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Lesen und Schreiben mangelhaft?

27. Juli 2010

Wie viele Menschen in Deutschland gar nicht oder kaum lesen und schreiben können, weiß niemand genau. Eine neue Studie testet nun die Nation - vom Schulabbrecher bis zum Akademiker. Unsere Autorin hat mitgemacht.

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Würfel mit Buchstaben auf einem Spielbrett (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Hoffentlich blamiere ich mich nicht", schießt es mir durch den Kopf, als ich mich bereiterkläre, meine Schreib- und Lesefähigkeit testen zu lassen. Klar, ich war auf der Schule, habe Abitur und Studium hinter mir. Und ich arbeite täglich mit der deutschen Sprache. Denn ich bin von Beruf Journalistin. Doch nun soll ich zeigen, wie gut ich schreiben und lesen kann. Für eine Studie der Universität Hamburg werden in ganz Deutschland Erwachsene zwischen 19 und 64 Jahren getestet. Mit der sogenannten Level-One-Studie, kurz "leo" genannt, wird die unterste Stufe der Schreib- und Lesekompetenz erforscht. Dazu haben Wissenschaftler einen besonderen Fragebogen erarbeitet.

Keine genauen Zahlen für Deutschland

Dieser Fragebogen liegt nun vor mir auf dem Tisch. Mir gegenüber sitzt Professorin Anke Grotlüschen, sie und ihr Team haben die Fragen entwickelt. Normalerweise werden die Tests bei Zufallspersonen zu Hause durchgeführt. "Wir dürfen tatsächlich Pionierforschung machen, also Kompetenzdiagnostik am Küchentisch", sagt Anke Grotlüschen. Denn bisher gibt es in Deutschland nur Schätzungen darüber, wie viele Menschen dem "Level One" angehören. "Viele Länder machen Studien über den unteren Kompetenzlevel. In Frankreich sind es etwa 16 Prozent, die diesem Bereich angehören. Auch England kennt seine Zahlen, dort geht man von etwa 17 Prozent der Briten aus, die sich auf oder unter diesem Level One befinden. Aber in Deutschland hat man so eine Studie noch nie gemacht", so Grotlüschen.

Testbogen der Level-One-Studie (Bild: Janine Albrecht/DW)
Der 'leo'-TestbogenBild: DW

Spaßaufgaben gegen Ängste

Da ich bei einer solchen Befragung nicht dabei sein darf, stelle ich mich dem Selbsttest. Ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt. Ich weiß nur, dass es im Test auch witzige Fragen geben soll, damit Ängste oder Hemmschwellen der Testpersonen abgebaut werden. "Das Schöne ist, wenn wir Fragen einbauen, die das Eis brechen sollen, dann kommt man ins Lachen", sagt Grotlüschen. Allerdings müsse man aufpassen, dass nicht so viele Spaßaufgaben gestellt werden, da diese meist für die Studie nicht hilfreich seien. Gleich die zweite Aufgabe ist ganz nach meinem Geschmack. Ich soll ein Gedicht von Christian Morgenstern vorlesen. Das wird super, schließlich hatte ich mal Sprechunterricht. Ganz locker beginne ich zu lesen, aber dann kurz vor Schluss, ein Versprecher. Wie ich mich innerlich aufrege.

Diktieren wie in der Grundschule

Aber weiter geht’s, und es beginnt tatsächlich richtig Spaß zu machen. Ich fühle mich immer sicherer. Besonders bei der Diktieraufgabe - zu Unrecht, wie sich noch herausstellen wird. Wie Grotlüschen mir nach den Aufgaben sagt, geht es hier darum zu testen, ob die Testperson in der Lage ist, die zu schreibenden Worte auf den jeweiligen Stamm zurückzuführen. Es geht um Wörter, die man nicht schreiben kann, wie man sie hört, zum Beispiel Urlaub oder Auffahrt.

Prof. Anke Grotlüschen (Bild: Janine Albrecht/DW)
Prof. Anke GrotlüschenBild: DW


Bilder, Wörter, Satzanfänge

Dann die letzte Aufgabe: Ich soll angefangene Sätze sinnvoll zu Ende führen. Ich komme ganz schön ins Schwitzen - und das liegt nicht nur daran, dass Hamburg dieses Jahr einen heißen Sommer erlebt. Ich soll mich in die Rolle des Bauarbeiters Leschek versetzen, und der letzte der drei Satzanfänge lautet: "Wenn ich das Haus für mich bauen würde, würde ich…" Ich grüble und grüble, aber mir will einfach nichts einfallen. Irgendwann, mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, erlöst mich Anke Grotlüschen und sagt, dass ich die Frage auch unbeantwortet lassen kann.

Test bestanden, aber knapp

So, nun will ich aber wissen, wie ich war. Die Professorin grinst. Ich hätte den Test geschafft, wenn auch knapp. Ich muss mich verhört haben. Natürlich will ich sofort wissen, was falsch war. Da blättert sie in dem Heft und zeigt auf die Diktieraufgabe: Ich habe Entgeld geschrieben anstatt Entgelt – wie peinlich. Und ich war beim Schreiben noch so stolz. Sofort beginne ich zu erklären, warum ich diese Fehler gemacht habe. Und reagiere damit genauso wie viele andere Testpersonen, sagt Frau Grotlüschen.

Buchstaben im Setzkasten (Foto: Illuscope)
Buchstaben sortieren - schwerer als man manchmal glaubtBild: Illuscope

Ergebnisse Anfang 2011

Wie gut oder schlecht die anderen Befragten abgeschnitten haben, muss nun erst ausgewertet werden. Anfang 2011 sollen die Ergebnisse vorliegen. "Es wäre natürlich schön, wenn wir in den Behörden soweit kommen, dass man den Mitarbeitern etwas an die Hand geben kann. Zum Beispiel, welche typischen Ausflüchte jemand nutzt, der nicht schreiben kann", sagt Grotlüschen. Dass mit den Ergebnissen der Studie ihre Arbeit noch nicht beendet ist, steht jetzt schon fest: Die Wissenschaftler haben auch den Auftrag, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, mit Politikern, Bildungsträgern oder auch Kursleitern über ihre Erkenntnisse zu reden.

Autorin: Janine Albrecht
Redaktion: Aya Bach