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Machen Schmerztabletten abhängig?

Gudrun Heise
11. Oktober 2017

Mal ehrlich: Lesen Sie immer den Beipackzettel genau durch, bevor Sie eine Schmerztablette nehmen? Nein? Sollten Sie aber, denn die Nebenwirkungen können fatal sein.

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Migräne Kopfschmerztablette
Bild: picture alliance/dpa/M. Gröning/SZ

Kopfschmerzen? Die meisten gehen da direkt mal zum hauseigenen Arzneimittelschrank. Kopfschmerztabletten hat ja wohl jeder im Haus. Man braucht kein Rezept und bekommt sie in jeder Apotheke.

"Frei verkäuflich heißt nicht automatisch ungefährlich", sagt der Bremer Pharmakologe Bernd Mühlbauer. Er warnt davor, Tabletten auf eigene Faust zu lange und unkontrolliert einzunehmen. "Sie können durchaus Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten haben."

Abhängig von der Kopfschmerztablette?

Heftige Schmerzmittel wie etwa Opiate können zu Abhängigkeiten führen. Das ist bekannt. Aber die harmlose Kopfschmerztablette? "Viele Patienten sind abhängig von Schmerzmitteln", so Gerhard Müller-Schwefe vom Schmerz und Palliativ- Zentrum Göppingen. Das gelte nicht nur für Opiate, also für stark- und zentralwirksame Medikamente, sondern auch für einfache Schmerzmittel.

Das Fatale ist, dass die Patienten das Medikament immer wieder schlucken. "Wenn Sie das Medikament 14 oder 16 Stunden nicht genommen haben, kann es zu Entgiftungsschmerzen kommen", erläutert Müller-Schwefe. "Um diesen Schmerz zu behandeln, nehmen die Betroffenen ein Schmerzmittel. Damit geraten sie in einen Teufelskreis, aus dem sie nicht mehr herauskommen."

Zahlen darüber, auf wie viele Menschen das zutrifft, gibt es nicht. Aspirin und Co sind schließlich unproblematisch in jeder Apotheke erhältlich und müssen nicht vom Arzt verschrieben werden.

'Hab ich nicht gewusst' gilt nicht!

Symbolbild Beipackzettel
Die wenigsten Beipackzettel sind auch für Laien verständlich Bild: VRD - Fotolia.com

'Hast du mal eine Aspirin für mich'? Schon längst ist die Tablette aus der grün-weißen Schachtel zum Synonym für Kopfschmerzen geworden und zum Verkaufsschlager der Bayer AG: "Die einfachste und schnellste Lösung für Ihre Kopfschmerzen heißt: Schmerzmittel. Wirkstoffe wie Acetylsalicylsäure in Aspirin® lindern leichte bis mäßig starke Kopfschmerzen zuverlässig." So steht es auf der Webseite des Aspirin-Herstellers. Selbstverständlich gibt es einen Beipackzettel zum Medikament. Darin sind alle möglichen Nebenwirkungen aufgelistet, die bekannt sind.

Das geht von "häufig" (1 bis 10 Behandelte von 100) bis hin zu 'selten' (1 bis 10 Behandelte von 10.000), und dazu zählen nach Angaben des Herstellers "schwerwiegende Blutungen wie z.B. Hirnblutungen, besonders bei Patienten mit nicht eingestelltem Bluthochdruck … " oder auch "Überempfindlichkeitsreaktionen (bis hin zu schweren fieberhaft verlaufenden Hautausschlägen mit Schleimhautbeteiligungen [Erythema exsudativum multiformel]".

Spätestens bei solchen Formulierungen schalten vermutlich selbst diejenigen ab, die in guter Absicht begonnen hatten, sich mit den möglichen Nebenwirkungen zu beschäftigen. Zur Erinnerung: Es geht um Aspirin. 

Mühlbauer hält es für dringend nötig, die gängigen Beipackzettel zu ändern. "Wir arbeiten beispielsweise seitens der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft an einem Projekt mit. Wir wollen erreichen, dass mit ein paar gut leserlichen und verständlichen Ausdrücken auf die wirklich relevanten Gefahren hingewiesen wird, eine Art Kurzzusammenfassung", sagt Mühlbauer.

Und, so der Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie am Klinikum Bremen, er wünsche sich, dass die Patienten die Beipackzettel dann auch wirklich lesen. Und das gilt nicht nur für sämtliche Mittel zur Schmerzbekämpfung. Es gilt für alle Medikamente.

Das Phänomen der Uhrmacher

Menschen, die besonders konzentriert arbeiten, etwa am Computer, vielleicht sogar bis in die Nacht hinein, gehören zu einer Gruppe, die häufig Schmerzmittel nimmt, weil sie funktionieren wollen und müssen. Die andere Gruppe seien Patienten mit einer Migräne, die nie untersucht und diagnostiziert wurde, glaubt Müller-Schwefe.

Und auch da besteht die Gefahr, dass diese Menschen in einen Teufelskreis geraten, nach der Devise: je mehr Schmerzmittel, desto mehr Schmerzmittel, desto mehr Schmerzmittel … Irgendwann führt das zur Abhängigkeit und zu Kopfschmerzen, die durch Kopfschmerztabletten verursacht wurden.

Uhrenmanufaktur A. Lange & Soehne
Längeres Arbeiten mit hoher Konzentration kann Kopfschmerzen fördernBild: picture-alliance/AP Photo/E. Schulz

"Früher waren es die Schweizer Uhrmacher, die präzise und konzentriert arbeiten mussten. Das war allgemein bekannt. Sie haben alle einen Arzneistoff zur Schmerzbehandlung und Fiebersenkung genommen, vertrieben unter dem Namen Phenacetin, denn sie bekamen von ihrer Arbeit Kopfschmerzen. Zu einem hohen Prozentsatz ist es bei diesen Leuten dann zu Nierenversagen gekommen."

Dadurch sei man dieser häufigen Nebenwirkung von Schmerzmedikamenten auf die Spur gekommen. Allein in Deutschland, so Müller-Schwefe sei etwa ein Drittel der Nieren-Patienten an der Dialyse, weil sie Schmerzmittel in hohen Dosen genommen hätten. "Dabei sind die Nieren kaputt gegangen. Jedes Jahr kommen etwa 6.000 neue Patienten hinzu."

Augenwischerei

Auch Ibuprofen ist frei verkäuflich. Patienten wenden es nicht nur bei Kopfschmerzen an. Es ist auch zur Behandlung verschiedener Entzündungsformen gedacht. 400 Milligramm dieses Medikamentes bekommt man ohne Rezept in jeder Apotheke.

Tabletten mit je 600 oder 800 Milligramm hingegen gibt der Apotheker nur raus, wenn es der Arzt verschrieben hat. Daraus ergibt sich nach Adam Riese ein einfaches Rechenexempel: Da nehme ich doch zweimal 400 mg und bin dann auch bei der verschreibungspflichtigen Menge angelangt.

"Einige dieser Schmerzmittel sind in Deutschland nur deshalb frei verkäuflich, weil sie uralt sind," sagt Müller-Schwefe. "Sie sind oft vor zig Jahren synthetisiert und nie sorgfältig untersucht worden. Würden diese Medikamente heutzutage eine Zulassung durchlaufen, wäre keines dieser Medikamente auf dem Markt." Davon ist der Schmerztherapeut überzeugt. "Sie würden alle an den Zulassungskriterien scheitern."

Eine schlechte Kombination

Bayer Leverkusen Riesen Aspirin-Packung 1999
Aspirin ist weltweit das bekannteste SchmerzmittelBild: Bayer AG

Aspirin und Ibuprofen: Es gibt viele Patienten, die Aspirin als Prophylaxe bei Herzerkrankungen als Blutverdünner nehmen, damit die Blutplättchen nicht so leicht verkleben und um einer Gerinnung vorzubeugen. "Wenn man zuerst das Aspirin nimmt und hinterher Ibuprofen für Kopfschmerzen, dann funktioniert das", erklärt Müller-Schwefe. "Aber wenn man erst das Ibuprofen nimmt und dann das Aspirin, dann sind die entsprechenden Enzyme so lange durch das Ibuprofen geblockt, dass das Aspirin gar nicht wirken kann. Dann hat der Patient ein erhöhtes Blutgerinnungsrisiko und bekommt vielleicht einen Schlaganfall, eine Embolie." 

Zu dieser und anderen möglichen Nebenwirkungen gibt es sicherlich irgendwo im Kleingedruckten des Beipackzettels eine ausdrückliche Warnung, genauso wie zu einer möglichen Abhängigkeit, sofern das Medikament nicht nach Vorschrift eingenommen wird. Und selbst wenn diese Zeilen in einer verständlichen Sprache formuliert sind, kann der Laie die Gefahren und möglichen Wechselwirkungen kaum einschätzen. Also besser: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.