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"Man musste die Wahlversprechen erfüllen"

10. September 2002

– Hundert Tage Medgyessy-Regierung

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Budapest, 9.9.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch

Zum ersten Mal seit der Wende gelang es einer Regierung, substanzielle Versprechen bereits in ihrer Anfangsphase zu verwirklichen. Hinter diesem erfreulichen Ergebnis stehen jedoch nicht immer wohlüberlegte Entscheidungen, sondern komplizierte wahltaktische Überlegungen. Diese können bei einer ungünstigen Entwicklung der internationalen Konjunktur auch zu wirtschaftlichen Rückschlägen führen.

Früher war es unter allen Parteien üblich, in Wahlkampfzeiten vollmundige Versprechen zu machen, um deren Verwirklichung sich dann niemand ernsthaft kümmerte. Den Gipfel dabei erklomm Viktor Orbán, der im letzten Wahlkampf allen Lohnabhängigen die Verdopplung der Gehälter in vier Jahren versprach. Dass dies nur bei einem Wachstum von ungefähr zwanzig Prozent jährlich möglich gewesen wäre, störte ihn wenig. Wichtig war der Erfolg. Unter solchen Umständen konnte die Opposition mit ihren Versprechen auch nicht kleinlich sein. Kompliziert wurde die Situation dadurch, dass die jetzigen Koalitionsparteien inzwischen einsahen, dass unerfüllte Versprechen bestenfalls zu weiterer Politikverdrossenheit, beim aggressiven Stil des politischen Gegners aber auch zu unkalkulierbaren Demonstrationen führen könnte.

Aus dieser Zwangslage - wohl auch dank der Verantwortung Péter Medgyessys - gab es nur einen Ausweg: Man musste die Wahlversprechen erfüllen. 164 Milliarden Forint (ca. 673,8 Millionen Euro - MD) wurden für die längst fällige Verbesserung des Lebensstandards der Rentner, der Pädagogen und Angestellten im öffentlichen Dienst ausgegeben. Die Regierung erreichte dadurch einen deutlichen Popularitätsgewinn in den Meinungsumfragen. Sie reitet jetzt auf einer Euphoriewelle.

Die optimistische Rechnung aus dem Mai, dass die Ausgaben die Wirtschaft beleben und die Konjunktur den ungarischen Export stärken würde, dürfte jedoch nicht aufgehen. Der seit Anfang 2000 anhaltende Wachstumsrückgang wurde zwar dank der stärkeren inneren Nachfrage gestoppt, aber die westlichen Konjunkturforscher revidierten alle optimistischen Prognosen aus dem Frühjahr nach unten, was schlechte Aussichten für die ungarische Exportindustrie bedeutet.

Der steigende Inlandsverbrauch stärkte den Import, was zur Verschlechterung der laufenden Zahlungsbilanz führte. Sie zeigte Ende Juli ein Minus von fast zwei Milliarden Euro, gegenüber von nur einer Milliarde im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Auch das Volumen der ausländischen Investitionen erreichte nicht das gewünschte Maß. Wirtschaftsforscher beurteilten das Stutzen mancher Schwachpunkte des Széchenyi-Plans zwar für unvermeidlich, Alternativen wurden jedoch nicht erarbeitet.

Der Devisenmarkt reagierte nervös auf die unerwartet schwache Wirtschaftsentwicklung, der Forint verlor sowohl gegenüber dem Euro als auch dem Dollar an Wert. Angesichts der ungünstigen Entwicklung entschloss sich die Regierung ihre Aufmerksamkeit wieder stärker auf die Ostmärkte zu lenken.

Umstritten ist auch die Politik der Nationalbank, die in den letzten Monaten den Leitzins trotz sinkender Inflation schon zweimal erhöhte. Kritiker befürchten, dass dieser Schritt die Investitionen hemmen wird. Außerdem birgt er die Gefahr einer reellen, durch die Erwartungshaltung bedingten Inflation. Diese könnte noch verstärkt werden durch die Konsequenzen der jetzigen Verteilungspolitik, die in einem international maroden Umfeld durch keine entsprechende Wirtschaftsleistung abgedeckt werden kann. (fp)