1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lenins Kopf ist wieder da

Elizabeth Grenier / nf10. September 2015

Mehr als zwei Jahrzehnte nachdem die Statue am Stadtrand Berlins vergraben wurde, ist Lenin nun wieder da - zumindest sein Kopf. Der Weg dorthin? Eine lange Geschichte der Bürokratie und vieler Eidechsen.

https://p.dw.com/p/1GUAz
Lenin-Kopf wird geborgen
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Tatort: Ein Erdhügel in einem Wald am südöstlichen Stadtrand Berlins. Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten Irrungen und Wirrungen hebt ihn endlich ein gelber Kran aus der Erde: Den tonnenschweren Granit-Kopf Wladimir Iljitsch Lenins (1870-1924). Die Statue des russischen Revolutionärs wurde im Westen erst richtig bekannt durch den Film "Good Bye, Lenin!": In der Tragikomödie von Wolfgang Becker schwebte eine für den Film nachgebaute Version der Statue davon. Das Denkmal - wie auch die Deutsche Demokratische Republik - war gefallen.

Symbol für den Untergang der DDR

Der Lenin-Kopf aus rotem Granit wurde am Morgen auf einen Transporter geladen und zur Spandauer Zitadelle gebracht, wo er Kern der Ausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" werden soll. 1991 war das Denkmal in knapp 129 Teile zerlegt und am Stadtrand vergraben worden. Nur der Kopf wurde nun freigelegt, die anderen Teile bleiben im Boden. Die vom sowjetischen Bildhauer Nikolai Tomski geformte 19 Meter hohe Statue war 1970 in Ost-Berlin enthüllt worden.

25 Jahre nach dem Fall der Mauer sollte man meinen, dass Berlin dazu in der Lage ist, mit seinem gewichtigen Lenin-Erbe umzugehen. Das ist zumindest das, was Andrea Theissen, die Direktorin der Spandauer Zitadelle, angenommen hatte, als sie entschied, den Kopf des 1991 demontierten Lenin-Denkmals in die Ausstellung über die Berliner Denkmäler zu integrieren. Die Serie von Hürden und Hindernissen, mit der sie bisher umgehen musste, hat allerdings etwa anderes gezeigt, so Theissen: "Wir haben angenommen, dass man nach 25 Jahren einen etwas gelasseneren Blick auf die Geschichte haben kann – aber das ist nicht unbedingt der Fall." Es würde Jahre dauern , das Denkmal zu Tage zu fördern – und es verschwand schnell.

Lenin-Kopf 1991 ARCHIV
Am 13.11.1991 flog Lenins Kopf erst durch Berlin und ging dann wohlbehalten zu Boden - und unter die ErdeBild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

Lenin-Statue am Stadtrand von Berlin - Unwirkliches Grab

Im Kurzfilm "The Book of Lenins" (1996) soll ein amerikanischer Fotograf einen Bildband über die Lenin-Denkmäler produzieren. Doch jedes mal, wenn er irgendwo hinreist, ist es bereits zu spät: Die Statuen sind bereits zerstört. Für den amerikanischen Filmemacher Rick Minnich war seine Fake-Doku eine Möglichkeit, das unglaubliche Tempo der Veränderungen zu veranschaulichen, die sich in den 90er Jahren im früheren Ostblock abspielten. Die Geschichte veränderte sich schneller, als er sie vor Ort einfangen konnte.

In Berlin wurde die 19 Meter hohe Lenin-Statue in genau dem Jahr abgerissen, in dem Minnich nicht in seiner neuen Heimat Berlin, sondern zurück in den USA war. Auch heftige Proteste und Debatten gegen seine Zerstörung halfen nichts – das Denkmal wurde in 129 Teile zertrümmert. Der physisch wie symbolisch wichtigste Teil der Statue, Lenins 3,5 Tonnen schwerer Kopf, wurde am 13. November 1991 weggetragen. Mit der Hilfe eines Fotografen, der die Vergrabung des zerlegten Denkmals in einem Wald in Köpenick aufgenommen hatte, suchen Rick Minnich und sein Team die Gegend ab, bis sie den Kopf gefunden haben. Archäologie surreal.

Denkmäler sollen in der Zitadelle Spandau ausgestellt werden

Sprung in das Jahr 2009. Andrea Theissen und ein Team von wissenschaftlichen Beratern haben begonnen, für die Ausstellung verschwundener Denkmäler zu recherchieren, die sie für die Spandauer Zitadelle planen, eine von Europas am besten erhaltenen Militär-Festungen aus der Renaissance. "An allen diesen Denkmälern lässt sich die politische Geschichte unserer Stadt und letztendlich Deutschlands ablesen", so Theissen. Sie wollten die Denkmäler "nicht in ihrer Hochglanz-Variante" zeigen, sondern "mit allen Spuren, die die Geschichte hinterlassen hat". Insofern seien sie auch "Symbol für eine bestimmte Epoche".

Lenin-Kopf wird geborgen
Eine Spezialfirma sichert den Leninkopf in einem Waldstück am Müggelsee in BerlinBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Die neue Dauerausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" wird politische Denkmäler, die das Berliner Stadtbild vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart geprägt haben, zeigen. Viele der Statuen wurden während des Zweiten Weltkriegs beschädigt. Auch Denkmäler, die während der Nazi-Zeit entstanden, werden in der Zitadelle Spandau ausgestellt. Darüber, ob sie eine Statue von Adolf Hitler zeigen sollten, mussten die Organisatoren aber gar nicht erst diskutieren. Skulpturen aus dem Dritten Reich würden die nationalsozialistischen Ideale anpreisen, anstatt Leitfiguren darzustellen – so wie Arno Brekers "Der Zehnkämpfer", der in der Ausstellung zu sehen ist.

Lenin-Kopf - immer noch ein symbolisches Schwergewicht

Unter all diesen Denkmälern war die verborgene Lenin-Statue, so Theissen, "ein offensichtliches Beweisstück für die Denkmalpolitik der DDR, das spätestens mit dem Film 'Goodbye Lenin' zum aussagekräftigen Symbol geworden ist". Über zwei Jahrzehnte nach seinem Verschwinden, rufe die Statue immer noch Emotionen bei vielen Menschen hervor, sagt die Direktorin der Spandauer Zitadelle.

Zur Vorbereitung der Ausstellung wurden Anwohner interviewt, die in der Nähe der Statue in Berlin-Friedrichshain gelebt haben: Manche sagen, sie hätten immer noch das Gefühl, dass etwas fehle. Andere verbinden Lenin eher mit der Unterdrückung, der sie in Ost-Deutschland ausgesetzt waren. Unabhängig von den emotionalen Empfindungen der Bevölkerung musste sich Theissen - unerwarteterweise - jahrelang mit politischen Hindernissen herumschlagen.

Höfliche Ausreden

Im August 2014 forderte Jörg Haspel, der Direktor des Landesdenkmalamts Berlin, der Kopf Lenins solle nicht getrennt vom Rest der Statue gezeigt werden. Lenins 129 zerstreute Einzelteile wieder zusammenzupuzzlen, scheint bis jetzt aber nahezu unmöglich. Außerdem würde das 19 Meter hohe Denkmal gar nicht ins neun Meter hohe Ausstellungs-Gebäude passen. Die ganze Aufregung und der Widerstand gegen das Projekt basiert auf Missverständnissen, sagt Theissen: "Zum einen wurde befürchtet, dass wir Lenin auf einen Sockel heben. Außerdem, dass wir - wenn wir nur den Kopf zeigen - sozusagen den Skalp vorführen. Das alles ist unzutreffend. Die Art der Präsentation wird eher nüchtern ausfallen."

Die offiziellen Berliner Stellen hatten damals darauf hingewiesen, sie könnten die Statue nicht mehr finden: "Die Geschichte kam vor rund einem Jahr auf", erzählt Filmemacher Rick Minnich. "Der Senat sagte, sie seien nicht mehr sicher, wo sich die Statue befindet. Zum Spaß hab ich deshalb einen Brief an den damaligen Bürgermeister Klaus Wowereit geschrieben und meine Hilfe dabei angeboten, sie zu finden. Ein paar Wochen später kam die höfliche Antwort: 'Danke für Ihr Angebot, wir kommen auf Sie zurück, sollten wir Hilfe brauchen.' Ich denke, sie wussten die ganze Zeit, wo die Statue war."

Der Lenin-Kopf und die Eidechsen

Auch Umwelt-Aktivisten behinderten beinahe die Ausgrabungsarbeiten. Denn im Januar 2015 fanden die Ausstellungsmacher heraus, dass unmittelbar oberhalb von Lenins Kopf eine Kolonie vom Aussterben bedrohter Zauneidechsen lebte. Sie zogen Biologen hinzu und es wurde entschieden, dass die Eidechsen nach ihrem Winterschlaf umgesiedelt werden sollen – bevor die Bagger zu poltern beginnen.

Es wäre naheliegend, dies als eine weitere politische Hürde auf dem Weg zur Realisierung des Projekts zu sehen. Doch Theissen weigert sich, dahinter irgendeine Verschwörung zu vermuten. Probleme wie diese seien zu erwarten gewesen. Bei Grundstückserschließungen in den Außenbezirken der Stadt seien solche Vorfälle in letzter Zeit häufiger vorgekommen: "Wenn so etwas viele Jahre unangetastet im Wald liegt, können Biotope entstehen, damit muss man rechnen. Und das war uns auch klar. Vielleicht sind die Naturschutzgesetze zu strikt - wir haben uns aber trotzdem an sie gehalten."

Lenin-Kopf wird geborgen
Lenin - ein großer KopfBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Lenin - als würde er schlafen

Der sechs Jahre lang dauernde Prozess und die öffentlichen Diskussionen hätten die Ausstellung nur um so interessanter gemacht, sagt Andrea Theissen. "Was wir nicht erwartet haben, ist eingetreten: Dass eine historische Ausstellung in der aktuellen Diskussion ist." Die Serie der Hindernisse wird übrigens auch zum Thema werden – und zwar in einer zeitlich begrenzten Ausstellung, die die Eröffnung von "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" begleiten wird.

Den Filmemacher Rick Minnich, der vor fast zehn Jahren den bürokratischen Akt, Lenins Kopf nahezukommen, vermieden hatte, zieht das Schicksal des Lenins aus rotem Granit in den Bann: "Ich denke, es war Blödsinn, dass sie ihn zuerst vergraben haben. Aber es ist gut, dass sie ihn nun offiziell wieder hervorholen und ausstellen. Der Kopf wurde auf der Seite liegend eingegraben – es sieht also so aus, als würde er gerade schlafen. Und genau so soll er auch ausgestellt werden. Ich denke, das passt auch symbolisch ganz gut: Als wären es die Überreste des Sozialismus."