1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das singende Land

Lydia Heller17. Juli 2008

In Lettland ist Singen eine Art Volkssport. Diesen Sommer richtet die baltische Hauptstadt Riga ein großes Volkslied- und Volkstanzfestival aus, zu dem auch Tausende junge Menschen aus dem ganzen Land anreisen.

https://p.dw.com/p/EctZ
Sänger beim Abschlusskonzert in Lettland (1. Mai 2004/AP)
Die besten aller Chöre singen beim Abschlusskonzert in RigaBild: AP

Sommerzeit ist auch im Baltikum Festivalzeit. Im Terminplan der internationalen Festival-Kenner stehen aber auch Termine, zu denen Jugendliche in Deutschland nie im Leben gehen würden: Folklore-Festivals. Der Folk-Sommer beginnt dieses Jahr in Riga mit einer Woche voll mit Tanz und Gesang. Tausende junge Leute reisen in Trachten aus allen Landesteilen an, um gemeinsam um die Wette zu tanzen und zu singen. Ihr Ziel ist es, am Ende als Sieger in Rigas Freiluftstadion aufzutreten, wohin es nur die Besten schaffen.

Trachten statt Jeans und Lederjacke

Beim Folklorefestival in Riga kommen eine Woche lang 13.000 lettische Sänger und 15.000 Tänzer zusammen, die alte Lieder singen, alte Tänze tanzen und um den Titel des Besten kämpfen. Dazu kommen sie aus allen Landesteilen, einige reisen extra aus dem Ausland in die lettische Hauptstadt. Insgesamt ist ein Fünftel der Bevölkerung Lettlands dabei. Stundenlang singen und tanzen junge Letten entlang Rigas Freiheitsboulevards, einer der längsten Straßen der Hauptstadt. Die jungen Männer tragen dabei weite, weiße Leinenhemden und haben ihre Hosen in hohe schwarze Lederstiefel gesteckt. Die Mädchen schwingen lange bunte Wollröcke und haben Blütenkränze um die Stirn gewunden, während ihnen die Zuschauer am Straßenrand mit Blumensträußen zuwinken und zujubeln.

Zwei der Teilnehmer sind Sanita Buto und Inese Vaiblace, die nach einem anstrengenden Tag erschöpft am Straßenrand sitzen. Die beiden 23-Jährigen sind stolz darauf, ihre traditionellen Tänze tanzen zu dürfen. Der lettische Tanz spiegele ihr Lebensgefühl wider. Der Student Richard Bernins tanzt Lettlands alte Tänze seit er acht Jahre alt ist. Optisch fällt der junge Mann allerdings aus dem adretten Rahmen: Zum weißen Leinenhemd und den bunten Wollsocken trägt er verwuschelte Haare und Nasenpiercings. Für den 18-Jährigen schließen sich neue Rockmusik und traditionelle lettische Musik nicht gegenseitig aus.

Volkslieder als Schulfach

Insgesamt gibt es 1,5 Millionen Volkslieder in Lettland, was nach einem alten Sprichwort "eins für jeden Letten" ergibt. Die Tradition des öffentlichen Singens ist mehr als 100 Jahre alt und gehört seit fünf Jahren auch zum UNESCO-Welterbe. Während des lettischen Unabhängigkeitskampfes sangen bei Demonstrationen mehr als 100.000 Letten gemeinsam die Volkslieder, was den Gesang heute zu einem Symbol für die Freiheit macht.

Dass derzeit das Volksliedersingen als Pflichtfach in Lettlands Schulen eingeführt wird, ist eigentlich überflüssig, denn auch ohne Gesetz singt fast jeder Schüler in einem Folk-Chor. Um es bis in das Chorwettbewerb-Finale zu schaffen, haben sie sich zum Teil fünf Jahre lang vorbereitet, denn nur die Besten können Teil des Massenchors aus 12.000 Sängern werden. Dieser Chor singt am Abend auf Rigas großer Open-Air-Bühne lettische Volkslieder, einige sogar mit Lettlands Pop-Superstar Renars Kaupers. Um die Bühne herum herrscht dabei richtige Festival-Stimmung mit Bierzelten, Würstchen- und Pommesbuden sowie kleinen Gruppen um Lagerfeuer.