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Lukaschenko hat die Wahl schon fast gewonnen

Olja Melnik19. März 2006

In Weißrussland wird ein neuer Präsident gewählt. An einem Sieg von Europas letztem Diktator Alexander Lukaschenko zweifelt niemand - seine Methoden zum Machterhalt werden immer brutaler.

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Altkommunisten sagen 'Ja' zu LukaschenkoBild: AP
Wahlen Weißrussland Plakat Lukaschenko Anhänger
Anhänger von Lukaschenko in der Stadt BrestBild: AP

Obwohl sein Sieg vorprogrammiert ist, scheint Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko kurz vor der Wahl am Sonntag (12.3.) nervös zu werden. "Die Anspannung ist so groß, das können Sie sich gar nicht vorstellen", offenbarte Lukaschenko unlängst vor rund 2500 Delegierten der Gesamtbelarussischen Volksversammlung. Der Wahlkampf koste ihn viel Nerven, er werde einem großen Druck ausgesetzt. Die Anwesenden nickten verständnisvoll, hörten sich die dreistündige Rede des Präsidenten aber eher gelangweilt an. Viel zu häufig erleben sie solche Auftritte.

Offene Gewalt

Etwas frischeren Wind versprach eine Ansprache von Lukaschenkos sozialdemokratischem Mitbewerber, Alexander Kosulin, der den Versammelten von seinen Erfahrungen berichten wollte. Doch dazu kam er nicht: Noch vor dem Eingang wurde der oppositionelle Präsidentschaftskandidat von KGB-Männern in schwarz umstellt, zu Boden geworfen und mit Füßen getreten. Danach musste der frühere Rektor der staatlichen Universität in Minsk mehrere Stunden auf dem Polizeirevier verbringen.

Hier gibt's weitere Information zu Weißrussland

Zahlreiche Journalisten, die seine Festnahme beobachtet haben, wurden ebenfalls zusammengeschlagen. Den meisten sei das Filmmaterial abgenommen worden, erzählt Aleksander Kosulin. "Wenn es früher gewisse Zweifel daran gab, ob im Wahlkampf Gewalt angewendet wird, ist es heute ganz offensichtlich. Das ist eine Farce, eine Dekoration, mit der Lukaschenkos panische Angst vor dem eigenen Volk verdeckt werden soll", sagt Kosulin. "Er kann jetzt nicht anders und wird seine Macht mit Gewalt bis zur letzten Patrone verteidigen. Das hat er deutlich gemacht."

Seine Wahlkampf-Veranstaltungen werden von großen Polizei-Einsätzen begleitet, so Kosulin. Jedes Detail wird von KGB-Mitarbeitern in Zivil gefilmt. Am Ende jeder Veranstaltung kommt es in der Regel zu Festnahmen. Wer beim Verteilen der Wahlprogramme erwischt wird, landet wegen staatsfeindlicher Agitation im Gefängnis. "Zu Haftstrafen werden auch diejenigen verurteilt, die unsere Treffen mit den Wählern organisieren", so Alexander Milinkewitsch, Präsidentschaftskandidat der Vereinigten Demokratischen Kräfte. Ihm zufolge hatte die Polizei in den vergangenen zwei Wochen mehr als 60 Oppositionelle bis zu 15 Tage inhaftiert:

Systematische Durchsuchungen

Alexander Kosulin
Der Oppositions-Kandidat Alexander KosulinBild: AP

Die Staatsmacht ist in Agonie verfallen. Sie hätte nie gedacht, dass die Protest-Stimmung in der Gesellschaft so schnell ansteigt", glaubt Milinkewitsch. "Nun versucht man diejenigen zu isolieren, die dazu aufrufen. Unsere Aktivisten werden systematisch durchsucht - in der Hoffnung, bei ihnen Waffen, Drogen und gefälschte Dollar zu finden." Milinkewitsch vertritt zehn Parteien und rund 200 Organisationen. Unter dem Vorwurf, einen Staatsstreich geplant zu haben, würden Dutzende oppositionelle Aktivisten auf der Anklagebank sitzen, erzählt er. Der KGB habe im Büro einer Organisation, die unabhängige Wahlbeobachter ausbildet, vorgefertigte Protokolle mit gefälschten Wahlergebnissen, mehrere Tausend Dollar, Mobiltelefone sowie Zahlungsbelege sichergestellt, denen zufolge Wahlbeobachter Geld aus dem Ausland erhalten hätten.

Um den Schein einer Demokratie nach außen zu vermitteln, erlaubte der autoritäre Präsident Lukaschenko seinen oppositionellen Mitbewerbern zwei Auftritte von jeweils 30 Minuten im staatlichen Rundfunk und Fernsehen. Die Tatsache, dass aus deren Ansprachen die kritischsten Passagen herausgeschnitten wurden, versuchte er zu vertuschen. Ein unhaltbarer Zustand, stellt Alexander Woitowitsch von der belarussischen Bürgerinitiative "Für Freie Wahlen" fest. "Lukaschenko hat bereits mehrfach gegen das Wahlgesetz verstoßen. So bezeichnete er seine Herausforderer als Schurken, die das Land ruinieren wollen", sagt er. Das Wahlgesetz verbiete derartige Aussagen. Seine Initiative habe dies sofort an die Zentralwahlkommission weitergeleitet. "Doch diese behandelt Lukaschenko anders als oppositionelle Kandidaten".

Beobachter unerwünscht

Am Wahlsonntag werden über 30.000 nationale und rund 2000 internationale Wahlbeobachter in Belarus unterwegs sein. Bei weitem nicht alle Beobachter dürfen jedoch den Wahlverlauf vor Ort verfolgen. Wenige Tage vor dem Urnengang häufen sich die Fälle, wo internationalen Beobachtern die Einreise verweigert wird. Als unerwünscht bezeichnete das belarussische Außenministerium auch den Besuch einer Delegation des Europäischen Parlaments, da diese nicht eingeladen worden sei.

Alexander Milinkewitsch Weißrussland
Alexander MilinkewitschBild: AP

In einem Schreiben wurden sieben Delegationsmitglieder darauf hingewiesen, dass jeder Einreiseversuch als "Provokation" aufgefasst und direkt an der Grenze vereitelt werde, so die Europa-Angeordnete Elisabeth Schrödter: "Das ist ein Zeichen dafür, dass Lukaschenko wirklich mit aller Macht das Land isoliert, um die Wahl im Geheimen ohne internationale Beobachtung ablaufen zu lassen." Jene, die ins Land kommen dürfen, würden einzeln ausgewählt. "Das zeigt, dass er Angst hat, selbst unter den von ihm diktierten Bestimmungen im Land nicht die Mehrheit der Stimmen zu erhalten."

Agitation auf Hochtouren

Genau aus diesem Grund wird allen, die bei staatlichen Einrichtungen arbeiten, nahe gelegt, ihre Stimme vor dem 19. März abzugeben. Aus diesem Grund werden Betriebsausflüge in die Wahllokale organisiert, die bereits sechs Tage vor dem eigentlichen Wahltag geöffnet sind. Bei Elternabenden in den Schulen sollen sich die Anwesenden in die Wähler-Listen eintragen. Auch in den Universitäten läuft die Agitation auf Hochtouren. "Ob Du es willst oder nicht, Du musst bei den Studenten dafür werben, vorzeitig ihre Stimmen abzugeben", erzählt eine junge Professorin, die eine Rolle als Propagandistin nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. Doch sie muss mitmachen, sonst verliert sie ihren Job. Das kann auch passieren, wenn sie nicht ausreichend Lukaschenko-Stimmen gesammelt hat.

Ihren Protest wird die Professorin bei einer friedlichen Kundgebung am Wahlabend zum Ausdruck zu bringen, genauso wie Tausende ihrer Mitbürger, die keine Willkür mehr ertragen wollen und sich nach einem Leben ohne Angst sehnen. Zur Unterstützung werden auch zahlreiche Aktivisten der Organisation "Pora" erwartet, die vor zwei Jahren zur orangenen Revolution erheblich beigetragen haben. Doch ein ähnliches Szenario für Belarus ist kaum denkbar, weil die Ausgangssituation hier wesentlich komplizierter ist als vor knapp zwei Jahren in der Ukraine, so Andrei Jusov, einer der "Pora"-Koordinatoren. "Die Angstschwelle, die wir seinerzeit überwunden haben, ist in Belarus um einiges höher", sagt Jusov. "Natürlich haben wir bei Straßenprotesten unsere Jobs- und Studienplätze riskiert. Doch keiner setzte dabei sein Leben aufs Spiel."