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Literarischer Husarenritt

31. Juli 2009

Der Roman "Irakische Rhapsodie" des irakisch-amerikanischen Autoren Sinan Antoon erzählt die Geschichte eines irakischen Anglistikstudenten, der unter Saddam Hussein in Haft der Staatssicherheit gerät.

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Buchumschlag Irakische Rhapsodie 2009 (Foto: Lenos Verlag)
Sprache und Macht - zwei wesentliche Themen der "Irakischen Rhapsodie"

Wir schreiben das Jahr 1989 – in den Archiven des irakischen Innenministeriums taucht ein schwer lesbares handschriftliches Manuskript auf, offenbar von einem Gefängnisinsassen geschrieben. Mitarbeiter Talal Ahmed wird mit der Abschrift beauftragt – und was er da abtippt, das ist der eigentliche Roman.

Der Leser bahnt sich seinen Weg durch ein Labyrinth von Aufzeichnungen, durch eine lose Sammlung von Lebenserinnerungen, Träumen und Beobachtungen aus dem Gefängnisalltag. Sie stammen aus der Feder eines gewissen Furat, Anglistikstudent, Dichter und Querdenker par excellence.

Mit pubertierenden Streichen und kecken Blasphemien versucht Furat, der alles durchdringenden Ideologie der herrschenden Baath-Partei zu entkommen. An jeder Ecke hängt ein lebensgroßes Bild des Führers, jede Zeitung erinnert an die Allmacht der regierenden Partei. Deren Kontrollmechanismen nehmen teilweise absurde Formen an.

"Ich führte den Führer"

Beispielsweise dürfen Fußballfans keine Zeitungen mit ins Stadion nehmen – die Behörden befürchten, sie könnten es sich darauf bequem machen und somit auch auf den Abbildungen des Präsidenten. "Wenn die wüssten, was mit Zeitungen so gemacht wird", schmunzelt Furat. "Je knapper das Klopapier wurde, desto mehr waren wir gezwungen, uns der Zeitungen zu bedienen. Dabei pflegte ich die Titelseite zu wählen, da diese voller Fotos und Leitartikel war. Ich führte den Führer und gestattete seinem Schnauzbart, meine Furche zu durchfurchen."

Das interessanteste an der "Irakischen Rhapsodie" spielt sich jedoch nicht in Furats Manuskript ab, sondern an dessen Rand. Hier hat der äußerst gewissenhafte Genosse Talal Ahmed zahlreiche Wörter markiert und mit Fußnoten versehen: Schlüsselbegriffe in der Partei-Propaganda, die durch einen einfachen Buchstabendreher oder einen hinzugefügten Buchstaben eine abschätzige Bedeutung bekommen.

So wird aus Khaki Khacki, aus Republikanisch "Repupsikanisch" und so weiter. Ein absichtliches Wortspiel des Autors Furat? Oder doch nur ein Rechtschreibfehler? Wie dem auch sei, Genosse Talal ist immer zur Stelle, um auf die korrekte Bedeutung des Wortes hinzuweisen. Er beziehungsweise das Innenministerium, der Sicherheitsapparat, der Staat – sie sind der unsichtbare Dritte in der "Irakischen Rhapsodie".

Verhältnis von Sprache und Macht

Autor Sinan Antoon (Foto: Lenos Verlag)
Spielt mit der Sprache: Autor Sinan AntoonBild: Lenos Verlag

Die "Irakische Rhapsodie" ist denn auch ein Buch über Sprache, genauer gesagt über das Verhältnis von Sprache und Macht. Frei nach George Orwells 1984 entwirft Antoon eine Dystopie, die in ihrer Absurdität noch über die realen Begebenheiten unter Saddam Hussein hinausgeht. So erinnert sich Furat etwa an staatliche Dekrete, in denen die öffentliche Verbrennung aller Lexika angeordnet und das Phänomen der "Mehrdeutigkeit" zum Staatsfeind erklärt wird.

Der Prozess der Sprachmanipulation zugunsten einer vorherrschenden Ideologie hat in der arabischen Welt Tradition – und auch darauf spielt Sinan Antoon auf gekonnte Weise an.
So entstehen Furats verdächtige Wortspiele in der arabischen Originalausgabe des Romans nicht etwa durch einen Buchstabendreher, sondern durch eine Veränderung in der Punktierung. Ein nicht unbedeutender Unterschied, auf den auch die Übersetzer der deutschen Ausgabe in einer Vorbemerkung hinweisen.

Die Punktierung der arabischen Buchstaben ist historisch gesehen eine relativ späte Entwicklung – allerdings eine, die es in sich hat.
Das arabische Alphabet besteht lediglich aus 18 Grundzeichen. Die restlichen Buchstaben werden gebildet, indem man ein, zwei oder drei Punkte unterhalb oder oberhalb eines dieser Zeichen setzt.

Die Entwicklung der Schrift

Bis etwa ins 7. Jahrhundert wurde ein Großteil der Schriften noch gänzlich ohne Punktierung aufgesetzt, wobei dann aus dem jeweiligen Kontext erkenntlich wurde, welche Buchstaben und Wörter gemeint waren. Dies ließ natürlich einen gewissen Spielraum für Interpretation.

Im Grunde wurde das Punktesystem erst mit der Ausbreitung des Islam fester Bestandteil der arabischen Schreibkultur. Auch der Koran wurde zunächst nach alter Methode niedergeschrieben – entsprechend war auch eine Vielzahl an Lesarten im Umlauf, die sich teilweise substantiell voneinander unterschieden. Erst die Etablierung einer Herrscherdynastie unter den islamischen Kalifen führte dazu, dass eine bestimmte Lesart bevorzugt wurde und diese mit Hilfe des Punktesystems allgemeingültig fixiert wurde.

Diese von den damaligen Machthabern favorisierte Version ist auch heute noch als die einzig gültige im Umlauf. Ein heißes Eisen, an das sich in der islamischen Welt nur wenige Kritiker wagen. In der offiziellen Geschichtsschreibung wird das Thema totgeschwiegen. Die "Irakische Rhapsodie" nimmt dazu auf raffinierte Art und Weise Bezug. Sinan Antoon gelingt es, einen Erlebnisraum zu kreieren, der nicht durch konkrete Ereignisse und Orte begrenzt ist – am Ende umfasst er sogar die ganze islamische Welt. Die Stärke dieses Buches ist jedoch auch gleichzeitig seine Schwäche.

Im Vergleich zu all jenen Nebenschauplätzen, die sich am Rande von Furats Manuskript auftun, erscheinen die Aufzeichnungen des Studenten selbst eher blass. Furats spitzfindige Kommentare, seine Art, alles und jeden auf die Schippe zu nehmen, der auch nur entfernt etwas mit dem Regime zu tun hat – auf Dauer gehen sie einem auf die Nerven. Was rebellisch und trotzig klingen soll – manchmal klingt es dann doch zu gekünstelt, zu sehr um jeden Lacher bemüht. Dennoch: Die "Irakische Rhapsodie" ist ein lesenswertes Buch!

Autor: Mahmoud Tawfik

© Qantara.de 2009