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Leidenschaft für Wortgefechte: Hellmuth Karasek ist tot

Heike Mund30. September 2015

Für einen schlechten Witz war er sich nie zu schade. Hellmuth Karasek rezensierte zuletzt sogar einen Ikea-Katalog, um die Literaturbranche zu erheitern. Jetzt ist der eigensinnige Journalist und Autor mit 81 gestorben.

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Deutschland Hellmuth Karasek in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/A. Warmuth

Der Vergleich hat ihn immer amüsiert: er sei "ein schillernder Turbokarpfen im Teich der grauen Kritikerhechte", schrieb ein Feuilletonkollege der FAZ über ihn. Hellmuth Karasek war ungeheuer belesen und zeit seines Lebens neugierig. Schlau behielt er die nötige Distanz zu seinem Kritikergewerbe. Das erlaubte ihm, in aller Medienöffentlichkeit Witze darüber zu machen. Als junger Mann sei er keine Sportskanone gewesen, erzählte er gern in Fernseh-Talkshows, deshalb habe er es bei den Mädels mit Witzen versucht - mit Erfolg. Bis zuletzt blieben Witze sein Markenzeichen. Im Frühjahr 2015 hat er noch ein Buch darüber veröffentlicht ("Das finde ich gar nicht komisch").

Karasek war ein streitlustiger, leidenschaftlicher Fechter für die Literatur. Er schrieb Romane, Sachbücher über Film, unzählige Zeitungsartikel, hielt Vorträge – aber bekannt gemacht hat ihn das legendäre "Literarische Quartett". Einmal im Monat servierten vier "geneigte Kritiker" dem erwartungsvollen Publikum im ZDF eine wortreiche Unterhaltungsshow. Neben Literaturexpertin Sigrid Löffler gehörte Karasek jahrelang zum Stammpersonal, bei literarischen Wortgefechten war er mit sichtbarem Vergnügen dabei. Seine Rolle war die des ausgleichenden Moderators, der dem gnadenlosen "Kritikerpapst" Marcel Reich-Ranicki besänftigend zur Seite sprang.

Marcel Reich-Ranicki
Karasek (2.v.li) als unterhaltsamer Entertainer im legendären "Literarischen Quartett" (ZDF)Bild: picture-alliance/dpa

Seine Spezialität: "Das schmückende Beiwort"

Hellmuth Karasek wird am 4. Januar 1934 im mährischen Brünn geboren. Im Zweiten Weltkrieg flieht seine Familie vor der Roten Armee nach Ostdeutschland. Seine Eltern sympathisieren mit den Nazis. Die wenigen Monate, die er als Schüler 1943/44 in einer nationalsozialistischen Eliteschule (Napola) verbracht hat, haben ihn später als Journalist sehr beschäftigt. "Ich hatte etwas erreicht, was ich nicht erreichen wollte. Ich hatte mich selber aus meiner behüteten Kindheit, aus meiner Familie vertrieben", erzählt er 2013 in einem Spiegel-Interview. Auf der Basis seiner Erlebnisse entsteht später ein erschütternder Dokumentarfilm ("Herrenkinder").

Nach der Übersiedlung aus der damaligen DDR stürzt sich der junge Karasek mit Kulturhunger ins Studium. 1958 promoviert er zum Dr. Phil, seine Doktorarbeit über "Das sogenannte ´schmückende´ Beiwort" gibt ihm gleich seinen späteren Berufsweg vor. Bei der "Stuttgarter Zeitung" beginnt er als Autor seine journalistische Karriere, schnell wird er dort Feuilletonchef und wechselt 1968 nach Hamburg zur Wochenzeitung "Die Zeit". Das Konkurrenzblatt "Der Spiegel" wird danach seine publizistische Heimat. Ab 1991 leitete er dort das Kulturressort. Aber Karasek läßt es sich nicht nehmen, parallel auch für Boulevardblätter zu schreiben. Bei der "Bildzeitung" und dem Promiblatt "Bunte" taucht er regelmäßig als Kolumnist auf, was ihm wiederholt Kritik von Kollegen einbringt.

Billy Wilder
Über Hollywood-Regisseur Billy Wilder, hier 1947 bei Dreharbeiten in Berlin, schrieb Karasek eine BiographieBild: AP

"Manche mögen es heiss…"

Mit Monographien über berühmte Theaterleute wie Carl Sternheim und Max Frisch erwirbt sich Hellmuth Karasek einen Ruf als kundiger Theaterfachmann. Seine unbarmherzigen Theaterkritiken werden allerdings von Schauspielern wie Regisseuren gefürchtet. Unter dem Pseudonym Daniel Doppler feiert der Journalist in Deutschland auch als Bühnenautor Erfolge. In der satirischen Boulevardkomödie konfrontierte er einen blasierten Schriftsteller mit einem Esskritiker – ein Fest für den lustvollen Humoristen Karasek.

International macht er sich 1992 durch seine Biographie über Hollywoodregisseur Billy Wilder einen Namen. Mit dem deutschen Emigranten hat er in Amerika viele intensive Gespräche geführt. 1996 folgt seine eigene Autobiographie "Go West!", in der er von seiner anhaltenden Begeisterung für amerikanische Pop-Kultur und US-Musik der Nachkriegszeit erzählt. Nebenbei - als literarische Fingerübung – betätigt sich der wortgewandte Karasek als Übersetzer von Krimis, unter anderem des amerikanischen Kriminalschriftstellers Raymond Chandler ("Die Tote am See")

Deutschland Literatur Hellmuth Karasek 1971
Auf Buchmessen und Fernsehstudios zu Hause: seine Neugierde hatte sich Karasek auch als Kritiker bewahrtBild: picture-alliance/KPA Copyright

"Das Fernsehen hat mein Leben am meisten verändert."

1996 kommt es zum Bruch mit der Spiegel-Redaktion, als ein Artikel von ihm wegen Niveaulosigkeit aus dem Blatt gekippt wird. Vier Jahre bleibt Karasek als hochbezahlter Spiegelautor in der Schmollecke, schreibt lieber Bücher und "verlustiert" sich bei Fernsehauftritten im "Literarischen Quartett", wie er es nennt. "Ich kann an solchen Fernsehauftritten nichts ehrenrühriges entdecken", sagt er gern in jedes Mikrofon.

2004 veröffentlicht Karasek seine Erinnerungen an seine Kindheit und Karriere - unter dem doppeldeutigen Titel "Auf der Flucht"."Zerknirscht, operettenhaft, sentimental, kokett, aber stets munter", schreibt ein Kritiker der "Stuttgarter Zeitung" über die Lebensbeichte des umtriebigen Publizisten. 2009 legte Karasek seine "Erotischen Memoiren" nach. Seine schärfsten Kritiker überrascht der mit Augenzwinkern selbsternannte Frauenheld darin mit einem leidenschaftlichen "Plädoyer für die Heldenhaftigkeit des bürgerlichen Lebens".

Talkshow: Literatur Kritiker Hellmuth Karasek im Studio
Gern gesehener Talkshowgast: Karasek war immer für amüsante offenherzige Plaudereien gutBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

"Eine gute Pointe ist besser als eine schlechte Welt."

Dem Alter "mit Trotz zu begegnen" wurde ihm die letzten Jahre zur vergnüglichen publizistischen Aufgabe, Altersmilde war keine Option für den bis zuletzt streitbaren Helmuth Karasek. Seine "fast kindliche Freude an der literarischen Überraschung", wie er das nannte, hatte er sich bis zuletzt bewahrt. Seine Tochter, die Anwältin Laura Karasek, zeichnet in einem Interview mit dem "Focus" ein anrührendes Bild ihres Vaters. "Eigentlich ist mein Vater ein zartes Pflänzchen, das manchmal im Gewande eines Kaktus auftritt. Er kann sehr laut sein, hat aber eine sensible, schwermütige Seele. Und er nimmt sich Dinge zu Herzen."

Jetzt ist die tiefe, volltönende Stimme von Hellmuth Karasek nicht mehr zu hören. Mit 81 Jahren starb er am Dienstag (29.09.2015) in seiner Heimatstadt Hamburg.