Wie entsteht das Deutschlandbild
6. Januar 2010
Wie gut ist Angela Merkel als Bundeskanzlerin, was verdient ein Profi-Fußballer bei Bayern München und was für ein Auto muss man fahren, um eine deutsche Frau heiraten zu können? Fragen, die man gelegentlich als Tourist von jungen chinesischen Studenten zu hören bekommt und die offensichtlich mit einem Deutschland-Bild zu tun haben, das einseitig von Klischeevorstellungen geprägt ist, wie sie sich hauptsächlich über das Internet verbreiten.
Neben dem bösen Deutschen, dem deutschen Nazi, hätte es natürlich auch immer den deutschen Biedermann gegeben, der als unverrückbares Klischee über die Jahrhunderte Bestand hatte. Die Zeit aber, wo jeder Deutsche automatisch ein "Altnazi" war, wären wohl vorbei, erklärt Jens Hacke, vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Hacke beschäftigt sich mit der politischen Ideengeschichte der Bundesrepublik Deutschland und geht unter anderem der Frage nach, ob die Bundesrepublik Deutschland im 61. Jahr ihres Bestehens und 20 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch als ein nationales Provisorium gilt, als ein etwas seelenloses Staatswesen ohne Charisma. Es gäbe ja einen Katalog durchaus vorzeigbarer Aktiva, die sich allerdings schlechter verkaufen ließen als das Negativimage des ausländerfeindlichen und langweiligen Deutschen, meint Hacke.
Modell Deutschland als Marke
Das Modell Deutschland aus der Ära von Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde trotz Ölkrise, Deutschem Herbst und Wiedervereinigungsschmerzen zur "Marke Deutschland". 60 Jahre Bundesrepublik werden so zur rückwärtsgerichteten Erfolgsgeschichte. Die Ahnengalerie der Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt entwickelte sich mittlerweile zur Heldengeschichte. All die kollektiven Erfolgs- und Glückmomente bundesdeutscher Geschichte wie Wirtschaftwunder, Fußballwunder von Bern oder jüngst das schwarz-rot-goldene Fahnenmeer des Fußball-Sommermärchens von 2006 wurden dem bundesrepublikanischen Mythenkatalog hinzugefügt. Doch im Bewusstsein der schrecklichen Kriegsbilder aus Afghanistan, tauchen auch die Schatten-Bilder des nationalsozialistischen Erbes wieder auf, verbundenen mit der Frage:
Wie vermittelt man einer jungen, mit digitalen Medien vertrauten Generation den Holocaust als Verbrechen wider die Menschlichkeit? Einem 15-Jährigen wäre doch die ganze NS-Zeit ähnlich fern wie das Mittelalter, meint Jens Hacke und plädiert für neue Wege in der politischen Bildung. Der 1973 geborene Politologe erinnert sich noch an die Zeitzeugengesprächen mit ehemaligen KZ-Häftlingen, die in deutschen Schulen von ihren Erfahrungen berichteten. Solche Erfahrungsbilder wird es in naher Zukunft nicht mehr gehen.
Hemdsärmelige Repräsentanten
Materieller, sportlicher Erfolg und vor allem wissenschaftliche Spitzenleistungen prägen trotz weltweiter Finanzkrise nach wie vor das materialistisch geprägte Außenbild der Bundesrepublik. Ohne Glanz und Gloria, wie etwa in England und Frankreich, gibt man sich bei Staatsanlässen nüchtern, zuweilen auch etwas unvermögend.
Als Beispiel nimmt Hacke die kürzlich erfolgte Wahl des Bundespräsidenten. Eine nüchterne Veranstaltung, die den Bundestagspräsidenten zeigt, wie er fast lässig SMS-Nachrichten tippt und das gewählte Staatsoberhaupt erwartet. In Frankreich, so Hacke, würde zu solchen Anlassen eine Ehrenformation der Luftwaffe über den Arc de Triomphe fliegen. In Deutschland sind solche Bilder immer noch undenkbar.
Starke Regionalkultur, weltoffene Hauptstadt
Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung stabilisiert sich Deutschland als ein Konglomerat aus teils starken regionalen Kulturen. Regionale Dialekte, regionale Küche und Baudenkmäler ergeben ein vielgestaltiges und selbstbewusst gelebtes Deutschlandbild. Berlin, die Metropole mit leeren Kassen, ist attraktives Zentrum und kollektiver Sehnsuchts-Ort für eine weltoffene Gesellschaft.
Der Hamburger hat vielleicht mehr gemeinsam mit dem Engländer als mit dem Bayern und der Bayer vielleicht in bestimmten Regionen mehr mit dem Österreicher als mit dem Niedersachsen und umgekehrt. Jens Hacke sieht im Verbund deutscher Länder die Chance für ein modernisiertes Deutschlandbild, das in der Vielfalt kultureller, politischer und wirtschaftlichern Eigenheiten zu einer wirklichen Einheit finden kann.
Vorbild Wiedervereinigung
Was bleibt nach 60 Jahren Bundesrepublik? Zwei Dinge: Der von Ralf Dahrendorf gepriesene liberale Verfassungsstaat im "Land ohne Idee" und die friedliche Revolution von 1989. Ein schönes, zuversichtliches und starkes Bild und eben kein Klischee, das man in alle Welt vermitteln sollte, bekennt Jens Hacke.
Autor: Sven Ahnert
Redaktion: Sabine Oelze