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Italien Reformen

10. November 2011

Italien steht ein ganz entscheidendes Wochenende bevor. Nur wenn bis Montag Reformen verabschiedet sind und eine neue Regierung steht, werden die Finanzmärkte gnädig sein.

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Archivbild: Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi beim G20 Gipfel in Cannes November 2011
Zum Rückzug bereit: Silvio BerlusconiBild: dapd

Der 86-jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano ist der letzte Fels in der italienischen Brandung. Nur dem greisen Mann im höchsten Staatsamt trauen die Italiener noch zu, einen Ausweg aus der Krisenspirale zu finden. Napolitano sagte in Rom: "Jetzt ist rasches Handeln nötig, um das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Finanzmärkte wieder herzustellen." Der Staatspräsident hat dem scheidenden Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi offenbar ins Gewissen geredet und einen strammen Zeitplan vorgegeben, damit bis zur Öffnung der Börsen am Montag (14.11.2011) Italiens Weg aus der Schuldenkrise klar wird.

Am Freitag (11.11.2011) und am Samstag sollen die beiden Kammern des Parlaments ein umfassendes Reformpaket verabschieden, um die italienischen Staatsfinanzen zu sanieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Monatelang hatte der konservative Ministerpräsident Berlusconi diese Entscheidungen vor sich hergeschoben, bis es selbst den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zu bunt wurde. Berlusconi musste sich schriftlich verpflichten, nun endlich Entscheidungen herbeizuführen. Innerhalb kürzester Zeit sollen die Gesetze durch Senat und Abgeordnetenhaus verabschiedet werden. Ob sich dafür Mehrheiten finden, ist unklar.

Ehemaliger EU-Kommissar Mario Monti am Rednerpult im Pressesaal der EU-Kommission in Brüssel 2002 Archiv
Spitzname "Italiens Preuße": Mario MontiBild: dapd

Übergangsregierung soll es richten

Wenn die Gesetze beschlossen sind, so Staatspräsident Napolitano, wird der gescheiterte Ministerpräsident Berlusconi noch am Wochenende zurücktreten. Unmittelbar danach will Napolitano wohl den Wirtschaftsprofessor und ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti mit der Bildung einer Übergangsregierung aus sogenannten Technokraten beauftragen. Montis Aufgabe wird es dann sein, die Zahlungsunfähigkeit Italiens zu verhindern und eine Finanzierung über die Kapitalmärkte in den nächsten Monaten sicherzustellen. Silvio Berlusconis Partei scheint bereit zu sein, ihre Forderung nach Neuwahlen erst einmal fallen zu lassen. Auch die sozialistische Opposition will mangels geeigneter Kandidaten keine Neuwahlen. Dazu hat Italien schlicht keine Zeit. Die ganze Kraft der Politiker müsse jetzt dazu aufgewendet werden, das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen, mahnte die Präsidentin des Industrieverbandes Confindustria, Emma Marcegaglia. "Wir haben es nicht verdient, wie Griechenland zu enden", so Marcegaglia.

Italien am Tropf der Europäischen Zentralbank

Zur Einsicht brachte Italiens Politiker wohl der enorme Druck, der sich an den Finanzmärkten aufbaut. Die Zinsen, die Italien für Staatsanleihen zahlen ums, bewegten sich um die sieben Prozent. Als Portugal und Irland diese magische Grenze für einige Wochen überschritten hatten, mussten sie Finanzhilfen bei den Staaten der Euro-Zone und dem Internationalen Währungsfonds beantragen. Italiens Finanzminister muss in diesem Jahr noch Schulden in Höhe von 37 Milliarden Euro refinanzieren. Im kommenden Jahr werden 304 Milliarden Euro an alten Staatsanleihen fällig. Mit Zinssätzen um sieben Prozent wäre die Refinanzierung kaum zu leisten.

Auch für die Banken, die in Italien und Europa Staatsanleihen aus Rom halten, könnte die Lage bedrohlich werden. Investoren, die Italiens Staatsanleihen nicht mehr trauen, werden auch diesen Banken kein Geld mehr leihen oder deren Aktien kaufen. Deshalb ist erneut die Europäische Zentralbank massiv gefordert. Sie kauft italienische Staatsanleihen am sogenannten Sekundärmarkt, also von anderen Banken oder Gläubigern auf, um die Kurse zu drücken. Diese Intervention kann sich die EZB aber nicht ewig leisten. Sie hat bereits geschätzte 160 Milliarden Euro für Staatsanleihen aus den Krisenstaaten ausgegeben.

Archiv: Demonstranten mit roten Plakaten, die gegen die Finanzkrise und Berlusconi protestieren. 06.09.2011 in Turin
Demonstrationen gegen die Finanzkrise in ganz Italien, hier im September 2011 in TurinBild: dapd

Rettungsfonds für Italien zu klein

Sollte es der italienischen Regierung - welcher auch immer - in den nächsten Wochen nicht gelingen, schlüssige Konzepte für die Sanierung der Staatsfinanzen vorzulegen und Vertrauen zurückzugewinnen, wäre guter Rat teuer. Italien ist, das weiß auch EU-Finanzkommissar Olli Rehn, zu groß für alle bislang konstruierten Rettungsfonds. Italien macht ungefähr 17 Prozent der Wirtschaftskraft der Euro-Länder aus, Griechenland nur 2,5 Prozent. Selbst der auf eine Billion Euro ausgeweitete Rettungsschirm EFSF würde wohl nicht reichen, um Italien zahlungsfähig zu halten.

Außerdem ist der berühmte "Hebel" immer noch nicht gefunden. Die Finanzminister der Euro-Zone arbeiten noch an den konkreten Mechanismen für den EFSF, der aus der garantierten Summe von 440 Milliarden Euro eine Billion machen soll. Auch die Banken in Europa könnten eine weitere Verschlechterung der Lage in Italien oder gar Zahlungsausfälle nur schlecht verkraften. Noch ist nicht einmal der Schuldenschnitt für Griechenland organisiert. Die Verhandlungen mit den Banken dauern an. Die Kapitalausstattung der Banken wird erst Ende Juni 2012 wirklich adäquat sein, um Staatspleiten kleinerer Ländern, aber nicht dicker Brocken wie Italien zu verdauen.

Archiv: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Merkel gehen gemeinsam zur Pressekonferenz beim G20 gipfel in Cannes November 2011
Ratlose Retter: Frankreichs Präsident Sarkozy und Bundeskanzlerin MerkelBild: dapd

Zukunft der Euro-Zone

Italien muss sich also selbst helfen. Das war bereits die Botschaft des letzten Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 26. Oktober 2011. Eine unbegrenzte Unterstützung Italiens durch die Europäische Zentralbank lehnt vor allem Deutschland ab. Das hieße nämlich, dass die EZB die Notenpresse anwirft und unbegrenzt Mittel zur Verfügung stellt. Großbritannien und die USA, die mit ihren Notenbanken so verfahren, werben für diese Methode. Noch lehnt Bundeskanzlerin Angela Merkel diese "monetäre Staatsfinanzierung" zusammen mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann ab.

Das kommende Wochenende könnte also nicht nur für Italien entscheidend werden, sondern auch über die Zukunft der Euro-Zone mitentscheiden. Viele Analysten sind sich einig: Wird Italien zum finanzpolitischen Pflegefall, ist auch die Gemeinschaft der 17 Staaten mit dem Euro als Währung am Ende. Der italienische Banker Alessandro Profumo sagte der Zeitung "Handelsblatt", Italien stehe eigentlich wirtschaftlich gar nicht so dramatisch schlecht dar, nur die Glaubwürdigkeit sei im Keller. "Italien besitzt einen großen Reichtum: Es hat eine starke Industrie, große private Vermögen und alle Möglichkeiten, dieses Land gut funktionieren zu lassen", sagte Profumo. Die Neuverschuldung sei relativ gering, was fehle sei eine gute Regierung, ein gutes Management. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte in Berin, die Stabilisierung der Euro-Zone in ihrer jetzigen Form habe für sie höchste Priorität. "Es ist wichtig, dass die politische Führung in Italien so schnell wie möglich geklärt wird. Denn das, so glaube ich, ist entscheidend für Italiens Glaubwürdigkeit."

Autor: Bernd Riegert (mit dpa, afp)
Redaktion: Iveta Ondruskova