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Lukaschenkos weiße Weste

Roman Goncharenko8. Oktober 2015

Nach der Freilassung politischer Gefangener möchte Alexander Lukaschenko seine Wiederwahl sauber erscheinen lassen. Weißrusslands Präsident hofft auf einen Neuanfang mit dem Westen. Sein autoritäres Machtsystem bleibt.

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Alexander Lukaschenko, der Präsident Weißrussland (Foto: AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Grits

Alles deutete auf einen Routine-Gewinn. Die Umfragewerte für Alexander Lukaschenko sind hoch, die Gegner sehen schwach aus. Der Präsident Weißrusslands, der die frühere Sowjetrepublik seit 1994 mit harter Hand regiert, blickt offenbar entspannt seinem fünften Sieg bei der Wahl am Sonntag entgegen.

Doch wenige Wochen vor der Abstimmung mischte ausgerechnet Lukaschenkos engster Verbündeter den Wahlkampf auf: Russland. Moskau konkretisierte seine Pläne, in Weißrussland einen Luftwaffenstützpunkt zu bauen. Vor dem Hintergrund des Krieges in der benachbarten Ukraine ist fast die Hälfte der Weißrussen (45 Prozent) Umfragen zufolge dagegen. Die Opposition versuchte, Menschen zu Straßenprotesten zu bewegen. Am Dienstag kritisierte Lukaschenko Russland ungewöhnlich scharf und sagte, sein Land brauche keine solche Luftbasis.

Nicht mehr "Europas letzter Diktator"

Es war der vorläufige Höhepunkt in einem Wahlkampf, den die Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als "zum großen Teil unsichtbar" beschrieben hatte. Am Sieg Lukaschenkos dürfte das jedoch wenig ändern.

Dabei möchte der weißrussische Staatschef sein Image im Westen als "Europas letzter Diktator" ablegen. Das sei er nicht mehr, sagte Lukaschenko in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg im April: "Es gibt schlimmere Diktatoren, nicht wahr? Ich bin das kleinere Übel." Er deutete auf seinen russischen Kollegen Wladimir Putin. Seit der Ukraine-Krise wird Lukaschenko immer seltener "Diktator" genannt.

Anders als 2010 möchte Lukaschenko keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass er die Wahlen gewinnen wird. Damals gab es in der Hauptstadt Minsk Proteste, die die Polizei niederschlug. Mehrere Oppositionsführer wurden verhaftet und zu langjährigen Strafen verurteilt. Die Europäische Union setzte Sanktionen, Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen weißrussische Politiker und Geschäftsleute durch. Lukaschenko wurde im Westen isoliert.

Ukraine-Krise politisch ausgenutzt

Doch der 61-Jährige nutzte die Ukraine-Krise, um diese außenpolitische Isolation aufzubrechen. Zunächst wurde Minsk zum Treffpunkt für Gespräche zwischen der ukrainischen Regierung und den pro-russischen Separatisten. Ende August ließ Lukaschenko überraschend mehrere inhaftierte Oppositionspolitiker begnadigen. Die EU begrüßte diese Entwicklung. Nun müsse Weißrussland einen zweiten Schritt machen und eine demokratische Präsidentenwahl abhalten, hieß es aus Brüssel.

Wahlplakat mit Lukaschenko in Minsk (Foto: DW)
Wahlkampf in Minsk: "Zum großen Teil unsichtbar"Bild: Getty Images/AFP/S. Gapon

Auch innenpolitisch profitierte Lukaschenko von der Ukraine-Krise. In seinem Wahlprogramm skizziert er zwei Optionen für Weißrussland: Stabilität oder Chaos. Die Botschaft: Wer keine "Revolution, Blut und Krieg" wolle, solle ihn wählen. Die Rechnung geht offenbar auf. Für 48 Prozent der Weißrussen sind Frieden und Stabilität die wichtigsten Prioritäten. Das fand das weißrussische Meinungsforschungsinstitut NISEPI heraus, das im litauischen Vilnius residiert. "Die Ereignisse in der Ukraine waren der wichtigste Faktor, der die innenpolitischen Ansichten der Bevölkerung in Weißrussland bestimmt haben", so der Soziologe und Institutsgründer Oleg Manajew im Gespräch mit der DW. Das Volk habe sich unter anderem aus Angst vor Ereignissen wie jenen in der Ukraine hinter Lukaschenko gestellt.

Sanktionen steigern ökonomischen Druck

Soziologen wie Manajew sagen Lukaschenko einen Sieg mit einer Zweidrittelmehrheit voraus. Außer dem Staatschef sind drei weitere Kandidaten zur Wahl zugelassen. Zum ersten Mal ist auch eine Frau dabei. Beobachter erwarten aber, dass kein Gegenkandidat eine echte Gefahr für Lukaschenko sein wird. Die zerstrittene Opposition konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Herausforderer einigen. Manche Oppositionspolitiker wie Alexander Lebedko riefen deshalb die Bürger zu einem Wahlboykott auf. Lebedko wollte selbst antreten, scheiterte aber an den 100.000 Unterschriften, die jeder Präsidentschaftskandidat sammeln muss.

Beobachter sehen ökonomische Gründe hinter Lukaschenkos Gesten in Richtung Westen. Das Land sei wirtschaftlich angeschlagen und russische Hilfe reiche nicht mehr aus. Ob Lukaschenkos Hoffnung erfüllt wird, dürfte sich bald zeigen. Die Frist für die EU-Sanktionen endet am 31. Oktober. Der Außenminister Litauens, Linas Linkevicius, sprach sich bereits Ende August für eine Lockerung der Sanktionen aus. "Im Moment besteht noch kein Grund zu glauben, dass demokratische Zustände in Weißrussland eingekehrt sind", sagt Oliver Kaczmarek von der Deutsch-Weißrussischen Parlamentariergruppe. "Aber wir wollen die positiven Signale, die Freilassung politischer Gefangenen aufnehmen", so der SPD-Bundestagsabgeordnete. Nun schaue man auf die Wahlen.

Russland bleibt stärkster Partner

Doch eine weiße Weste habe Lukaschenko nach wie vor nicht: "Man sollte nicht glauben, dass sich der weißrussische Herrscher plötzlich geändert hat und ein Demokrat geworden ist", sagt auch Alexander Klaskowski vom Online-Portal Naviny.by. Lukaschenko regiere weiterhin allein.

Sollten sich Weißrussland und die EU tatsächlich bald wieder annähern, möchte Lukaschenko das nicht als einen Schwenk Richtung Westen verstanden wissen. "Wir waren immer zusammen und werden noch lange zusammenbleiben", sagte er auf einer Konferenz - mit Blick auf Russland. Beobachter erwarten, dass Moskau Lukaschenkos stärkster Partner bleiben wird und genug Druckmittel hat, um seine Luftwaffenbasis in Weißrussland durchzusetzen. Beide Länder haben Anfang 2015 die Eurasische Union ehemaliger Sowjetrepubliken gegründet. Die ohnehin starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland dürfte zunehmen.