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Macht und Geld regieren Chinas Bauboom

Matthias von Hein 1. Oktober 2003

Chinas Immobilienboom hat Schattenseiten: Die Vertreibung der eingesessenen Bewohner aus traditionellen Wohnvierteln und den Verlust historischer Bausubstanz. Proteste werden unterdrückt. Matthias von Hein kommentiert.

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Wang Baoguang wusste keinen anderen Ausweg. Als Ende September 2003 die Abrisskolonne kam, um ihn aus dem Haus in Peking zu vertreiben, in dem seine Familie seit 200 Jahren lebte, da übergoss er sich mit Benzin und zündete sich an. Wang ist das jüngste Opfer eines Goldrauschs: Der spielt im Immobiliensektor, wo zum Beispiel in Shanghai die Preise in den vergangenen zwei Jahren um 30 bis 40 Prozent gestiegen sind.

In dem Fall Wang werden wie unter dem Mikroskop die Verhältnisse im Wirtschaftswunderland China deutlich. In der Grauzone eines Kapitalismus unter den Bedingungen einer Diktatur wird öffentliches Eigentum zur Beute korrupter Netzwerke: Ohne Einspruchsrechte der Betroffenen wird Stadtplanung betrieben. Lokale Stadtregierungen, die über den Boden verfügen, gehen Allianzen mit Immobilienentwicklern ein - und die staatlichen Banken sorgen für die Finanzierung. Schließlich gelten in China Beziehungen immer noch mehr als Regeln oder Gesetze. Die immensen Gewinne wandern in die Taschen der Beteiligten und werden ins nächste Geschäft investiert.

So erklärt sich auch, dass in China einige Menschen innerhalb weniger Jahre zu Multimillionären aufsteigen können - und manchmal noch viel schneller fallen, wenn die politische Protektion wegbricht: So geschehen etwa beim jüngst zu 18 Monaten Haft verurteilten Yang Bing, ehemals mit 900 Millionen US-Dollar Vermögen die Nummer 2 auf der Forbes-Liste der reichsten Chinesen. Oder wie bei dem kürzlich verhafteten Shanghaier Tycoon Zhou Zhengyi, auf der Forbes-Liste auf Rang 11 geführt. Unter anderem gehören zu seinem Besitz 1,6 Millionen Quadratmeter bestes Land in Shanghai, erworben durch Beziehungen zur Kommunalverwaltung. Die Bewohner dieses Landes hatten das Nachsehen: Ihre Bleiben wurden kurzerhand abgerissen.

Als sich 2000 Hausbesitzer mit einer Klage dagegen wehrten, wurde ihr Anwalt kurzerhand festgenommen und des Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt. Der erwünschte Effekt trat auch prompt ein: Kaum ein Anwalt in Shanghai wird künftig einen solchen Fall annehmen; in Peking weigern sich die Gerichte ohnehin, solche Fälle zu behandeln. Die Immobilienspekulanten haben mit Rückendeckung der Behörden also leichtes Spiel. Entsprechend rüde sind die Methoden.

Zum Beispiel bei den Entschädigungen. Die werden von Behörden festgesetzt, die mit den Immobilienentwicklern in einem Boot sitzen. Die Summe ist nicht verhandelbar. Bedenkzeit für die Bewohner der zum Abriss bestimmten Häuser: häufig gerade mal ein Monat. Angesichts der Alternative, völlig ohne Entschädigung von Schlägertrupps vertrieben zu werden, willigen die meisten zähneknirschend ein.

Die chinesische Regierung bezeichnet völlig zu Recht die Korruption als eine der stärksten Bedrohungen für die Stabilität Chinas. Immer wieder werden auch hohe Funktionäre zu harten Strafen verurteilt - bis zum Tod. Doch wo so viel Geld zu verdienen ist und wo es so wenig Kontrolle durch freie Medien oder eine demokratische Öffentlichkeit gibt wie in China, gleicht der Kampf gegen die Korruption dem Versuch, barfuss einen Steppenbrand auszutreten. Und wo so viel schnelles Geld im Spiel ist, geraten Leute wie Wang Baoguang zwischen die Mühlräder wirtschaftlicher Interessen.