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Lebendiger Marmor

Insa Wrede21. Dezember 2003

Die viel bestaunten rein weißen griechischen Skulpturen bergen ein Geheimnis: Einst leuchteten sie in strahlenden Farben. Vinzenz Brinkmann ist den Farben seit 20 Jahren auf der Spur.

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Weiße Marmorstatuen sahen früher ganz anders ausBild: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München

Knipst man das Licht aus und bestrahlt griechischen Götterstatuen mit UV-Licht, dann enthüllen sie ihr Geheimnis: Spuren einer ehemaliger Bemalung werden sichtbar. Der kühle sachliche Marmor war ursprünglich also gar nicht weiß, sondern bunt bemalt - eine revolutionäre Entdeckung?

In Vergessenheit geraten

Genau genommen ist die Erkenntnis, dass griechische Skulpturen farbig waren, keine Neuheit. Schon im 18. Jahrhundert kannte man antike Schriftquellen, in denen von bemalten Skulpturen und Gebäuden die Rede war. Da man aber noch keine Farbreste auf antiken Figuren entdeckt hatte, schwärmten der Archäologe Joachim Winckelmann und Künstler in der Zeit des Klassizismus noch von den reinen Formen der weißen griechischen Statuen.

Anfang der 19. Jahrhunderts stieß Martin von Wagner, Bildhauer und Kunstagent vom bayerischen König Ludwig I., auf minimale Farbreste an griechischen Skulpturen. In dieser Zeit fanden Bauforscher an Tempeln in Griechenland und Sizilien ebenfalls Reste von Farben. Ein Polychromiestreit - ein Streit um die Farbigkeit der antiken Skulpturen - wurde losgetreten.

Schuppenkopf
Im Vordergrund die bemalte Rekonstruktion, im Hintergrund das OriginalBild: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München

Vinzenz Brinkmann, Vizedirektor der Münchner Glyptothek erläutert: "Es war ein öffentliches Thema im 19. Jahrhundert. Der Polychromiestreit hat die Gemüter bewegt. An vorderster Stelle standen die Architekten, die sich gefragt haben: Muss ich jetzt bunt arbeiten, um dem griechischen Ideal zu entsprechen?"

Forschung an Farben geht weiter

Seit rund 20 Jahren erforscht Brinkmann die Farbigkeit antiker Skulpturen. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind bis Ende Februar 2004 in der Münchner Glyptothek zu bewundern. Dort zeigen Nachbildungen antiker Skulpturen wie man sich die bunten Originale vorstellen muss.

"Ich war selbst erst ein bisschen zögerlich", erklärt Brinkmann. Bei einer Rekonstruktion könne man manchmal nicht genau sagen, ob beispielsweise gelber oder brauner Ocker verwendet wurde. Aber: "Wir haben ganz genaue Kenntnisse in welcher Zeit welche Farben genutzt wurden und wir kennen genau die Entwicklung des Farbgeschmacks. Im Zweifelfall kann man dann durch Analogieschlüsse rekonstruieren: Wenn ein Schuppenmuster immer rot, grün und blau ist, kann man davon ausgehen, dass andere Skulpturen aus der Zeit ähnlich gemustert waren."

Farbige Funde tauchen auf

Die Entwicklung des Farbgeschmacks kennt man, weil im 19. Jahrhundert immer mehr Skulpturen mit Farbresten gefunden wurden. Das verdankt man unter anderem den Griechen, die nach der Zerstörung des Tempels in Athen zurückkamen und die Figuren, die sie vorfanden, unter der Erde beigesetzt haben - gute Bedingungen für den Erhalt von Farben.

Verwitterung der Oberfläche

Augustus Stautue
Eine neue Farbrekonstruktion der Panzerstatue des Augustus von PrimaportaBild: Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München

Heute helfen neue Forschungsmethoden Wissenslücken zu füllen. Denn: Was Martin von Wagner vor rund 200 Jahren entdeckte, wird noch heute bei der Bestimmung von Farben benutzt: Das Oberflächenverwitterungsrelief. Je nach dem, welche Farben auf den Marmor aufgetragen wurden, je nach dem ist die Oberfläche des Steins mehr oder weniger verwittert.

Mineralfarben wie blau, grün und zinnoberrot hielten sich wesentlich besser als andere und schützten so die Fläche vor Verwitterung. Der Marmor blieb an diesen Stellen glatt. Erdfarben wurden dagegen viel früher von Wind und Wetter abgewaschen, der Stein war früher ungeschützt, verwitterte und wurde rau. Auf diese Weise kann man selbst wenn die Farben inzwischen gar nicht mehr zu sehen sind, erkennen, wo welche Farben einst waren.

Warum die Farbenpracht?

Bleibt die Frage: Warum haben die Griechen ihre steinernen Figuren überhaupt bemalt? Dazu Brinkmann: "Die Griechen standen in der antiken Tradition ihrer Nachbarkulturen. Sie haben von den Ägyptern sehr viel gelernt. Und sie stehen im engen Kontakt zu den östlichen Kulturen, den Persern - sie lieben den ornamentalen Reichtum." Farben wurden sowohl in Ägypten als auch in anderen Ländern benutzt. "Sich daraus sich herauszulösen ist ein schwieriger Prozess, wird aber schrittweise geleistet."

Ob es überhaupt eine Zeit unbemalter Skulpturen gab, kann Brinkmann nicht genau beantworten. "Rein weiße, unbemalte Figuren wären in damaliger Zeit eine unglaublich freche Erfindung gewesen." Man müsse sich dass ähnlich wie die Entwicklung von der naturalistischen Kunst zur abstrakten im 20. Jahrhundert vorstellen, erklärt Brinkmann: "Stellen sie sich einmal vor, da kommt einer und will mir eine 'unfertige Figur' als eine neue ästhetische Norm verkaufen - wie der das bewerkstelligen will ist mir unklar".