1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Langsam leben

19. März 2003

Nicht nur "Slow Food", sondern auch "Slow City"? Eine neue Bewegung aus Italien schwappt ins restliche Europa.

https://p.dw.com/p/3OD1
Logo der Vereinigung der lebenswerten Städte
Logo der Vereinigung der lebenswerten Städte

Ladenbesitzer stehen in den Eingangstüren ihrer Geschäfte und begrüßen den Morgen. Männer stehen an Café-Tischen, trinken ihren Kaffee und unterhalten sich. Leute gehen zu einem typischen zweistündigen Mittagessen nach Hause. So sieht das Leben in der umbrischen Stadt Todi - aus "Slow City" Sicht - aus. Die Initiatoren wollen sie sich gegen die Gefahren unserer Zeit schützen: gegen den Druck der Eile, das Vergessen jahrhundertealter Traditionen. Und gegen das Eintauschen einer effizienteren, häufig als amerikanisch angesehenen, Lebensart. Es gilt, den Wert von Zeit wiederzuentdecken.

Blick auf Positano (Foto: AP)
Positano (Italien)Bild: AP

Die Geburtsstunde der "Slow City"-Bewegung war 1999 im umbrischen Orvieto. Die "Città Lente" wurde dort von den Bürgermeistern einiger aktiver italienischer "Slow Food"-Städte wie Chianti, Orvieto, Bra und Positano ins Leben gerufen. Inzwischen gibt es europaweit Städte, die sich dieser Idee verschrieben haben.

Die meisten Städte und Gemeinden, die sich für das "Slow City" Konzept entschieden haben, legen auch besonderen Wert auf den Umweltschutz. So wollen sie zum Beispiel strenge Auflagen für die Strahlung von Mobilfunk-Sendemasten durchsetzen und genetisch manipulierte Nahrung verbieten. Auf die Ruhe der Bürger wird ebenfalls Rücksicht genommen: Alarmanlagen für Autos sollen beispielsweise verboten werden.

Gegen den weltweiten Trend

Globalisierung ist für die meisten "Slow City" Befürworter das Un-Wort schlechthin. Der Bürgermeister von Greve im Chianti meint zum Beispiel, dass Fernsehen, Internet und Video-Spiele die Jugend in allen Ländern gleicher werden ließen und die Individualität verschwinde. Stattdessen sollten jahrhundertealte Traditionen wiederbelebt werden.

Dennoch ist die "Slow City"-Bewegung nicht mit Technikfeindlichkeit oder einer Anti-Fortschritts-Haltung zu verwechseln. Die "Slow City" Leute wollen vielmehr den goldenen Mittelweg zwischen der Rückbesinnung auf traditionelle Werte sowie dem Bewusstwerden der eigenen Identität auf der einen Seite und einer Weltoffenheit auf der anderen Seite finden. Sie hegen die Hoffnung, eine bessere Balance zwischen traditionellen Lebensstilen und der uniformierenden Globalisierung zu finden.

Nicht Mono, sondern Stereo

Sogar die Fastfoodkette McDonald's bemüht sich in Todi, die lokale Kultur zu respektieren. In einer Ecke des Schnellrestaurants gibt es einen Stand mit umbrischen Bohnen und Suppen aus der Region. Manchmal werden sogar kleine Päckchen mit heimischem Olivenöl verschenkt. Die Kombination von lokal und international scheint also der Königsweg zu sein. Denn natürlich verkaufen lokale Geschäfte auch Kartoffelchips oder internationale Zeitungen – aber eben zusätzlich zu den lokalen Waren.

Die offiziellen Kriterien von "Slow City"

Was aber zeichnet eine "Slow City" eigentlich aus? Die Initiatoren des Projekts möchten ganz nah mit den Bürgern einer Stadt ein neues Bewusstsein und eine neue Wertschätzung prägen. Im Wesentlichen gelten dabei die folgenden Kriterien. Die Stadt verpflichtet sich, einen Schwerpunkt in Umweltpolitik zu setzen. Recyclingtechnik und Mehrwegsysteme sollen besonders gefördert werden. Infrastrukturpolitik ist ein weiterer wichtiger Akzent: Nicht die reine Belegung von Flächen steht im Vordergrund, sondern die besondere Aufwertung derselben soll in besonderen Maße Berücksichtigung finden.

Hersbruck an der Pegnitz (Foto: picture alliance / Bildagentur Huber)
Hersbruck an der PegnitzBild: picture-alliance / Bildagentur Huber

Insgesamt soll die gesamte urbane Lebensqualität verbessert werden. Regionaltypische Produkte, die ihre Wurzeln in der Kultur und Tradition haben und die zur regionalen Besonderheit beitragen, sollen unterstützt werden. Die Qualität der Gastfreundschaft soll ihre wichtige Bedeutung behalten und weiterhin gefördert werden. Landschaftliche Besonderheiten und das Bewusstsein sollen zum Beispiel durch eine systematische Geschmackserziehung bei Jugendlichen gestärkt werden. Mit diesem Kriterienkatalog soll der Erhalt der Vielfalt und einer eigenen Identität im Zeitalter der Globalisierung und Vermassung gewährleistet werden.

Das Konzept zieht Kreise

"Slow Cities" gibt es längst ist nicht mehr nur in Italien. Städte in der Schweiz, in Kroatien oder Großbritannien haben sich zum Beispiel schon der Bewegung angeschlossen. Auch in Deutschland gibt es inzwischen einige Städte und Gemeinden, die sich hinter Idee der zeitbewussten Stadt stellen. Hersbruck in Franken war die erste "Slow City" in Deutschland, gefolgt von Waldkirch im Breisgau.

Autorin: Petra Füchsel
Redaktion: Petra Tabeling