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Liebe ist kälter als der Tod

Marcus Bösch30. Oktober 2003

Takeshi Kitanos neuer Film "Dolls" strotzt nur so vor perfekten Bildern, Farben und bis ins kleinste Detail arrangierten Einstellungen. Japans erfolgreichster Regisseur erzählt drei Geschichten von Liebe und Tod.

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113 intensive Minuten

Warum um alles in der Welt soll man in so einen Film gehen? Ein ehemaliger japanischer Stand-Up-Comedian, der mit ambitionierten Gangsterfilmen bekannt geworden ist, dreht plötzlich einen Kinofilm im Stil des traditionellen japanischen Bunraku-Puppentheaters aus dem 18. Jahrhundert. Als Hauptmotiv für den Film nennt er "die Arbeit mit Farben, weil meine anderen Filme einen grauen bis blaugrauen Farbton haben".

Bei der Gestaltung der Kostüme ließ der Regisseur einem Modedesigner völlige Freiheit, der seine Hosenanzüge auch mal mit Sperrholz und Flügelschrauben schmückt. Und dann quellen die Rezensionen und Filmbesprechungen auch noch vor Adjektiven der Kategorie "betörend, befremdend und unglaublich poetisch" fast über.

Grandioses Meisterwerk

Der Kinofilm Dolls des japanischen Regisseurs Takeshi Kitano
Regisseur Takeshi KitanoBild: Presse

Der Grund, warum man Kitanos Film "Dolls" sehen sollte, ist kurz und recht einleuchtend: "Dolls" ist ein grandioses Meisterwerk. Selten zuvor sah man im Kino einen ähnlich souverän komponierten Bilderreigen. Kitanos Trilogie mit drei Handlungssträngen von Liebe und Tod strotzt nur so vor perfekten Bildern, Farben, Perspektivwechseln, Wiederholungen und bis ins kleinste Detail arrangierten Einstellungen.

Trotzdem ist es eine geradezu unglaubliche Schlichtheit mit der Japans bekanntester Regisseur eine wuchtige Intensität erreicht. In 113 Minuten schafft es Kitano in die Epizentren der großen Themen Liebe, Abhängigkeit, Verrat und Schicksal. "Im Grunde ist 'Dolls' aber ein Film über den Tod", sagt Kitano, der 1997 bei den Filmfestspielen in Venedig den "Goldenen Löwen" für seinen Film "Hana-bi" erhielt.

Endlose Einsamkeit

Der Kinofilm Dolls des japanischen Regisseurs Takeshi Kitano
Der Kinofilm Dolls des japanischen Regisseurs Takeshi KitanoBild: Presse

Vor den Tod setzt Kitano in "Dolls" eine verstörende Einsamkeit seiner Protagonisten. Da ist die Frau im Park (Chieko Matsubara): Seit 30 Jahren kommt sie jeden Samstag mit zwei Lunchpaketen unterm Arm, setzt sich auf die ewig gleiche Parkbank auf dem Hügel und wartet auf Hiro (Tatsuya Mihashi), den Fabrikarbeiter, der versprach wiederzukommen.

Da ist Nukui (Tsutomu Takeshige), der postadoleszente Popfan. Mutterseelenallein tanzt er in seinem posterübersäten Zimmer zur Musik des Schlagersternchens Haruna (Kyoko Fukada) aus seinem Walkman. Endlos verharrt die Kamera auf dem ungelenk herumwackelnden Jüngling. Alles, was man hört, ist das hilflose Reiben seiner Socken auf dem Synthetik-Teppichboden und versunken mitgesungene Textfragmente.

Reflexion über Japan

Der Kinofilm Dolls von Takeshi Kitano
Der Kinofilm Dolls von Takeshi KitanoBild: Presse

Fabrikarbeiter Hiro wird schließlich kommen, ohne dass die Frau im Park ihn erkennt. Er wird sie ein zweites Mal verlassen. Nukui wird einen hohen Preis zahlen, um sein Idol Haruna zu treffen. Straßenarbeiter werden bald darauf seine Überreste vom Asphalt kratzen. Zusammengehalten werden die unterschiedlichen Handlungsstränge von der Geschichte eines seltsamen Bettlerpaares, das mit einem Strick zusammengebunden durch die Jahreszeiten wandert.

Hochstilisiert paart sich im Spiel der beiden menschlichen Puppen (Miho Kanno als Sawako und Hidetoshi Nishijima als Matsumoto) eine Reflexion über die japanische Kultur mit der theatralischen Tradition des Puppenspiels. Zusammen mit den Kostümen des Designers Yohji Yamamoto ist Kitano ein opulentes und einmaliges Werk geglückt. Ein Filmpreis sollte schleunigst her.