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Linke und Piraten - geht da was?

Marcel Fürstenau3. August 2012

Zwei Parteien mit sehr unterschiedlichen Wurzeln verändern in Deutschland den Politikstil. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten werden sie bei ihrem Treffen in Berlin allerdings nur selten fündig.

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Bernd Schlömer (l.), Bundes-Vorsitzender der Piratenpartei, und die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping (r.) auf dem Podium während einer Diskussionsrunde am 02.08.2012 in Berlin. In der Mitte Moderator Jakob Augstein. (Foto: Jörg Carstensen / dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Jung sind sie beide, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die Piratenpartei wurde 2006 gegründet, die Linke 2007. Doch während die Piraten überhaupt keine Tradition haben, handelt es sich bei der Linken um einen strategischen Zusammenschluss von Sozialisten aus Ost- und Westdeutschland. Die Linke hat also viel politische Erfahrung und verfügt trotz aller Turbulenzen in jüngster Vergangenheit über gewachsene Strukturen. Alles das müssen sich die Piraten erst aufbauen und erarbeiten.

Was die eine Seite von der anderen lernen könnte, wo es Gemeinsamkeiten und wo es Trennendes gibt, darüber unterhielten sich am Donnerstagabend (02.08.2012) bei hochsommerlichen Temperaturen die Vorsitzenden der Parteien öffentlich in Berlin. Das erste politische Rendezvous zwischen Katja Kipping (Linke) und Bernd Schlömer (Piraten) findet im Szeneviertel Prenzlauer Berg statt, moderiert vom Herausgeber der dezidiert linken Wochenzeitung "Freitag", Jakob Augstein. Der Sohn des verstorbenen "Spiegel"-Gründers Rudolf Augstein hat erkennbar vor allem ein Ziel: die Annäherung zwischen Piraten und Linken zu befördern. Das Experiment darf als interessant, aber misslungen bezeichnet werden.

Flirt auf offener Bühne

Persönlich kommen sich der 41-jährige Schlömer und die sieben Jahre jüngere Kipping schnell näher und duzen sich gleich bei ihrer ersten Begegnung. "Frauen, denen ich so nahe gekommen bin, habe ich meistens danach auch geküsst", witzelt der leger mit einer Baskenmütze gekleidete Chefpirat. Atmosphärisch war das Eis gebrochen, zumal die Cheflinke in hochhackigen roten Schuhen schlagfertig kontert: "Bevor ich jemanden küsse, hätte ich noch ein paar kritische Fragen". Kippings Witz amüsiert die etwa 200 Zuhörer im Saal und wohl auch jene, die das tête-à-tête via Livestream im Internet verfolgen.

Als Menschen sind sich Schlömer und Kipping sympathisch, politisch aber tun sie sich schwer miteinander. Die Piraten seien liberal, "geprägt von freien Individuen, die sich selbstbestimmt entfalten, entwickeln und entscheiden können", skizziert Schlömer seine Partei. Das ist seiner neuen Freundin viel zu vage und allgemein. Kipping wirft ihrem Gesprächspartner vor, einen einheitlichen Steuersatz für alle zu favorisieren. Das wäre eine "deutliche Benachteiligung von Leuten mit niedrigen und mittleren Einkommen".

Kipping und Schlömer setzen auf mehr TransparenzEinig sind sich die beiden, dass die oft lebenslange Bindung der Wähler an eine bestimmte Partei an Bedeutung verloren hat. Kipping bezeichnet diesen Trend als "Emanzipation", Schlömer bevorzugt das Wort "Wechselwähler" und wehrt sich gegen den Begriff des "Protestwählers", der ihm zu "negativ“ behaftet sei. So oder so profitieren ihre Parteien von dieser Entwicklung. Die Piraten schafften im vergangenen September in Berlin erstmals den Einzug in ein Parlament, im März dieses Jahres gelang das auch im Saarland. Der wesentlich stärker im Osten Deutschlands verwurzelten Linken glückte seit 2007 der Sprung in zahlreiche westdeutsche Volksvertretungen. Allerdings gab es in diesem Jahr herbe Rückschläge, als man in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aus dem Parlament flog.

Die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping (l.), und Bernd Schlömer, Bundevorsitzender der Piratenpartei, posieren am Donnerstag (02.08.2012) in Berlin vor Beginn einer Podiumsdiskussion für den Fotografen. (Foto: Jörg Carstensen / dpa)
Verstehen sich gut, aber nur privat. Denn politisch liegen Welten zwischen Katja Kipping (l.)und Bernd Schlömer.Bild: picture-alliance/dpa

Die im Juni zur Linkenvorsitzenden gewählte Kipping glaubt einen wichtigen Grund für die Niederlagen zu kennen: zu viele Absprachen in Hinterzimmern, zu wenig Transparenz und Kommunikation. Das will sie ändern und dabei kann ihr ein Blick auf die Piraten durchaus behilflich sein. Die setzen konsequent auf Öffentlichkeit, um den Eindruck der Heimlichtuerei zu vermeiden. Als politische Partnerin aber dürfte die Piratenpartei kurzfristig für die Linke kein Thema sein. Kipping vermisst bei Schlömer klare Bekenntnisse zu gesellschaftlichen Fragen. Links und Rechts sind für sie nah wie vor entscheidende Kategorien. Bei der Verteilung von Reichtum oder dem Umgang mit großen Konzernen gebe es "klare Konfliktlinien".

Zwischen Pragmatismus und Ideologie

ARCHIV: Eine Fahne mit dem Logo der Piratenpartei weht vor dem Brandenburger Tor in Berlin (Foto vom 25.07.09). Die Piratenpartei schaffte bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetetnhaus am Sonntag (18.09.11) auf Anhieb 8,9 Prozent der Stimmen. Damit schaffte die Partei erstmals den Einzug in ein Landesparlament. (zu dapd-Text) Foto: Berthold Stadler/dapd
Die Piratenflagge weht schon in Berlin, allerdings vor dem Stadtparlament. Den Bundestag will die junge Partei 2013 entern.Bild: dapd

Schlömer kann mit Kippings Haltung wenig anfangen. Die Piraten seien eine "heterogene Bürgerbewegung", die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen durch Teilhabe beeinflussen wollen. Er glaube, dass besonders jüngere Menschen heutzutage "wesentlich mehr von pragmatischen Lösungen geprägt sind und weniger von Ideologie“. Bei diesem Stichwort verliert Kipping beinahe die Contenance. Sie habe sich schon mehrmals "auf die Zunge beißen müssen", gibt die Bundestagsabgeordnete zu. Die schärfste Ideologie sei die "Ideologie der Ideologiefreiheit", schleudert Kipping ihrem Widerpart Schlömer entgegen.

Aus Sicht der Linken-Chefin reichen Transparenz und mehr Bürgernähe nicht aus, um politische Ziele erreichen zu können. Bestes Beispiel sei die Euro-Krise. Sie zeige, dass die Politik am "Gängelband der Finanzmärkte" hänge. Das sei ein "realer ökonomischer Machtkonflikt". Den Piraten traut Kipping dabei wenig zu. Als Indiz dafür sieht sie deren Bekenntnis zur sogenannten Schuldenbremse, die Bund und Länder mittelfristig zum Verzicht auf neue Schulden verpflichtet.

Die Umfragewerte bröckeln

Wie klein aktuell die Schnittmenge zwischen Linken und Piraten ist, wird kurz vor Schluss der Veranstaltung deutlich, als ein Zuhörer beide Parteichefs bittet, drei thematische Übereinstimmungen zu benennen. Kipping hat damit kein Problem: Grundeinkommen für alle, kostenloser öffentlicher Personen- und Nahverkehr, kostenloses WLAN für Internetznutzer. Schlömer lässt zwar Sympathie für derlei Forderungen durchblicken, weigert sich aber unter Verweis auf die Piratenbasis, drei Punkte zu nennen. "Das ist nicht die Methode, nach der wir arbeiten."

Ob die Piraten mit dieser Einstellung auf Dauer Erfolg haben werden, ist fraglich. In Umfragen liegen sie momentan bei sieben bis acht Prozent, es waren schon mal 13. Der angestrebte erstmalige Einzug in den Bundestag im Herbst 2013 könnte zur Zitterpartie werden. Das gilt auch für die Linke, die momentan nur knapp über der Fünf-Prozent-Sperrminorität notiert wird. Die Wankelmütigkeit der Wechselwähler, denen beide Parteien in der Vergangenheit Erfolge zu verdanken hatten, könnte schnell zum Fluch für sie werden.