1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Leben und Sterben am Tafelberg

Alexander Göbel14. April 2004

Südafrika gehört zu den Ländern mit der weltweit höchsten Aids-Rate. Im "Nazareth House" in Kapstadt kümmern sich Ordensschwestern um HIV-positive Kinder. DW-Reporter Alexander Göbel hat sie besucht.

https://p.dw.com/p/4u3W
Viele Kinder kommen schon mit dem HI-Virus zur WeltBild: AP

Kapstadt, im Stadtteil Vredehoek, an einem sonnigen Tag im südafrikanischen Spätsommer. Am Fuße des Tafelbergs liegt das gut gesicherte und idyllische Anwesen der "Poor Sisters of Nazareth." Derzeit leben in dem Ordenshaus insgesamt 60 verwaiste Babies und kleine Kinder - allesamt HIV-positiv oder bereits an Aids erkrankt.

Allgegenwärtiger Tod

Gerade hat eine Gruppe von Vier- bis Fünfjährigen ihr Mittagessen beendet. Artige Begrüßung des Besuchers, Blicke aus zwölf Gesichtern. Der Tod sitzt mit am Tisch. Jeder Husten, jeder Durchfall, jedes Fieber kann für sie schon in diesem Alter den letzten Gang ins Krankenhaus bedeuten. Fast alle Kinder kommen aus Townships rund um Kapstadt. Meist kennen sie ihre Eltern nicht, und oft sind sie schon krank, wenn sie hier aufgenommen werden.

Debbie, die seit 1988 für das Nazareth House arbeitet, betreut die Kinder im kritischen Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. Erst letzten Monat musste sie eine Grabrede für die achtjährige Nosipiwe halten. Bis heute hat sie im Nazareth House 65 Kinder an der Immunschwächekrankheit Aids sterben sehen. "Es ist sehr traurig. Wenn die Kinder sterben, dann verlieren sie schnell an Gewicht, sie können nicht mehr essen, ihr Mund trocknet aus. Das ist, als ob man sich selbst darauf vorbereitet, dass das Kind bald gehen wird", sagt Debbie.

Humor als Ventil

Nach dem Mittagessen der Älteren steht der elfjährige Ashraf auf. Er hat sich mit dem Messer geschnitten, blutet am Finger, und ruft in die Runde: "Seht ihr, HIV-Blut!" Die neunjährige Xola und den siebenjährigen Luisso scheint das nicht zu schrecken. Sie wissen Bescheid. Und auch Debbie weiß, dass sie den Kindern nichts vorzumachen braucht: "Ich glaube, sie wissen genau, woher Aids kommt. Und sie wissen, dass sie diese Krankheit haben. Sie machen sogar Witze darüber. Sie haben so viele Kinder sterben sehen, und sie wissen, sie selbst werden auch irgendwann nicht mehr da sein. Einer nach dem anderen wird gehen, und sie bereiten sich auf ihre Art darauf vor."

Kostbare Medikamente

Auch wenn der kleine Joseph heute mit zwölf Jahren gerade mal die Größe und Kraft eines Fünfjährigen hat und von ständigen Krankheiten gezeichnet ist - er lebt. Das liegt auch an den Medikamenten, die seit 1,5 Jahren im Nazareth House an viele Kinder ausgegeben werden können: Anti-retrovirale Medizin. Sie kann die Vermehrung der HI-Viren einige Zeit lang hemmen. Auch wenn Aids damit nicht heilbar ist: Der größte Nutzen der anti-retroviralen Medikamente liegt darin, dass sie die symptomfreie Phase verlängern und die Lebenserwartung erhöhen.

Jane Payne, seit acht Jahren Sozialarbeiterin im Nazareth House, öffnet die Tür zum Behandlungsraum des Kinderarztes. Zwei riesige, weiße Schränke, darin unzählige kleine braune Behälter mit Pillen: Für jedes Kind eine eigene Kombination von Tabletten. Noch ist die Vergabe der Medikamente kostenlos - doch Ende 2004 müsste das Kinderheim selbst dafür aufkommen. Payne hofft auf die Unterstützung der südafrikanischen Regierung.

Langsame Politik

Südafrikas Politiker haben einen weiten Weg der Erkenntnis hinter sich. Lange hat es gedauert, bis Aids ernst genommen wurde. Erst Ende November 2003 hatte die Regierung der kostenlosen Abgabe von billigen oder kostenlosen Aids-Medikamenten überhaupt zugestimmt.

Auch wenn Payne oft an der Gesundheitspolitik des Landes verzweifelt - der unbändige Lebenswille und die Dankbarkeit der Kinder richten sie immer wieder auf.