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London calling: Zeit, sich zu umarmen

Titus Chalk27. Juli 2012

Vergesst all die Klagen über Sicherheit, Verkehrschaos und Sponsoren: Die Spiele sind endlich da und die Londoner rücken näher zusammen. Der Olympia-Blog von DW-Reporter Titus Chalk.

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Titus Chalk in London vor der Tower Bridge (Foto: DW)
Bild: DW

Was sieben Jahre lang wie ein Traum erschien (für manche war's ein Albtraum) ist jetzt endlich Wirklichkeit: Es ist an der Zeit, den Zynismus beiseite zu lassen und die Skandale zu vergessen; die Stadt ist bereit, die Spiele – diese Gaudi aus der Antike – mit offenen Armen zu empfangen.

Ich wurde direkt nach meiner Ankunft hier in London von der Stimmung übermannt und mitgerissen. Auch wenn der Anfang meiner Reise zunächst unter einem schlechten Stern zu stehen schien: Als ich mit meinem Gepäck vor einer verschlossenen Tür im Stadtteil Ealing in West London saß, fühlte ich mich alles andere als "olympisch". Aber hilfsbereite Nachbarn waren zur Stelle und luden mich und mein Gepäck einfach in ihren Wagen und nahmen mich mit, um den Fackellauf auf der Uxbridge Road anzuschauen - ein geräuschvolles, großartig fröhliches Spektakel im strahlenden Sonnenschein. Und mir wurde klar: Das ist es, worum es geht.

Multi-Kulti in London

Trotz aller kommerziellen Auswüchse der modernen Olympischen Spiele ist es letztendlich doch etwas Wunderbares, wie das Ereignis die Menschen vereint. Der Fackelläufer, den ich sah, war ein Sikh, der in wenigen Sekunden mit wehendem grauen Bart an mir vorbei rannte, die Arme im Triumph hochgerissen. Und ganz London jubelte ihm zu: Schwarze, Weiße, Muslime, Sikhs, Polen, Jamaikaner – das ganze herrlich multikulturelle London eben.

Deutschlands Tennis-Legende Boris Becker beim Fackellauf durch London. (Foto: Friso Gentsch)
Auch Deutschlands Tennis-Legende Boris Becker war beim Fackellauf auf Londons Straßen zu sehenBild: picture alliance / dpa

Und am Straßenrand mitten in diesem Schmelztiegel von einer Stadt kamen alle zusammen – auch wenn bei einigen vielleicht bis dahin die Olympia-Skepsis überwogen hatte – und sie winkten mit Fähnchen, quatschten miteinander, lachten und scherzten mit den "Bobbies", den Polizisten auf ihren Motorrädern. Es war eben diese Art von spontaner Gemeinschaft, die das Leben ausmacht – und die nur zu oft verlorengeht im Alltag einer so großen und weitläufigen Metropole wie London. Und ich war mitten drin mit meinen neuen irischen Nachbarn, die ich bislang gar nicht kannte – und wir verstanden uns prächtig.

Olympia vereint

Und obwohl es sich anhört wie ein abgedroschenes Klischee aus einer Sport-Marketing Abteilung, dass Sport "die Menschen zusammenbringt", so stimmt es doch, dass Ereignisse wie die Olympischen Spiele genau das tun. Egal neben wem man heute hier in der U-Bahn steht, man hat plötzlich ein Gesprächsthema – auf einmal mag jeder seine Meinung zum Ereignis kundtun und erträgt die Menschenmenge und die drückende Hitze mit einem Lächeln.

Vielleicht wollten sie gar nicht die Olympischen Spiele vor ihrer eigenen Haustür haben, vielleicht hassen sie sogar Sport und Sportveranstaltungen, aber für die nächsten zwei Wochen hat der Zirkus der fünf Ringe die acht Millionen Einwohner dieser Stadt für einander geöffnet und mit Gesprächsstoff versorgt.

Das allein ist ein Erfolg, der kaum mit Goldmedaillen aufzuwiegen ist.