1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lyrik - lieber lustig

Marcus Bösch12. Juni 2004

"Des Morgens, wenn ich früh aufsteh, dann tut mir meine Birne weh." Der Lyriker Steffen Jacobs hat 878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren zusammengetragen. Alles Unlustige musste draußen bleiben.

https://p.dw.com/p/4ylJ
Erklären Sie das mal einer GluckeBild: Zweitausendeins

Komisch dass man automatisch an Ohrensessel denken muss. Oder an die knochigen Hände eines verdienten Honorarprofessors. Schließlich geht es hier um einen Gedichtband - eine Anthologie. Das impliziert Bedeutungsschwere. Macht aber nichts. Denn diesmal ist alles ganz anders. "Die komischen Deutschen" heißt der schmucke neue Band. Zwei dicke Hühnchen stieren herrlich schön vom Buchrücken, sitzen auf einer Parkbank und kümmern sich nicht weiter. 878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren? Erklären Sie das mal einer Glucke.

944 Seiten Gegendarstellung

Alles Unlustige musste draußen bleiben. Eine verlockend schlichte Idee für eine Gedichtsammlung und doch ganz neu. Schließlich fehlen große Teile witzigster und aberwitzigster deutscher Dichtkunst in den meisten klassischen Poesie-Anthologien. "Wer nur ein bisschen zu Verschwörungstheorien neigt, könnte leicht zu dem Schluss gelangen, gegen die komische Poesie deutscher Sprache sei seit geraumer Zeit ein finsteres Komplott im Gange", erklärt Steffen Jacobs, Lyriker, Autor und Herausgeber des vorliegenden Buches im Gespräch mit DW-WORLD. Mit dem 944 Seiten starken Büchlein legt Jacobs "eine Gegendarstellung zum lückenhaften Lyrik- und Komikbegriff landläufiger Anthologien" vor.

Steffen Jacobs, Herausgeber
Steffen Jacobs, HerausgeberBild: Zweitausendeins

Crème de la Crème

Auf der Suche nach dem gewitzten Gedicht hat sich Jacobs in die germanistische Institutsbibliothek der Freien Universität Berlin zurückgezogen. Hat dort ein knappes Jahr in Nachlasseditionen gewühlt, Faksimiles gesucht und Werkausgaben des 19. Jahrhunderts durchblättert. "Mehr als 100.000 Seiten Lyrik werden es gewesen sein", sagt er. Gefunden hat Jacobs fast vergessene Glanzstücke, alte Geheimtipps und die komischen Seiten altehrwürdiger Poeten. Mit dabei natürlich auch die Crème de la Crème lustiger Lyrik, die üblichen Verdächtigen wie Busch, Morgenstern, Kästner und Ringelnatz.

Erich Kästner
Erich Kästner im Jahr 1964Bild: DHM

Profis und Sporadiker

"Generell unterscheiden lassen sich zwei Arten von Komikern: die Komik-Profis und die Komik-Sporadiker", erklärt Jacobs. Und während es ihm bei den Profis darauf ankam, seltenes und schönes auszuwählen, war die Recherche bei den Sporadikern aufwendiger. So galt es sich beispielsweise durch das komplette lyrische Werk von Eduard Mörike oder Franz Grillparzer zu arbeiten. Die Ausbeute: weniger bekannte Seiten der klassischen Lyriker. Mit der weit verbreiteten Auffassung ernsthafte und scherzhafte Lyrik gehörten strikt getrennt, kann Jacobs nicht viel anfangen: "Meist stehen sich diese diffusen Größen nämlich nicht als unversöhnliche Kontrahenten gegenüber, sondern gehen Hand in Hand wie ein altes Ehepaar."

Doch nicht komisch?

Entstanden ist mit den "komischen Deutschen" ein klassisches Hausbuch im besten Sinne. Hervorragend lässt sich anhand der thematischen Unterteilung schmökern oder im Autoren-Verzeichnis gezielt suchen. Leider nicht finden wird der Lyrik-Freund Werke von Robert Gernhard. Der fand Jacobs Anthologie alles andere als amüsant und entzog dem Verlag Zweitausendeins die Druckrechte für 14 seiner Gedichte. Warum? Gernhard arbeitete selber an einer Anthologie lustiger Lyrik, die er zusammen mit dem Germanisten Klaus Cäsar Zehrer inzwischen unter dem Titel "Hell und Schnell" im Fischer Verlag veröffentlicht hat. Komisch die Deutschen? Was kümmert das die Glucken.

Die komischen Deutschen. 878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren. Herausgegeben von Steffen Jacobs, 944 Seiten, Verlag Zweitausendeins