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Liebesnest am Laternenmast

Ingo Uhlenbruch24. Mai 2004

Wer sich vor Insekten ekelt, sollte den Osten der USA meiden. Dort krabbeln derzeit Milliarden von Zikaden umher, um sich zu paaren. 17 Jahre hat es gedauert, bis das Liebesspiel beginnen konnte.

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Sing-Zikade auf BrautschauBild: AP

Unter den Zikaden gibt es viele Arten. Die Gruppe der Singzikaden in den USA unterscheidet sich durch besondere Merkmale von anderen Formen. Singzikaden sind zunächst einmal geduldige Insekten.

Sie genießen ihre Kindheit ausgiebig und verbringen die ersten 17 Jahre ihres Lebens unter der Erde. Dort ernähren sie sich vom Baumwurzelsaft und wachsen langsam heran, bevor sie zur Paarung ans Tageslicht kriechen.

"Wenn man die ganze Zeit nur an den Wurzeln saugen kann, so ist das nicht besonders nahrhaft. Die Zikaden müssen schließlich groß und stark werden. Kein Wunder, wenn sie an die Oberfläche wollen", scherzt Reinhard Remane, Fachautor und Professor im Ruhestand.

Alte Insekten

Der Insektenforscher beschäftigt sich schon seit 1954 mit Wanzen und Zikaden. Für ihn handelt es sich bei den Singzikaden um besonders interessante Insekten: "Zunächst muss man sich deutlich machen, dass ein Lebensalter von 17 Jahren in der Insektenwelt selten ist. In Deutschland bleiben Singzikaden zum Beispiel nur ungefähr drei bis vier Jahre unter der Erde, bevor sie ans Tageslicht kommen und bald danach sterben. Und einen Massenauftritt wie in den USA wird man bei unseren Zikaden ebenfalls nicht finden", so Reinhard Remane.

Die Singzikaden in den USA machen ihrem Namen alle Ehre. Nachdem sie an die Oberfläche gekrochen sind, klettern sie auf senkrechte Objekte. Dazu gehören Baumstämme oder Hauswände. Hin und wieder verirrt sich ein Schwarm auf einen Laternenmast, der dann als Liebesnest herhalten muss.

Milliarden Zikaden überfluten die USA
Die hohen Zirpgeräusche stören die NachtruheBild: AP

Damit sich die Insektenpaare finden, rufen die männlichen Zikaden mit hohen Zirpgeräuschen nach paarungswilligen Weibchen. Für die Insekten-Damen mag das Konzert noch wie eine verlockende Symphonie klingen, für viele Menschen wird der Krach hingegen zur Qual. Noch in mehr als 400 Metern Entfernung sind die Singzikaden gut zu hören. Mit speziellen Körperorganen können die Männchen ein Spektakel veranstalten, das die Nachtruhe beendet:

"Die Singzikaden haben ein Trommelorgan. Dabei handelt es sich um eine Kuppel aus Chitin, die durch Muskeln bewegt wird. Weitere Organe verstärken dieses Geräusch noch. Mit dem Krach schrecken die Insekten auch Angreifer effektiv ab", erklärt Reinhard Remane. Das Organ sei von der Funktion her in etwa mit einem Blechdeckel vergleichbar, der von Hand zerknittert wird.

Zikade im Hochzeitsbüffet

Doch nicht nur das Geräusch ist für viele Bewohner eine Plage. So manche Hochzeitsfeier muss unter besonderen Bedingungen stattfinden, damit die Singzikaden nicht durch das teure Büffet stampfen. In den USA lassen sich Ehepaare deshalb sogar von einem Wissenschaftler beraten, der nach geeigneten Terminen und Veranstaltungsorten sucht, an denen man nicht auf Zikaden trifft.

Damit kein Missverständnis entsteht: Die Zikaden sind keineswegs gefährlich. Sie stechen nicht, sind nicht giftig und beißen auch nicht. Wenn sie in großen Scharen auftreten, dauert der ganze Spuk nur ein paar Wochen - dann sterben die erwachsenen Insekten und man hat wieder viele Jahre Ruhe.

Die Weibchen haben zuvor zahlreiche Eier in die Baumrinde gelegt, aus denen später die Nachkommen schlüpfen und zur Erde fallen. Von dort graben sie sich langsam in Richtung der Baumwurzeln, um 17 Jahre lang zu wachsen.

Insektenforscher Remane hat im Laufe seiner Berufsjahre eine wichtige Eigenschaft der Singzikaden wohl besonders schätzen gelernt, die er gerne mit einem griechischen Sprichwort zitiert: "Glücklich leben die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber."