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"Made in Germany II" - Was ist deutsche Kunst?

Kürten, Jochen22. Mai 2012

Eine Überblicksausstellung in Hannover zeigt Kunst, die in Deutschland entstanden ist. Dabei ist nicht die Nationalität der Künstler entscheidend. Auch die Frage, was ein Kunstwerk heute überhaupt ist, wird gestellt.

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Kunstwerk von Ulla von Brandenburg Kulisy (Foto Sprengel Museum Hannover Made in Germany II)
Bild: Courtesy Art:Concept, Paris

"Es geht um die Frage, wie sieht eigentlich der Werkbegriff bei Künstlern heute aus?" Diese vielleicht zentrale Frage der Ausstellung in Hannover, stellt die Kuratorin Carina Plath im Gespräch mit der Deutschen Welle. Damit spricht sie Grundsätzliches an, das nicht nur für die Ausstellung "Made in Germany II" gilt. Es trifft auch auf viele andere große Kunstschauen in Deutschland zu, die sich mit Gegenwartskunst auseinandersetzen. Man begegnet - als Museums- und Ausstellungsbesucher - nur noch selten Bildern, Skulpturen, die für sich allein bestehen können, die autonom sind.

Vernetzte Kunstwelt

Kunst ist heute - das könnte eine Schlussfolgerung der Ausstellung "Made in Germany II" sein - globalisiert, vernetzt, assoziativ, intellektuell vielfach deutbar. "Es gibt ein Thema", sagt Carina Plath, "das heißt Vernetzungen, und das ist erst mal sehr abstrakt. Uns ist aufgefallen, dass die Künstler eigentlich gar nicht mehr das eine abgeschlossene Werk auratisch hinstellen, sondern, dass das Werk immer relativ ist, in Bezug auf eigene Werke, auch im Bezug auf Arbeiten von anderen Künstlern." Das sei eine Art von Relativität, sagt Plath, die - ohne flüchtig zu sein -, interessant sei und die vielleicht auch mit den neuen Medien zu tun habe und mit der internationalen Mobilität der Künstler.

Sprengel Museum in Hannover (Foto: Sprengel Museum)
Kunst aus Deutschland - drei Museen schließen sich zusammen - hier das Sprengel-MuseumBild: picture-alliance/dpa

Plath ist eine von mehreren Kuratoren, die die große Überblicksschau in Hannover konzipiert und zusammengestellt haben. Drei Institutionen, Sprengel-Museum, Kunst-Verein und Kestner-Gesellschaft, wagen den Blick auf "Kunst aus Deutschland". Das ist einerseits eine gewaltige, allumfassende, ja auch mutige Fragestellung. "Made in Germany" - was ist das? Was alles fällt darunter? Auf der anderen Seite ist der Anspruch dann aber doch nicht so groß. Kunst aus Deutschland von einer Generation der heute 30 bis 40jährigen, moderne Gegenwartskunst also, das hätte auch anders aussehen können. Man hätte die Ausstellung "Made in Germany" auch ganz anders gestalten können, mit anderen Künstlern, es seien sicherlich fünf ganz verschiedene Ausstellungen denkbar gewesen, gibt dann Veit Görner, der Direktor der Kestner-Gesellschaft, auch freimütig zu.

Kunst AUS Deutschland

Im Gegensatz etwa zu der in ein paar Wochen stattfindenden "documenta 13" in Kassel, setzt man den Fokus auf Kunst aus Deutschland. Die documenta zeigt Weltkunst, Hannover zeigt Kunst aus Deutschland. Das war übrigens auch vor fünf Jahren so, als "Made in Germany I" damals schon ganz bewusst einen Kontrapunkt zur Kunstschau in Kassel zu setzen versuchte. Schon der Untertitel von "Made in Germany II" macht die Sache aber kompliziert. "Internationale Kunst in Deutschland" heißt es da. Gemeint ist, dass die Kunst innerhalb der Landesgrenzen entstanden sein muß. Nicht gemeint ist: Kunst von deutschen Künstlern. Unter den 44 Künstlern - oder "Positionen", wie es im modischen Kuratoren-Deutsch inzwischen immer heißt - befinden sich Amerikaner und Franzosen, Japaner und Israelis. 21 der 44 wurden nicht in Deutschland geboren. Moderne Kunst heute - in einer globalisierten und vernetzten Welt - ist wohl immer auch Weltkunst.

Ein Beispiel: Der britisch-japanische Künstler Simon Fujiwara, der in Deutschland lebt und arbeitet, hat ein großes Arbeitszimmer im Kunstverein aufgebaut, samt umfangreicher Bibliothek, Schreibtisch, Arbeitsplatz. Begibt man sich nun als Besucher der Ausstellung in diese Installation "The Personal Effects of Theo Grünberg", ist die Sache scheinbar klar. Es ist der Arbeitsplatz einer offenbar wissenschaftlich arbeitenden Person namens Theo Grünberg. Der hat - das machen die Objekte, Bücher, auch Schallplatten, Bilder etc. deutlich - irgendwann in den 50er, 60er Jahren in Deutschland gearbeitet und geforscht. Auf einem Berliner Flohmarkt will Fujiwara das gesamte nun in Hannover zu sehende Ensemble erworben haben. So weit, so gut.

Plath geschnitten - MP3-Stereo

"The Personal Effects of Theo Grünberg" des Künstlers Simon Fujiwara im Kunstverein Hannover (Foto: Made in Germany II, Sprengel Museum, Kunstverein, Kestnergesellschaft)
Blick in Büro mit Bücherwand von Theo Grünberg - Simon Fujiwaras Spiel mit der WahrheitBild: Raimund Zakwoski

Doch beschäftigt man sich näher mit der Installation, kommen Zweifel auf. Man stößt nicht nur auf einen Theo Grünberg, sondern auf drei Personen gleichen Namens. Gleichzeitig kann man den Erzählungen des Künstlers Fujiwara lauschen - auf einem Bildschirm, integriert in einem Regal, ist ein über fünfstündiger Monolog Fujiwaras zu sehen. Ist alles nur Fiktion, Inszenierung, Fake? Nach und nach begreift man, dass hier einer ein Spiel mit Wirklichkeit und Illusion, mit Kunstobjekt, Dokument und Installation treibt. "Der Drang zu erzählen ist stärker als der, eine scheinbare Wahrheit zu finden", diesen Satz geben die Ausstellungsmacher dem Besucher mit auf den Weg. Auch auf viele andere Objekte in den drei Museen ließe er sich anwenden.

Spiel mit Illusion und Wirklichkeit

Auf Fujiwara trifft also genau das zu, was Kuratorin Carina Plath formuliert, wenn sie nach dem heutigen Werkbegriff fragt. "The Personal Effects of Theo Grünberg" ist zunächst einmal eine eindrucksvolle Installation. Doch je näher man auf das "Kunst"-Werk blickt, umso komplizierter wird es. Der Betrachter ist gefordert. Er braucht unbedingt Zeit, will er nur halbwegs Sinnzusammenhänge erschließen, Interpretationsansätze wagen. Viele andere Bilder, Installationen, Skulpturen in Hannover bieten weniger fürs Auge, für die Sinne. Doch auch sie fordern auf zum Mitdenken, zum Hinterfragen.

Installation "Industrielles Haus" von Olaf Holzapfel im Sprengel Museum (Foto: Made in Germany II Sprengel Museum)
Spiel mit "deutschen Werten": Baustoff Holz als Fachwerk-Installation "Industrielles Haus" von Olaf HolzapfelBild: Raimund Zakoswki

Kuratorin Plath glaubt nicht, dass Ausstellungen wie "Made in Germany II" den Betrachter überfordern. "Bei Gegenwartskunst ist es doch immer einfach, weil man ja sowieso schon Zeitgenosse ist", sagt sie. Wenn man Augen und Ohren aufmache und eine Offenheit habe, dann könne man sich doch sehr viele Dinge selber erschließen. Eine sehr optimistische Sichtweise, aber was bleibt Kuratoren moderner Kunst heutzutage auch anderes übrig, als auf die Offenheit der Besucher zu setzen? Kunstwerke stellen heute nicht das "eine abgeschlossene Werk" dar - Plaths These wird in Hannover eindrucksvoll belegt, zumindest mit der ganz speziellen Auswahl, die "Made in Germany II" zeigt. Ob die Beschäftigung mit dieser Kunst freilich "einfach" ist, darüber ließe sich streiten. Ein gewisses Vorwissen kann zumindest nicht schaden.