturwissenschaftlerin und habe mich um die Lesungen gekümmert. Es kommen moderne Dichter, die alle zur Avantgarde der zeitgenössischen jiddischen Literatur zählen. Sie stammen größtenteils aus der ehemaligen Sowjetunion oder von der rumänischen Grenze, aus Bessarabien. Da ist zum Beispiel Boris Sandler, der Prosa schreibt und nach seiner Emigration außerdem als Chefredakteur für die größte jüdische Wochenzeitung "Vorwärts" arbeitet. Oder Lev Berinski, ein sehr aktiver Dichter, der sich immer beklagt, in Israel wenig Zuspruch für seine jiddische Lyrik zu finden.

Hat das Hebräische die jiddische Sprache verdrängt?

Hebräisch ist die Nationalsprache, aber nachdem Jiddisch lange Zeit sehr vernachlässigt wurde, hat die Jiddistik mittlerweile ihren festen Platz in Israel. Seit etwa 40 Jahren wird das Fach an der Hebräischen Universtität in Jerusalem von sehr berühmten Leuten unterrichtet.

Sie selbst haben dort studiert. Darüberhinaus sind Sie in Ihrem Elternhaus mit der jiddischen Sprache groß geworden?

Ja, Jiddisch ist die Sprache meiner Mutter. Ich bin aus Polen gebürtig. Meine Eltern waren in meiner Familie die einzigen Überlebenden des Holocaust und haben zuhause miteinander polnisch gesprochen, weil mein Vater nicht aus einer jiddisch-sprechenden Familie kam. Aber mit allen anderen, Bekannten, sprach meine Mutter immer Jiddisch. Sie hat mich nicht in diese Welt hineingebracht – ich hab’ immer mitgehört. Eigentlich bin ich alleine dazu gekommen.

Ihre Mutter hat sie nicht persönlich herangeführt?

Es hat ihr zu sehr weh getan. Jiddisch, das war eine vernichtete Welt - sie konnte damit nicht umgehen. Ich weiß auch nicht, was mit meiner Familie passiert ist. Nach der Emigration meiner Eltern bin ich in Israel mit der hebräischen Sprache aufgewachsen. Jiddisch habe ich weiter nebenbei gehört, es stand jedoch nicht im Mittelpunkt. Aber seitdem ich lesen konnte, habe ich die jiddischen Geschichten so geliebt: Klassiker wie Scholem Alejchem, aber auch die vielen humoristischen Erzählungen. Jiddisch ist für mich - wie für viele andere, noch viel ältere Menschen - eine kulturelle Heimat. Deshalb habe ich die Sprache dann auch studiert.

Heute unterrichten Sie Jiddisch an der Universität Potsdam. Dort wird erstmals an einer deutschen Universität Forschung und Lehre zum Judentum in einem interdisziplinären Verbund durchgeführt wird. Wie sieht das konkret aus?

Das Kollegium ist so aufgebaut, dass sich verschiedene Lehrstühle der Universität, die normalerweise wenig mit dem Judentum zu tun hatten, mit den jüdischen Themen in ihren Bereichen befassen. Nach einer Ringvorlesung haben wir zum Beispiel gemeinsam mit den Anglisten ein Buch herausgebracht, das sich mit den jüdischen Themen in der englischen und amerikanischen Nachkriegsliteratur befasst. Wir haben außerdem einen Schwerpunkt "Modernes Jiddisch".

Es handelt sich dabei um das osteuropäische Jiddisch?

Ja, denn das westeuropäische Jiddisch ist bereits lange zuvor zum Erliegen gekommen. Moses Mendelssohn, der Aufklärer, war ein erbitterter Gegner des Jiddischen. Er meinte, die deutschen Juden sollten Deutsch reden und nicht das, was er für "Jargon" hielt. In Osteuropa hingegen erfuhr das Jiddische mit der chassidischen Volksbewegung einen großen Aufschwung und erlebte im 19. Jahrhundert eine Blütezeit. Die moderne klassische jiddische Weltliteratur hat sich dort herausgebildet.

Und ist jetzt wieder bei den Kulturtagen präsent. Darüberhinaus haben Sie jiddische Rapper und DJs im Programm. Sie spannen einen sehr weiten Bogen?

In der Tat. Wir haben Kontakte zu "Jiddisch-Libhobern" auf der ganzen Welt gesammelt. Gerade in Amerika gibt es eine sehr breit gestreute jiddische Szene, vom traditionellen Theater bis eben zum Rap. Diese jungen Leute wollen die Welt ihrer Väter umkrempeln und entstauben. Eine provokative Haltung, die in unserem Programm auch einen Gegenpol zum eher Nostalgischen bietet. Natürlich ist das nicht jedermanns Sache, aber man muss sehen, was sie bringen werden. Ich bin sehr gespannt.

Welches sind ihre persönlichen Highlights?

Meine Lesungen müsste ich natürlich empfehlen. Aber mir gefällt eigentlich alles. Ich sage also "Herzlich Willkommen" und empfehle Jiddisch da capo al fine.