1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Macron liebt die große Koalition

4. Dezember 2017

Für den französischen Präsidenten wäre eine FDP in einer Berliner Koalition ein Albtraum gewesen. Jetzt zeichnet sich seine Wunschkonstellation ab, um zusammen mit Deutschland die EU umzubauen.

https://p.dw.com/p/2ojrk
Frankreich Schulz trifft Macron
Bild: picture alliance/dpa/POOL Stern/M. Weiss

Nur zwei Tage nach der Wahl in Deutschland hatte Präsident Emmanuel Macron in einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne europapolitische Pflöcke eingeschlagen. Ein gemeinsamer Haushalt für die Eurozone war eine der Ideen, ein Euro-Finanzminister, eine europäische Steuer auf Finanztransaktionen und einiges mehr. Aber ohne Deutschland, so machte Macron klar, war nichts davon umsetzbar. Doch welches Deutschland? Solange die Liberalen an den Sondierungsverhandlungen in Berlin beteiligt waren, schien das unrealistisch. Europa werde nicht dadurch stärker, "dass wir weitere Geldtöpfe aufmachen, die den Anreiz für solide Haushaltspolitik schmälern". So hatte der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff Macrons Ideen schon früh abgeschmettert.

Jetzt, wo eine neue große Koalition aus CDU/CSU und SPD in Berlin immer wahrscheinlicher wird, wittert Macron erneut Morgenluft. "Eine große Koalition war von Anfang an die Wunschkoalition von Emmanuel Macron", sagt Claire Demesmay, Frankreich-Expertin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Es ist vielleicht weniger die Kanzlerin, auf die der Präsident setzt; die hat zwar nichts von seinen Ideen rundheraus abgelehnt, lässt aber auch keine Begeisterung erkennen. Sondern seine Hoffnungen könnten vor allem auf der SPD ruhen.

Schulz: GroKo hätte europapolitischen Preis

Bei SPD-Chef Martin Schulz klingelt seit einiger Zeit öfter das Telefon, am Apparat ist Emmanuel Macron. Der drängt den zögernden Schulz nicht nur in eine neue Regierung mit der Union, sondern auch, in einem solchen Bündnis seine Reformvorstellungen für Europa zu unterstützen, wie Schulz der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sagte. "Das Schutzversprechen des Staates, das die Sozialdemokratie einst den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen erkämpft hat, kann nur über eine europäisierte Sozialdemokratie erneuert werden, weder im französischen noch im deutschen Alleingang", sagte Schulz der Zeitung.

Deutschland Frankfurter Buchmesse 2017 Eröffnung Merkel und Macron
Merkel hat bisher distanziert auf Macrons EU-Reformideen reagiertBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Der SPD-Vorsitzende, bis vor kurzem kategorischer Gegner einer erneuten Zusammenarbeit mit Merkel, schaltet um, nennt aber auch den Preis, den die Union zahlen müsste: "Eine positive Antwort auf Emmanuel Macron zu geben, wird ein Kernelement bei jeder Verhandlung mit der SPD sein", so Schulz gegenüber dem "Spiegel". Die deutsche Europapolitik müsse sich ändern. Offensiver soll sie sein. Wie Macron fordert Schulz nichts weniger als eine "Neugründung Europas".

Die alte Vorstellung vom Zahlmeister Deutschland

Doch könnten die Sozialdemokraten als erneuter Juniorpartner unter Kanzlerin Merkel Deutschlands Europapolitik wirklich neu ausrichten? Und wollen sie es? "Entscheidend für Macron ist, wer Finanzminister werden wird", sagt Claire Demesmay, weil das für seine Reformvorhaben für die Eurozone und für die europäische Verteidigungspolitik eine Schlüsselrolle habe.

Aber vor allem bei der CDU/CSU müsste Macron mit erheblichen Widerständen rechnen. CDU-Vize Julia Klöckner drückte die Skepsis aus, als sie kürzlich sagte: "Wir sind gegen die Gemeinschaftsübernahme von Schulden anderer Länder. Das sind wir unseren Steuerzahlern schuldig." Auch Claire Demesmay bestätigt, es sei "ein weitverbreitetes Gefühl in Deutschland" und nicht nur bei CDU und FDP, Deutschland solle für Frankreich zahlen. Auch die Jamaika-Sondierungen hatten das gezeigt: Trotz aller Unterschiede in der Europapolitik waren sich doch alle vier Parteichefs darin einig, dass sie einen Euro-Haushalt für Investitionen und für überschuldete Euro-Staaten ablehnten. Dagegen hatte die SPD schon in ihrem Wahlprogramm ein "gemeinsames Finanzbudget" für die Währungsunion gefordert.

Macron hat sich aber andererseits selbst bei der CDU keineswegs eine glatte Abfuhr eingehandelt. Julia Klöckner hatte gleich nach ihrer Kritik an französischen Haftungsplänen gesagt: "Ansonsten sind wir offen für das, was an Vorschlägen für Europa auf dem Tisch liegt, auch von Herrn Macron. Aber das wird dann in den Einzelfällen gewogen werden." Dabei erleichtere es Macron den Deutschen, weil er "Reformen ernst nimmt", wie Demesmay sagt. Lange hätten deutsche Politiker weitere europäische Integrationsschritte mit der Begründung vermieden, die französische Politik scheue Reformen im Inland. Das gelte nicht mehr.

Symbolbild Geldbörse
Ein gängiges Klischee: Die Deutschen zahlen, andere geben das Geld ausBild: picture-alliance/dpa

Es geht um viel mehr als Geld

Was von Macrons Vorstellungen wohl Union und SPD problemlos zusammen unterstützen könnten, wäre eine Weiterentwicklung des ESM zu einem europäischen Währungsfonds. Aber auch bei den Unterschieden geht es oft gar nicht ums Grundsätzliche, sondern nur ums Graduelle. Einem Euro-Budget steht die Kanzlerin zum Beispiel nicht gänzlich ablehnend gegenüber. Aber sie sieht darin eher einen Fonds mit einer Summe im niedrigen Milliardenbereich statt eines wirklich jährlich aufgestellten und gut ausgestatteten Haushalts.

Claire Demesmay glaubt, man sei sich in Berlin sehr wohl bewusst, dass Deutschland und Frankreich jetzt zusammen handeln müssten. Einmal sei die Situation in Europa durch den Aufstieg von Populisten "besorgniserregend". Außerdem werde die Gelegenheit zu handeln nicht allzu lange anhalten. Man müsse sich jetzt überlegen, was die Alternativen seien, einschließlich der Option, gar nichts oder zu wenig zu tun. Wichtiger als die Frage, "für Frankreich zu zahlen", sei aber, "welche Vorstellung man vom Zusammenleben in der EU in Zukunft hat. Ist es ein Nebeneinander, wo jeder Staat für sich verantwortlich ist, oder ist es eine Solidaritätsgemeinschaft?" Diese Frage sei vielleicht noch schwieriger als die, ob man zahlen solle oder nicht, aber "sie muss beantwortet werden, und die Antwort ist zur Zeit überhaupt nicht klar".

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik