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Leben im Kibbuz

19. Januar 2011

Ein Kibbuz ist eine Siedlung in Israel, die auf sozialistischer und solidarischer Basis errichtet wurde. Das machte sie vor allem in den 1960er und 70er Jahren für junge Menschen begehrenswert. Auch für Claudia Adada.

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Claudia Adada steht in der Wäscherei im Kibbuz (Foto: DW/K. El Kaoutit)
Claudia Adada arbeitet in der Wäscherei im KibbuzBild: DW

Claudia Adada trägt die Haare kurz, ein schwarzes T-Shirt, grüne Jogging-Hose und weiße Turnschuhe. Claudia Adada ist Mitte fünfzig und leitet die Wäscherei des im Süden Jerusalems gelegenen Kibbuz Ramat Rachel, zu Deutsch: der Hügel Rachels, eines der ältesten und größten Kibbuzim in Israel. Die gebürtige Stuttgarterin kam nach ihrer Ausbildung in den siebziger Jahren als freiwillige Helferin nach Israel. Danach sei sie vier Jahre lang zwischen Israel und Deutschland hin und her gependelt, bevor sie sich 1977 für das Leben im Kibbuz entschieden habe. Damals, erzählt sie, sei es ein Traum gewesen, der in Erfüllung ging.

Jeder leistet soviel er kann

"Damals war der Kibbuz noch lebender Kommunismus. Das war vor allem die lebende Form von dem, was wir alle toll fanden, also Kommune, Zusammenleben, Teilen", erzählt sie in ihrem süddeutschen Dialekt. Als sie hierher kam, fand sie das Teilen am schönsten in dieser Lebensform. Und "dass es Menschen gibt, die in einer Lebensgemeinschaft leben, und den Gewinn zusammen verwalten und jeder das bekommt, was er wirklich braucht. Ich fand die Idee großartig. Das waren die 1960er und 1970er Jahre. Die Zeit von Woodstock und Flower-Power."

Wäscherei in Ramat Rachel (Foto: DW/K. El Kaoutit)
In der Wäscherei arbeiten auch vier PalästinenserBild: DW

Die Entstehung der Kibbuzim reicht bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück. Sie ist eng an die Geschichte der Besiedlung des damaligen Palästina gebunden. Kibbuzim waren Wehr-Gemeinschaften, die die neuerschlossenen Gebiete besiedelten und bewirtschafteten. Diese Siedlungen waren die erste Adresse für Neuankömmlinge, die dort ihre Grundexistenz fanden. Aber auch für viele junge Menschen nach der 1968-Bewegung in Europa, die sich nach einem Kommunismus sehnten, der nicht vom Staat aufgezwungen ist. So wie für Claudia Adada.

Sie hat ihren ersten Mann im Kibbuz geheiratet und drei Kinder zur Welt gebracht. Sie hat in der Kibbuz-eigenen Kindertagesstätte gearbeitet, bevor sie vor zwölf Jahren die Leitung der Wäscherei übernahm - ein Full-Time Job. Dafür bekommt sie umgerechnet 450 Euro pro Monat. Den gleichen Betrag erhalten alle Mitglieder unabhängig von der Arbeit, die sie leisten. Das sei kein Lohn, sondern Taschengeld, erklärt Claudia Adada. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten, einem Australier, der auch als freiwilliger Helfer nach Israel kam, wohnt sie in einer 120qm-Wohnung und verfügt über ein Auto. Zudem gibt es im Kibbuz eine Großküche, einen Speisesaal und die Wäscherei. All das können Claudia Adada und die anderen Mitglieder kostenlos in Anspruch nehmen.

Der verlorene Traum

Mitglied wurde sie 1984. Erst nachdem sie zum Judentum konvertiert war und nach ein paar Jahren Probezeit im Kibbuz. Seitdem kann sie über die Zukunft der Gemeinschaft mitentscheiden. Eine Zukunft, die dem Traum von damals nicht mehr entsprechen werde, sagt sie. Denn viele Kibbuzim haben bereits mit der Privatisierung angefangen. Das heißt, dass die Mitglieder mehr Taschengeld bekommen, aber für gemeinschaftliche Dienstleistungen, wie den Speisesaal, die Wäscherei oder den Autopool, bei Inanspruchnahme bezahlen müssen.

Dass die Privatisierung auch Ramat Rachel erreichen wird, davon ist Claudia Adada überzeugt. Denn während 1948 etwa jeder zehnte Israeli in einem Kibbuz lebte, sind es heute nicht einmal mehr zwei Prozent. Schuld daran sei auch die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft. Eine bittere Erkenntnis für Claudia Adada: "Der Mensch ist so gebaut: Was ich arbeite, arbeite ich. Was ich verdiene, gehört mir, und was ich teile, das entscheide ich."

Der Trauungshügel in Ramat Rachel mit Blick auf Bethlehem (Foto: DW/K. El Kaoutit)
Der Trauungshügel in Ramat Rachel mit Blick auf BethlehemBild: DW

Ramat Rachel liegt unweit von Jerusalem, direkt an der Grünen Linie, der heutigen Trennungslinie zwischen Israel und dem Westjordanland. Eine günstige Lage, die die Mitglieder früh erkannt haben und von der Landwirtschaft auf Tourismus umgestellt haben. Das i-Tüpfelchen dabei ist ein kleiner Hügel mit Blick auf Bethlehem, auf dem sich Hochzeitspaare trauen lassen können. Außerdem betreibt der Kibbuz einen Swimmingpool und eine riesige Hotelanlage, die über das ganze Jahr sehr gut besucht sind.

"Es wird keinen Frieden geben"

Claudia Adadas Wäscherei liegt direkt am Eingang des Kibbuz. Mehrere große Industrie-Waschmaschinen und Trockner stehen dicht bei dicht in einem kleinen Raum. Es ist laut. Die Luft ist stickig. Hier wird die Wäsche vom Hotel, aber auch die der Kibbuz-Bewohner gewaschen, getrocknet und gebügelt. Während der Arbeit komme es sehr oft zu Diskussionen über den Nahost-Konflikt, erzählt sie. Seitdem sie hier sei, habe sie nicht nur den Glauben an einen freiwilligen Kommunismus verloren. "Ich war mir ganz sicher, dass, bis meine Kinder ins Armeealter kommen, wir hier keine Armee mehr brauchen, dass wir Frieden haben werden. Nun waren alle meine drei Kinder in der Armee." Heute glaube sie nicht, dass es irgendeine Lösung im Nahen-Osten geben wird.

Ihren drei Kindern, die sie alle im Kibbuz geboren hatte, riet sie, sich eine eigene Zukunft außerhalb des Kibbuz aufzubauen. "Man sagt hier: Man geht über die Brücke, wenn die Brücke kommt. Ich weiß ja nicht, was in zehn Jahren sein wird. Nicht nur hier im Kibbuz. Das ganze Land ist unberechenbar."

Autor: Khalid El Kaoutit
Redaktion: Stefanie Duckstein/Diana Hodali