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Der "Berlinale Talent Campus"

16. Februar 2010

Der "Berlinale Talent Campus" fühlt sich an wie ein internationales Ferienlager mit unzähligen iPods, Kameras und Handys – schließlich hat man auch laufend Prominenz vor der Nase, die aus dem Nähkästchen plaudert.

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ganz viele junge Leute sitzen sich eng gegenüber und unterhalten sich angeregt
Speed-Dating für ProfisBild: David Ausserhofer Berlinale 2010

Eine der ersten, die ins Plaudern kommt, ist die spanische Filmemacherin Isabel Coixet. 2003 wurde sie bekannt mit "Mein Leben ohne mich", im vergangenen Jahr saß sie bei der Berlinale in der Internationalen Jury. Auf dem mit drei Experten besetzten Podium geht es darum, wie man die richtigen Leute findet zum Filmemachen. Und Coixet musste feststellen, dass sie ihren Kollegen Pedro Almodóvar zum Beispiel zwar sehr bewundert, aber nie wieder mit ihm arbeiten möchte. "Seine Filme sind immer so leidenschaftlich, da schreien alle rum und sind extrovertiert", erklärt sie. "Und in meinen Filmen sind alle schüchtern und melancholisch." Dabei wird ihre Stimme leise und sie würde sich am liebsten aus dem Scheinwerferlicht winden. Solche Statements schaffen Lacher und verringern die Distanz zu den Talenten im Publikum. Das Berliner Theater HAU1 ist voll, der Nachwuchs aus aller Welt ist hungrig nach Rat und Tat.

Wo will ich hin? Wen will ich treffen?

ein schlanker Man von hinten, der in einem Theater zu einer Gruppe von jungen Leuten spricht
Matthijs Wouter Knol ermuntert die Talente, so viel wie möglich aus den Tagen mitzunehmenBild: Peter Himsel Berlinale 2010

350 Filmemacher aus 95 Ländern hat das Team um Matthijs Wouter Knol für den sechstägigen Campus ausgewählt, beworben hatten sich fast 5000. Auf die Teilnehmer wartet ein straffes Programm, wer sich nicht organisieren kann, kommt hier ins Schwimmen. "Wir versuchen, Leute einzuladen, bei den wir denken, dass sie bereit sind, sich mit anderen zu treffen und die wirklich ein, zwei Schritte weiterkommen wollen", erklärt Knol. Jeder hat sich mit einem konkreten Film beworben, der im besten Fall bereits auf einem Filmfestival lief, und hat ganz konkret formuliert, was er sucht und braucht. Denn es soll nicht darum gehen, so oft wie möglich bei den Sahnestück-Veranstaltungen "Meet the Expert" aufzutauchen, sondern langfristige Kontakte zu knüpfen.

Dates mit guten Aussichten

Ein hellhäutiger junger Mann und eine farbige junge Frau posieren
Wolfram Huke und Mercy Murugi planen einen gemeinsamen Dokumentarfilm in KeniaBild: DW

Eine der Methoden dafür nennt sich "Global Speed Matching". Man darf sich das vorstellen wie Speed-Dating, nur eben vornehmlich auf Business-Ebene. Jeder hat drei Minuten Zeit, seinen Gegenüber zu begeistern, in den Bann zu ziehen, ihm einen Floh ins Ohr zu setzen. Bei Wolfram Huke und Mercy Murugi hat das ziemlich gut geklappt. Dass sich Wolfram Huke den Namen der Kenianerin nicht auf Anhieb merken konnte, hatte nicht mit ihr zu tun, sondern mit seiner Reizüberflutung, was Personendaten angeht. "Mit manchen hab ich schon drei Mal gesprochen, aber sie müssen mir jedes Mal neu sagen, woher sie sind", gibt der Wahl-Münchner kleinlaut zu.

Dranbleiben an den guten Ideen

Eine junge Frau in gestreiftem Pullover und ein junger Mann mit Baseball-Cap sitzen an einem Netbook
Hightech weit und breit - zwei Talente schmieden PläneBild: DW

"Über die Postproduktion meines ersten Spielfilms hatte ich fast vergessen, dass ich mich für den Campus beworben hatte", witzelt Mercy Murugi. Ihr Film heißt "Togetherness Supreme" und spielt im größten Slum Afrikas, dem Kibera-Slum in Nairobi. Ihre Produktionsfirma hat eine Filmschule in diesem Slum. Und da kommt Wolfram Huke ins Spiel. Er studiert an der Hochschule für Fernsehen und Film München und hat seinen Vordiploms-Film beim Campus eingereicht: "Frohsinn e.V." heißt der Dokumentarfilm. Er begleitet die große Kirmes einer kleinen Stadt in Thüringen - Hukes Heimatstadt, der die Jugend abhanden kommt.

Murugi und Huke haben sich beide gewissermaßen an Heimatfilmen versucht. Und auf der Suche nach neuen Projekten sind sie nun fündig geworden: Der erste Schritt könnte sein, dass der deutsche Regisseur in der Filmschule im Slum Workshops gibt. Ein bisschen wie die "Meet the Expert"-Sahnestücke beim "Berlinale Talent Campus". Als zweiter Schritt ist ein gemeinsamer Dokumentarfilm angedacht über das Volk der Ogiek, die in Kenia im Wald Mau leben und vertrieben werden sollen. Wolfram Huke lässt sofort das "Dine & Shine"-Dinner mit Dieter Kosslick und Heike Makatsch sausen: Am folgenden Tag ist Einsendeschluss für ein Recherche-Stipendium, das ihn nach Kenia bringen könnte.

Vom Campus auf die Berlinale-Leinwand

EIn junger mann in Holfällerhemd sitzt an einem PC, schaut einen Film und trägt Kopfhörer
Jeder Teilnehmer hat einen seiner Filme ins virtuelle Netzwerk gestelltBild: DW

Wer in diesen Tagen nicht so schnell die richtigen Leute findet, braucht sich nicht zu sorgen. Im virtuellen Netzwerk sind mittlerweile die Profile von fast 4000 Alumnis zu finden. Matthijs Wouter Knol gibt ein Beispiel, wofür die gut sind: "Wenn ein US-Amerikaner in Südafrika drehen will, dann weiß er hier eine Anlaufstelle, wenn er einen Kameramann oder so braucht". Und das scheint zu klappen. Zumindest haben 21 Campus-Alumnis 2010 einen Film auf der Berlinale, 45 Alumnis haben an einem mitgearbeitet. Eine stolze Ausbeute, die zeigt, wie das Kino der Zukunft funktioniert: Leute treffen, sich gegenseitig einen Floh ins Ohr setzten - und irgendwann wieder nach Berlin kommen, dann als echte Berlinale-Nachwuchstars.

Autorin: Ricarda Otte

Redaktion: Sarah Judith Hofmann